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AfD hetzt gegen HochschulenAngriff auf die Freiheit der Wissenschaft

Die AfD Sachsen-Anhalt fragt gezielt nach Listen postkolonialer Seminare und Lehrstühle. Wie die Universitäten beginnen, sich gegen die Angriffe zu wappnen.

Wichtig, wehrhaft zu bleiben: über 9.000 Menschen demonstrierten Anfang des Jahres gegen den AfD-Wahlkampfauftakt in Halle Foto: Heiko Rebsch/dpa

Berlin taz | Kurz vor der Bundestagswahl stand Alice Weidel auf der Parteitagsbühne zwischen 16 überdimensionalen Deutschlandfahnen und schimpfte darüber, dass Unis zu „queer-woken Kaderschmieden“ würden. Das Wort „queer“ sprach die AfD-Chefin extra falsch aus. Dann fragte sie in ruhigem Ton: „Soll ich euch sagen, was wir tun werden, wenn wir am Ruder sind?“ Nach einer Kunstpause donnert sie: „Wir schließen alle Gender Studies und schmeißen diese Professoren raus!“ Die rund 600 Delegierten quittierten diese Ankündigung eines verfassungswidrigen Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit mit Johlen und tosendem Applaus.

Was gemäß autoritärem Playbook die nächsten Schritte auf dem Weg dahin sind, kann man derzeit in Sachsen-Anhalt beobachten. Dort ist im nächsten Jahr Landtagswahl und der dort stramm völkisch-nationalistische AfD-Landesverband lag in den letzten Umfragen bei 39 Prozent. Und auch hier ist Bildungspolitik ein Kampfplatz für die Rechtsextremen.

Erst letzte Woche scheiterte die Partei mit einem Antrag gegen Antirassismusinitiativen an Schulen, wie man es bundesweit bereits von AfD-Denunziationsportalen oder Anfeindungen gegenüber Lehrkräften kennt.

Aber auch die Unis stehen unter Beschuss. Wohin das führen kann, ist bereits in Ländern wie Ungarn zu sehen – oder auch in den USA, wo die rechtsextreme MAGA-Bewegung derzeit versucht, nicht nur die Unilandschaft umzukrempeln. AfD-Politiker*innen nennen Ungarns Premierminister Viktor Orbán und US-Präsident Donald Trump immer wieder als Vorbilder.

Offenbar arbeitet die AfD an Feindeslisten

In Sachsen-Anhalt arbeitet die Landtagsfraktion der AfD offensichtlich bereits an Listen von Studiengängen und Lehrstühlen, welche der Partei ein Dorn im Auge sind. Sie zielt dabei vor allem auf Gender Studies und postkoloniale Studien. So forderte der AfD-Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner zuletzt unter dem Titel „Wissenschaft statt Manipulation – Genderpolitik an Hochschulen einstellen“, in Forschung und Lehre „keine Aktivitäten mehr stattfinden zu lassen, die […] das tradierte Verhältnis der Geschlechter verunsichern“. Lehrstellen seien umzuschichten und zu streichen.

Der Vizefraktionsvorsitzende Hans-Thomas Tillschneider (AfD), der im Plenarsaal gern mal gegen „so schwüles Zeug wie Gender Studies“ hetzt, ergänzte mit einer detaillierten Anfrage zu postkolonialen Studien: Er wollte wissen, welche Hochschulen in Sachsen-Anhalt sich mit „kolonialer Vergangenheit oder Postkolonialismus“ beschäftigten, ob und welche expliziten Lehrstühle, Professuren oder Forschungseinrichtungen es gibt, sowie welche Institute und Fachbereiche „(z. B. Geschichtswissenschaft, Ethnologie, Kulturwissenschaft)“ thematisch beteiligt sind und welche Kooperationen zu ehemals kolonialisierten Ländern es zum Thema gibt.

Die Anfrage liest sich, als arbeite man bei der AfD schon an einer Feindesliste: Sie will detailliert wissen, „welche Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare, Ringvorlesungen etc.) mit kolonialem oder postkolonialem Fokus“ in den letzten fünf Jahren angeboten wurden und sogar, „wie viele Studenten an solchen Veranstaltungen teilgenommen“ haben.

