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Signal-Chefin über Datenschutz„Privatheit würde es nicht mehr geben“

Bedeutet Chatkontrolle das Ende der Privatsphäre? Meredith Whittaker, Präsidentin der Signal-Stiftung, über die Gefahren und individuelle Verantwortung.

Unsere Daten: das Lebenselixier der Tech-Konzerne Foto: Roos Koole/HH/laif

Interview von

Svenja Bergt

taz: In den USA und auch in der EU schwächen Regierungen Regeln für Tech-Konzerne ab, für mehr Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig setzen Nut­ze­r:in­nen bei der Auswahl ihrer Apps eher auf Bequemlichkeit als auf Datenschutz. Warum verliert das Konzept von Privatsphäre im Internet gerade an Beliebtheit?

Meredith Whittaker: Ich glaube nicht, dass Datenschutz und Privatsphäre im Netz an Beliebtheit verlieren. Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen: Reisen, eine sinnstiftende Arbeit haben, Freizeit, die man mit seinen Liebsten verbringen kann – all das sind Dinge, die wahrscheinlich bei den meisten Menschen sehr beliebt sind. Aber es ist nicht immer möglich, sie umzusetzen, weil das System und die Strukturen, in denen wir leben, das nicht für alle erlauben. Dass Datenschutz weiterhin beliebt ist, zeigen die enormen Geldmengen, die viele der großen Tech-Konzerne investieren, um sich im Marketing als Privatsphäre-freundlich zu zeigen. Apple macht das schon lange, aber auch Meta, etwa mit Whatsapp. Ich denke: Viele Menschen wollen sich nicht großartig Gedanken über Daten und ihren Schutz machen. Aber instinktiv wollen sie Technologien nutzen, ohne überwacht und getrackt zu werden.

taz: Was folgt daraus?

Whittaker: Wir leben in einer Welt, in der das Überwachen von Nut­ze­r:in­nen und das Sammeln von persönlichen Daten der ökonomische Motor der Tech-Industrie ist. Und diese Industrie ist das Nervensystem unserer modernen Wirtschaft und Staaten geworden, unseres politischen und sozialen Lebens. Wir leben also in einem Widerspruch zwischen unserem Wert, der Unverletzlichkeit des Privaten, und der Praxis, in der eine Handvoll Konzerne aus unseren persönlichen Informationen Geld macht – und die damit natürlich null Interesse daran haben, uns die Kontrolle über unsere Daten zu geben.

taz: Was sehen Sie derzeit als größte Bedrohung für die Privatheit?

Whittaker: Oh, da gibt es einige. Neben dem grundsätzlichen Geschäftsmodell der Big-Tech-Konzerne, dem Privatheit diametral entgegensteht, gibt es auch legislative Vorhaben, wie die Chatkontrolle.

Bild: Abaca/imago
Im Interview: Meredith Whittaker

Meredith Whittaker ist Präsidentin der Signal Foundation. Sie begann ihre Karriere im Tech-Business bei Google – und wurde bald eine der schärfsten Kri­ti­ke­r:in­nen der Branche. Sie organisierte Proteste der Google-Arbeiter:innen, verließ den Konzern und wurde Mitgründerin des AI Now Institute an der New York University, einer interdisziplinären Einrichtung, die zu KI forscht.

taz: Mit der wollen die EU-Staaten Anbieter von Messenger- und Cloud-Diensten dazu bringen, die Kommunikation ihrer Nut­ze­r:in­nen zu überwachen.

Whittaker: Genau, das würde eine starke Verschlüsselung aushebeln oder umgehen und vertrauliche digitale Kommunikation für Privatleute praktisch unmöglich machen. Eine weitere große Bedrohung sind KI-Agenten.

taz: Tech-Konzerne vermarkten KI-Agenten gerade als das nächste große Ding.

Whittaker: Ja, auch wenn die Realität momentan noch nicht da ist, wo die Tech-Industrie sie gerne hätte.

taz: Wo soll es denn hingehen?

Whittaker: Mit KI-Agenten würden wir die Welt genau so sehen, wie die Tech-Konzerne das von uns möchten. Sie sollen eine Art Robo-Butler sein und unser Leben wahnsinnig bequem machen. Wir wollen jemandem auf ein Date treffen? Der KI-Agent sucht einen geeigneten Ort heraus, der für beide passt, einen Termin, die Verkehrsverbindung dorthin, macht eine Reservierung im Restaurant und verschickt das Ergebnis dann an die Teilnehmenden. Vielleicht schlägt das System noch ein Outfit vor und erinnert an den Regenschirm. Für all das ist der Zugriff auf enorme Datenmengen und Apps nötig: auf unseren Kalender, unseren Standort, unsere Kommunikations-Apps. Es braucht Daten über unsere Vorlieben, was Essen oder Abendaktivitäten angeht und unsere Shopping-Historie. Und das natürlich, ohne ständig um Erlaubnis zu fragen für den Zugriff. Gruselig? Absolut. Ein existenzielles Problem für Privatheit? Auf alle Fälle. Und außerdem noch ein Weg, auf dem die jetzt schon dominanten Tech-Konzerne ihre Marktposition weiter verfestigen. Denn die Qualität dieser Dienste steht und fällt mit der Menge der Daten, die sie auswerten können

taz: Was würde das für die Gesellschaft bedeuten, für das Zusammenleben?

