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Kabinett beschließt AktivrenteEin Steuergeschenk für Großverdiener*innen?

Ab 2026 sollen Rent­ne­r*in­nen, die weiterarbeiten, 2.000 Euro steuerfrei dazu verdienen dürfen. Für Selbstständige gilt das nicht. Wer profitiert?

Mehr Mäuse im Alter: Trotz Rente unterrichtet eine Lehrerin Se­nio­r*in­nen im Fach Englisch Foto: Andrea Hirtz/imago

Berlin taz | Der Eintritt ins Rentenalter verläuft nicht für alle gleich: Wenn die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht ist, hören die meisten auf zu arbeiten. Andere haben ihren Job aber vielleicht schon vorher wegen Krankheit aufgegeben. Und es gibt die, die auch danach noch weiter jobben. Laut Statistischen Bundesamt waren das in Deutschland 2023 etwa 13 Prozent.

Genau diese Gruppe soll künftig stärker profitieren. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, die freiwillig weiterarbeiten, sollen neben der Rente 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen dürfen, also 24.000 Euro im Jahr. Sozialabgaben sind aber weiter fällig. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abführen, der Arbeitgeber Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Den entsprechenden Gesetzentwurf hat das Kabinett am Mittwoch beschlossen. Jetzt muss er noch im Bundestag beraten werden.

Mit der sogenannten Aktivrente will die Bundesregierung Anreize für ältere Menschen schaffen, länger zu arbeiten. „Wir setzen weitere Impulse für wirtschaftliches Wachstum in Deutschland“, erklärte Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) in Berlin. Dafür brauche „die Wirtschaft gerade auch die älteren und erfahrenen Arbeits- und Fachkräfte.“ Sie könnten ihr Wissen weitergeben und weiter mit anpacken. Die Aktivrente soll helfen „personelle Engpässe in vielen Bereichen zu entschärfen“, heißt es im Gesetzentwurf. In Kraft treten soll das Gesetz zum 1. Januar 2026.

890 Millionen Euro soll die Aktivrente pro Jahr kosten. Nach Schätzungen der Bundesregierung werden etwa 168.000 Menschen davon Gebrauch machen. Der Haken ist: Nicht alle können das. Denn die Aktivrente gilt nicht für Selbstständige, Beamte oder Landwirte.

Der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) kritisierte das Vorhaben deshalb scharf. Es gäbe zwar eine Vielzahl von Schlechterbehandlungen von Selbstständigen im Steuer- und Sozialrecht. „Nie aber wurden Selbstständige auf massivere und offensichtlichere Weise diskriminiert,“ erklärte VGSD-Vorstandsvorsitzender Andreas Lutz.

Nicht alle können so lang arbeiten

Mit der Aktivrente sende die Bundesregierung ein „trügerisches Signal“, kritisierte auch Jutta Schmitz-Kießler, Professorin an der Hochschule Bielefeld. „Rentnerinnen und Rentner, die arbeiten wollen, können das längst – viele sind dazu gesundheitlich oder qualifikatorisch aber nicht in der Lage“, erklärte die Rentenexpertin der taz. Die Vorstellung, der Fachkräftemangel lasse sich durch mehr arbeitende Rent­ne­r*in­nen lösen, verkenne zudem „die empirisch belegte Realität.“ Die meisten, die im Rentenalter weiter arbeiten, seien „überdurchschnittlich qualifiziert und gesund, aber häufig in einfachen Helfertätigkeiten tätig – nicht in den Engpassberufen, in denen Fachkräfte fehlen.“ Die Aktivrente berge „die Gefahr, soziale Ungleichheit zu verschärfen.“

Auch der Rentenexperte der Grünen Bundestagsfraktion, Armin Grau, hält die Aktivrente für „kein gerechtes Instrument.“ Sie benachteilige nicht nur Be­am­t*in­nen und vor allem Selbstständige, das betreffe etwa viele Menschen im Handwerk. Diskriminiert würden auch die, die „knapp unterhalb des Renteneintrittsalters noch arbeiten, obwohl sie gesundheitlich eigentlich kaum mehr können“ sowie „Jüngere, die mit dem gleichen Aufwand die gleiche Arbeit machen.“

Die gesamte Wissenschaft zweifele an, „dass damit nennenswert zusätzliches Arbeitsangebot geschaffen werden kann“, sagte Grau. Die Aktivrente generiere hauptsächlich Mitnahmeeffekte und sei dazu sehr teuer. Die Grünen präferierten „die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge für Arbeitslosen- und Rentenversicherung für Menschen, die neben der Rente weiterarbeiten.“

Sarah Vollath, Rentenexpertin der Linksfraktion im Bundestag bezeichnete die Aktivrente „als ein viel zu teures Steuergeschenk für Personen, die ohnehin schon viel verdienen.“ Viele Menschen nähmen „jetzt schon Abschläge in Kauf, um früher in Rente zu gehen.“ Sie gehe „also völlig an der Lebensrealität der meisten Rent­ne­r*in­nen vorbei.“ Damit verschwende die Bundesregierung „Milliarden, die besser eingesetzt werden sollten, um gegen die steigende Altersarmut vorzugehen.“ Es brauche eine „große Reform des Rentensystems, hin zu einer Erwerbstätigenversicherung.“

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