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Bürgermeisterwahlen in BrandenburgPartei? Nein danke!

Die SPD ist out, aber auch andere Parteien haben es schwer – sogar die AfD. Vier Lehren aus den Bürgermeisterwahlen in Brandenburg am Wochenende.

Auszählung in Frankfurt (Oder): Kaum Zugewinne für die AfD Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Die Erleichterung nach den Stichwahlen von Sonntag in sieben Brandenburger Städten ist groß: Die AfD hat es nicht geschafft, einen Bürgermeisterposten zu ergattern – auch wenn es in Eisenhüttenstadt denkbar knapp war. Der zweite große Verlierer heißt SPD: Die Partei, die in Brandenburg seit 35 Jahren den Regierungschef und in Potsdam den Oberbürgermeister stellt, ist in der Landeshauptstadt sang- und klanglos untergegangen. Gewonnen haben dagegen vielerorts Parteilose mit diffusem Programm. Die taz-Analyse mit vier Lehren aus den Wahlen der Brandenburger Stadtoberhäupter.

Parteien sind unbeliebt

Der Sieg parteiloser Kan­di­da­t*in­nen bei den Stichwahlen zeigt erneut: In der Kommunalpolitik in Brandenburg wenden sich die Wäh­le­r*in­nen zunehmend unabhängigen Be­wer­be­r*in­nen zu.

Zwar beobachten For­sche­r*in­nen bundesweit seit Langem eine nachlassende Parteibindung der Bürger*innen. Dazu mischt sich aber jetzt die große Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung. Und die kriegen die auf kommunaler Ebene Engagierten zuerst ab. Niemand will sich auf dem Marktplatz oder beim Einkauf anfeinden lassen für die Politik von „denen da oben“ mit dem gleichen Parteibuch.

Bürgermeisterwahlen in Brandenburg

Sieben Städte in Brandenburg haben am Sonntag in Stichwahlen über ihre künftigen (Ober-)Bürgermeister*innen entschieden.

In Potsdam hat sich dabei die parteilose, von den Grünen nominierte Noosha Aubel mit rund 73 Prozent der Stimmen gegen den SPD-Kandidaten durchgesetzt.

In Frankfurt (Oder) gewann der parteilose Einzelbewerber Axel Strasser mit etwa 70 Prozent gegen den AfD-Bewerber.

Knapper war es in Eisenhüttenstadt, wo Marko Henkel (parteilos, für die SPD) 57 Prozent bekam und ebenfalls einen AfD-Mann auf Rang zwei verwies.

In Hennigsdorf und in Wriezen bleiben die bisherigen Bürgermeister Thomas Günther (SPD) beziehungsweise Karsten Ilm (CDU) im Amt.

In Velten gewann Einzelbewerberin Manuela Nebel in einem engen Rennen mit 51,4 Prozent.

Noch knapper war es in Glienicke/Nordbahn, wo Arno Steguweit (CDU) mit 50,4 Prozent vor dem SPD-Kandidaten landete. (taz)

Unabhängige Be­wer­be­r*in­nen verkörpern in dieser Gemengelage frischen Wind und Bürgernähe, Pragmatismus und Veränderung. Es ist für sie leichter, im zerrütteten politischen Klima enttäuschte Wäh­le­r*in­nen zu mobilisieren. Das dürfte gerade in Brandenburg besonders wichtig sein, wo die AfD mit ihrer Dauerkampagne gegen die „Altparteien“ den Frust anheizt.

Hinzu kommt: Bür­ger­meis­te­r*in­nen müssen sich im Stadtparlament Mehrheiten suchen. Auch das kann für Parteilose leichter sein, wenn sie Verordnete unterschiedlicher politischer Couleur für sich gewinnen müssen. Es ist aber auch eine Stolperfalle für die politisch zum Teil noch unerfahrenen neuen Stadtoberhäupter.

Pragmatismus schlägt Inhalte

Im ganzen Wahlkampf drängte sich der Eindruck auf, dass Inhalte kaum noch eine Rolle spielen. Zum einen, weil es teilweise vor allem darum ging, die AfD vom Rathaus fernzuhalten. Zum anderen betonten die parteilosen Kan­di­da­t*in­nen geradezu, inhaltlich flexibel zu sein, weil sie ja keiner Partei angehörten und entsprechend keinem Programm verpflichtet seien.