Whittaker: Im Detail ist das schwierig vorherzusagen. Aber grundsätzlich kann man davon ausgehen: Privatheit, wie wir sie kennen, würde es nicht mehr geben. Das würde vermutlich zu chilling effects in unserer digitalen Kommunikation führen.

taz: Chilling effects sind ein wissenschaftlich untersuchtes Phänomen, wonach zunehmende Überwachung dazu führen kann, dass Menschen sich nicht mehr trauen, von ihren Grundrechten Gebrauch zu machen.

Whittaker: Wir würden die Grenzen des Vorstellbaren und des Diskutierbaren nach und nach immer weiter verengen. Das ist eine schreckliche Vorstellung. Vor allem, weil wir in einer Welt leben, in der sich gerade so viel verändern müsste, denken wir etwa an den Klimawandel. Und in der es so wichtig ist, sich unterschiedliche Möglichkeiten vorzustellen, wie die Zukunft sein könnte oder sich ein Problem lösen ließe – ohne immer gleich in alten Strukturen oder Sachzwängen gefangen zu sein.

wochentaz

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taz: Seitdem Donald Trump wieder US-Präsident ist, macht man sich in Europa mehr Gedanken über digitale Souveränität. Sie vertreten mit Signal einen Messenger-Dienst, der zwar open source ist und auf starke Verschlüsselung setzt, aber dennoch aus den USA kommt. Wie sehen Sie diese Debatte?

Whittaker: Nach meinem Eindruck kommt die Überlegung, dass digitale Souveränität doch ganz wichtig wäre, reichlich spät. Im Neoliberalismus fließt das Geld ganz wunderbar, und das hat anscheinend bisher gereicht, um die Politik ruhigzustellen. Da hat man dann lieber nicht genau nachgefragt, was für Code eigentlich in einer Plattform steckt und was die gesellschaftlichen Effekte sind. Die eigentliche Frage ist: Warum haben wir so wenigen privaten Konzernen so viel Macht über kritische Infrastruktur gegeben? Konzernen, deren Geschäftsmodell auf Überwachung beruht? Das müssen sich Regierungen fragen – und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit.

taz: Was wäre denn der erste Schritt, um das zu ändern?

Whittaker: Es gibt viele erste Schritte, die man gehen könnte. Der erste wäre: Hört auf, Bullshit zu machen. Die ganzen Gigafabriken und die angeblich souveräne Microsoft Cloud – das ist doch alles Quatsch.

taz: Das sind beides Dinge, die die deutsche Bundesregierung anstrebt beziehungsweise schon umsetzt…

Whittaker: Sie sind leider nicht die Einzigen, die sich da etwas vormachen. Also: Wollen wir eine Welt mit offenen Technologien, mit sicheren Kommunikationsmitteln, mit einem gesunden Medien-Ökosystem, das eine gute Basis für eine demokratische Meinungsbildung bietet? Dann müssen wir das fördern.

taz: Signal hat vor zwei Jahren seine Kalkulation offengelegt und prognostiziert, dass der Betrieb in diesem Jahr 50 Millionen US-Dollar kosten wird. Sind Sie schon da?

Whittaker: Ja. Und weil wir dieses Geld eben nicht aus Werbung generieren und aus Nutzerdaten, wie es Big Tech macht, müssen wir andere Wege finden.

taz: Sie setzen auf Spenden. Funktioniert das?

Whittaker: Ja, mit großen und kleinen Spenden können wir unsere Ausgaben decken, wir sind nicht in Schwierigkeiten. Aber wir versuchen trotzdem, nicht stehenzubleiben, denn Spenden können mal höher und mal niedriger ausfallen. Derzeit arbeiten wir an einer Premium-Back-up-Funktion, die – im Gegensatz zum restlichen Messenger – Geld kostet.

taz: Welche Verantwortung tragen die Nutzer:innen?

Whittaker: Die fossile Industrie hat das Konzept des ökologischen Fußabdrucks erfunden, um die Verantwortung auf die Individuen abzuschieben. Momentan sehen wir die gleiche Entwicklung bei der Tech-Industrie, die die Verantwortung auf die Nut­ze­r:in­nen schiebt. Ganz häufig haben wir aber keine Wahl, ob wir Datenschutz wollen oder nicht. Du willst diesen Job? Dann musst du diese Plattform nutzen, um dich zu bewerben oder auf dich aufmerksam zu machen. Du möchtest jemanden kennen lernen? Dann wird das deutlich schwieriger ohne diese App. Du willst in Kontakt mit deinen Freun­d:in­nen sein? Tja, die sind alle auf jener Plattform. Du gehst zur Schule? Die nutzt ein Microsoft-Office-Paket samt Cloud. Oder iPads. Oder die Google Cloud. Das zeigt: In unserer westlichen Welt ist gesellschaftliche Teilhabe viel zu stark daran geknüpft, dass man die Dienste der mächtigsten Tech-Konzerne nutzen muss.

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