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Regierungskrise in FrankreichIt's Austerity, stupid!

Kommentar von

Lea Fauth

Das Kernproblem ist nicht, welcher französische Premier im Amt ist, sondern Macrons neoliberale Kürzungspolitik, die die Bevölkerung zu Recht ablehnt.

Demonstration gegen Kürzungen im nächsten Haushalt mit Anhängern der Bewegung „Bloquons Tout“ in Paris am 18. September Foto: Benoit Tessier/reuters

B ernard Arnault ist der reichste Mann Frankreichs, ja Europas. Sein geschätztes Vermögen von etwa 149 Milliarden Euro ist gar nicht allzu weit entfernt von Frankreichs Defizit 2024, das circa 169,6 Milliarden Euro betrug. Der Milliardär legte sich kürzlich mit dem Ökonomen Gabriel Zucman an, bezeichnete diesen öffentlich als „linksextremen Militanten“. Die „Zucman-Steuer“ sah eine Vermögensbesteuerung von jährlich 2 Prozent vor. Und wo käme man denn hin, wenn Überreiche wie Arnault statt 149 Milliarden nur noch mickrige 146 Milliarden besäßen?

Was das alles mit der aktuellen Regierungskrise in Frankreich zu tun hat? Viel. Denn bei dem Kaspertheater aus Stühlerücken und Premierminister-Tauschen geht es um nichts anderes. Auf der einen Seite stehen die Verfechter einer krassen Austeritätspolitik, die den völligen Abbau des Sozialstaats wollen, auf der anderen die Verfechter einer Reichenbesteuerung.

2023 setzte die Regierung Macron/Borne gegen den Bevölkerungswillen und gegen das Parlament per Dekret eine Rentenreform um, die die Ärmsten noch ärmer macht. Als Macron 2024 aus Machtkalkül parlamentarische Neuwahlen ausrief, gewann überraschend das Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“ (NFP) und nominierte als Premierministerin Lucie Castet. Sie steht für konsequente Besteuerung von Überreichen. Das war das NFP-Rezept gegen das Haushaltsdefizit – im Grunde ein gemäßigt sozialdemokratisches Programm. Pustekuchen.

Bis die Interessen der Reichen durchgesetzt sind

Macron setzte sich erneut über die Wäh­le­r*in­nen hinweg und ernannte einen Premier, den er stattdessen von Rechtsextremen (RN) tolerieren ließ. Und dann noch einen, und noch einen. Jedes Mal scheiterten diese Premiers daran, einen Sparhaushalt zu verabschieden. Nun will Macron zum vierten Mal versuchen, das gleiche Programm mit einer anderen Personalie durchzudrücken. Doch auch er muss längst wissen: Der Kern des Problems ist nicht, welche Premier-Fratze nun da sitzt und den Haushalt verabschiedet. Der Kern ist, dass Frankreich diesen Haushalt – ein hartes Austeritätsprogramm – schlichtweg nicht will.

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Was wir sehen, ist ein Versuch, durch immer neue Zirkusrunden den parlamentarischen Apparat derart zu zermürben, dass er nachgibt und das Projekt einiger Superreicher durchsetzt. Dieser Vorgang ist zutiefst autoritär. Wer nun den opponierenden Parteien Verantwortungslosigkeit vorwirft, impliziert erstens, dass Kapitalinteressen und reibungslose parlamentarische Abläufe über den Interessen der Bevölkerung und somit über der Demokratie stehen, und zweitens, dass Austerität unausweichlich sei – was schlicht falsch ist. Die Krise in Frankreich steht sinnbildlich für das dramatische Demokratiedefizit der parlamentarischen Systeme im Westen allgemein. 2015 hat sich das in Griechenland besonders drastisch gezeigt, als die demokratische Mehrheit für Alexis Tsipras und gegen Austeritätspolitik letztlich auf etwas Stärkeres stieß: Kapitalinteressen. Das ist der Name der Demokratiekrise, die wir erleben.

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Redakteurin taz1
Hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert und bei der Deutschen Welle volontiert.
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