So erklärte Marko Henkel, parteiloser, für die SPD antretender Kandidat in Eisenhüttenstadt, in seinem Programm gebe es „Schnittmengen zu allen demokratischen Parteien“ und er wolle wegen seiner Person gewählt werden, „nicht weil eine Partei draufsteht“. Auch Axel Strasser in Frankfurt (Oder) bekräftigte stets, „unideologisch“ Politik machen zu wollen. Der Trend, Kommunalpolitik als pragmatisch-technokratisches Management objektiver Probleme darzustellen, scheint sich durchzusetzen.

Das Ende der „Brandenburg-Partei“ SPD

Klar, die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen hatten es ausgerechnet in Potsdam besonders schwer, wo der bisherige SPD-Oberbürgermeister Mike Schubert per Bürgerentscheid abgewählt worden war. Die deutliche Niederlage ihres Kandidaten Severin Fischer in der Stichwahl lässt sich trotzdem nicht allein mit der ungünstigen Ausgangslage erklären.

Denn anderswo ist schon längst eingetreten, was sich in Potsdam nun abzeichnet: Die Brandenburger SPD befindet sich auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. In Frankfurt (Oder) war ihre Kandidatin im ersten Wahlgang mit einem einstelligen Ergebnis abgeschlagen auf dem letzten Platz gelandet. Die Siege von Marko Henkel in Eisenhüttenstadt sowie von Thomas Günther in Hennigsdorf können die Misere nicht übertünchen.

Die Landtagswahl 2024 hatte die SPD noch auf den letzten Drücker vor der AfD gewonnen – allerdings wohl nur dank Dietmar Woidkes Amtsbonus und auf Kosten von Linken und Grünen, die aus dem Parlament flogen. Aber vielleicht hätte eine Niederlage den So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen auf lange Sicht mehr geholfen als dieser teuer erkaufte Erfolg: Denn so verschläft die Braunkohlepartei ihre längst überfällige inhaltliche und personelle Erneuerung.

Die AfD ist nicht mehrheitsfähig

Die AfD hatte sich in Frankfurt (Oder) gute Chancen ausgerechnet, nun erstmals bundesweit ein Oberbürgermeisteramt zu ergattern. Die Stadt ist geplagt von hoher Arbeitslosigkeit, das Flüchtlingsthema ist hier präsenter als im Landesinneren. Zudem war mit René Wilke im Mai der langjährige Bürgermeister und Platzhirsch der Stadtpolitik in die Landespolitik gewechselt und der Gegner in der Stichwahl, der parteilose Einzelbewerber Axel Strasser, war wenig bekannt. Dennoch kam AfD-Kandidat Wilko Möller nicht über das Ergebnis der ersten Runde hinaus: 32,4 Prozent stimmten für ihn.

In 5 von 18 Kommunen, in denen Ende September die erste Runde der Bürgermeisterwahlen stattfanden, war die AfD in die Stichwahl eingezogen. Am Sonntag verloren ihre Kandidaten auch in Wriezen und in Eisenhüttenstadt, wo Maik Diepold mit 43 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielte.

Allen drei Wahlen ist gemein: Im Vergleich zur ersten Runde konnten die Rechtsextremen ihren Stimmenanteil nur minimal steigern. Ganz offensichtlich gelingt es der Partei nicht, über die ihr zugeneigte Kernklientel noch Unentschlossene zu mobilisieren. Anders gesagt: Wer beim ersten Mal nicht ei­ne*n AfD-Kandidat*in wählt, tut es in einer Stichwahl auch nicht. Viel spricht dafür, dass dieses Ergebnis nach den letzten beiden Stichwahlen im Bad Freienwalde und Oranienburg am nächsten Sonntag Bestand haben wird.

Grund zur Beruhigung, gar zu hämischer Freude über die „Loser-Partei“ AfD, wie es in vielen Kommentaren im Netz zu lesen ist, ist das aber dennoch nicht. Die AfD hat sich verankert, vereint ein gutes Drittel der Wäh­le­r*in­nen hinter sich und vergiftet das politische Klima, auch ohne an der Macht zu sein. Und dennoch: Ein Fatalismus des unaufhaltsamen Kippens in Richtung der Rechtsextremen ist unangebracht.

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