Ebenso fragt sie nach Abschlussarbeiten, Dissertationen oder Habilitationen in den letzten zehn Jahren mit kolonialgeschichtlichen und postkolonialen Themen und welche aktuellen Forschungsprojekte dazu laufen. Kurz danach legten die Rechtsextremen noch eine Anfrage dazu nach, wie viele ausländische Studierende es an den jeweiligen Unis Sachsen-Anhalts gibt – unter dem Titel „Abschiebungen von ausländischen Studenten in Sachsen-Anhalt“.

Peinlich für die AfD: Die Landesregierung antwortete mit einer Belehrung. „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gemäß Grundgesetz über ihre Forschungsthemen frei bestimmen. Ein systematisches Monitoring von Forschungsinhalten durch die Hochschulleitung ist daher nicht geboten.“ Darüber hinaus stünden „Forschungsinformationen öffentlich zugänglich im Landesforschungsportal zur Verfügung“.

Einen Teil der Antworten kann man auch als Ohrfeige für die AfD lesen: Eine wichtige Funktion der Hochschulen sei es, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben mitzugestalten – „dies umfasst auch die Stärkung der demokratischen Einstellungen und des kulturellen Bewusstseins, zugleich wenden sich die Hochschulen gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus“.

Anfrage sorgte an Uni für Wirbel

Aber was machen solche Angriffe mit den Betroffenen? Den Professoren der angefeindeten Fachrichtungen oder auch prekär beschäftigten Dozent*innen?

Nach taz-Informationen hat die Anfrage an der Uni Halle für einigen Wirbel gesorgt – auch weil sie vom Rektorat an betroffene Institute zur Beantwortung weitergereicht wurde, mit einer Antwortfrist von nur vier Tagen. Für internen Unmut sorgte dabei, dass nach taz-Informationen einige Fakultäten offenbar ohne große Diskussion bereit waren, für das Ministerium proaktiv Listen zu erstellen, woraufhin eine kritische Debatte innerhalb der Mitarbeiterschaft entstand. Letztlich entschied die Uni sich dafür, keine Listen zu erstellen und auf die Wissenschaftsfreiheit zu verweisen.

Die taz sprach mit mehreren Mit­ar­bei­te­r*in­nen aus dem Mittelbau der Universität, die lieber anonym bleiben wollten. Eine Person sagte der taz: „Ich war schockiert über Kollegen, die Listen mit Namen und Projekten durchgegeben hatten – anstatt sich souverän hinzustellen und diesen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit abperlen zu lassen.“ Diese „naiv-bürokratische Pflichterfüllung“ habe sich wie „vorauseilender Gehorsam“ angefühlt.

Wir sind nicht wehrlos und bereiten uns vor

Johannes Varwick, Universität Halle

Eine weitere Person geht davon aus, „dass es ein Kalkül der AfD ist, die Milieus zu zermürben mit diesen Anfragen“. Man habe nach diesen Anfragen gemerkt, dass man um die Geschlossenheit unter Kol­le­g*in­nen kämpfen müsse. Eine andere Person sagte: „Die einen scheinen politisch nicht wirklich sensibilisiert und andere scheinen sich bereits wegzuducken. Aber immerhin gibt es auch solche, die sagen: Moment, das ist ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.“ Es sei eventuell auch ein Fehler des Rektorats gewesen, die Anfrage an die Institute zur Beantwortung weiterzureichen.

Am Ende sind mehrere Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen der taz froh, dass es diese Auseinandersetzung deutlich vor der 2026 anstehenden Landtagswahl gab. Man habe sich nach der kritischen Debatte fächerübergreifend und auch mit Studierenden vernetzt und wisse nun, auf wen man sich im Zweifel verlassen könne. Auch mit der Antwort des Universitätsrektorats ist man abschließend zufrieden.

Nach der Anfrage habe das Rektorat eine Kommission gegründet, um die Universität resilienter gegenüber wissenschaftsfeindlichen Angriffen zu machen, wie auch die Unileitung der taz bestätigt. Eine Person sagte: „Man darf sich nicht treiben lassen, sondern muss auf das Prinzipielle hinaus, um solche als Fragen verdeckten Angriffe ins Leere laufen zu lassen.“

Das AfD-Dilemma

Ähnlich sieht es der Ethnologieprofessor Olaf Zenker von der Uni Halle: „Wir sollten uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Wissenschaftsfreiheit ist im Grundgesetz garantiert, direkte Interventionsmöglichkeiten wären auch für einen AfD-Bildungsminister eingeschränkt.“ Der AfD gehe es auch um Symbolik und darum, Unruhe zu verbreiten. Zenker engagiert sich für mehr Resilienz in verschiedenen Netzwerken für kritische und solidarische Wissenschaft. Dort tauschten sich Kol­le­g*in­nen und Studierende aus: „Wir haben Wissenschaftsfreiheit und verteidigen diese“, sagt Zenker.

Auch sein Kollege aus der Politikwissenschaft, Johannes Varwick, fordert „Mutige auf allen Ebenen“. Er beschreibt ein Dilemma: „Die AfD ist rechtsextrem eingestuft und mit rechtsextremen Netzwerken verbunden, gleichzeitig darf sie zur Wahl antreten und parlamentarische Mittel zum Angriff auf die Demokratie einsetzen.“

An der Uni Halle mache man nun deswegen das, was man bei Dilemmata in der Forschung eben mache: man führt offene Diskussionen. Auch mit Blick auf die Landtagswahl im nächsten Jahr plane man für Ende Oktober eine „Projektwoche für Verteidigung der Demokratie“. Dort solle durchgespielt werden, was passiert, wenn die Rechtsextremen tatsächlich einmal Mehrheiten bekommen sollten. Es gebe einen großen Kampfgeist, unterstützt von der Unileitung, so Varwick – „wir sind nicht wehrlos und bereiten uns vor.“

Hochschule Merseburg auskunftsfreudiger

Dennoch gab es auch Hochschulen in Sachsen-Anhalt, die detaillierter auf die AfD-Anfrage antworteten. Auskunftsfreudiger war etwa die Hochschule Merseburg: Sie gab an, welche Professuren sich mit postkolonialen Studien beschäftigten, wie viele Seminare dazu seit dem Sommersemester 2023 stattgefunden haben, dass 135 Studierende daran teilgenommen haben und mit welchen vormals kolonialisierten Ländern man kooperiere.

Heinz-Jürgen Voß ist in Merseburg im Rektorat. Er kennt sich als Sexualwissenschaftler, Biologe und Sozialwissenschaftler mit autoritären Angriffen aus: Die AfD hat auch ihn persönlich bereits angefeindet. Entsprechend mache er sich keine Illusionen, sagt er: „Die AfD möchte die Wissenschaftsfreiheit einschränken – sie möchte Cancel Culture haben: Will Debatten über Geschlecht, Kolonialismus oder historische Verantwortung einschränken.“

Allerdings sei man als Hochschule auch gezwungen, parlamentarische Anfragen zu beantworten: Man gebe vorliegende Daten weiter und vertraue darauf, dass das Ministerium die Daten schütze, entsprechend anonymisiere und aufbereite.

Aus Voß’ Sicht ist es vor allem Aufgabe der Parteien, die Wissenschaft zu verteidigen und ungünstige Entwicklungen wie in den USA abzuwehren: „Die Aushandlung kann nicht über die Hochschulen laufen und lässt sich nicht mit der Nichtbeantwortung von parlamentarischen Anfragen lösen, sondern eher durch einen Antrag auf Verbotsverfahren im Bundestag.“

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3 Kommentare

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  • Wenig verwunderlich, dass die die Hilfe der Landesregierung für solche Listen brauchen und dafür selbst nicht genügend in Wissenschaft und Bildung vernetzt sind.

  • Die Wissenschaftsfreiheit ist durch das Grundgesetz garantiert. Wer sich dagegen wendet, stellt also das Grundgesetz in Frage. Mensch wundert sich und fragt, wann diese Vereinigung namens AfD endlich verboten wird.

    • @Flix:

      Das ist korrekt, aber die Institutsausrichtung und die Denomination der Professuren kann die Uni vorgeben. Bestehende Professuren können nicht gekündigt werden, aber an der Ausstattung kann gedreht werden.