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Nach dem Waffenstillstand in GazaEin Anfang, aber kein Ende

Der Waffenstillstand hält – vorerst. Doch wer den Gazastreifen künftig kontrollieren soll, bleibt offen. Was es braucht für einen nachhaltigen Frieden.

Nach dem Waffenstillstand: Familien kehren nach Gaza zurück Foto: Khames Alrefi/imago

I nternationale Rückendeckung zu geben für die erste Phase des Waffenstillstandsdeals für Gaza – das war die Zielvorgabe für das Treffen im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich. Schließlich gab es nach zwei Jahren Gazakrieg endlich mal etwas wirklich Positives zu vermelden: Alle lebenden israelischen Geiseln sind frei. Einige der toten Geiseln sind überstellt, im Austausch mit Palästinensern aus israelischen Gefängnissen. Der Waffenstillstand im Gazastreifen hält, die humanitäre Hilfe ist wieder angelaufen.

Das Treffen diente auch dazu, dem noch bevorstehenden Prozess der Verhandlungen Vorschusslorbeeren zu geben. Denn alle wissen, dass der Frieden noch längst nicht beständig ist, auch wenn sich Trump als Friedensengel präsentiert. Die wirklich komplizierten Fragen stehen noch aus. Wie geht es mit dem Gazastreifen weiter? Wer wird ihn verwalten? Wer sorgt dort für Sicherheit? Lässt sich die Hamas entwaffnen und was bedeutet das wirklich? Und wird das alles darin enden, dass die Palästinenser ihr Recht auf Selbstbestimmung und einen eigenen Staat bekommen?

Naturgemäß picken im Vorfeld nun alle ihre Rosinen für die zukünftigen Verhandlungen heraus. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu spricht von der Entwaffnung der Hamas, der Entmilitarisierung und der Entradikalisierung des Gazastreifens als Ziel. Nicht nur die Palästinenser, auch die regionalen Vermittlerstaaten wie Katar, Ägypten und die Türkei weisen darauf hin, dass das alles nicht funktionieren wird, wenn am Ende nicht das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser steht. Sie betonen: Am Ende muss ein palästinensischer Staat stehen. Viel wird jetzt davon abhängen, wie US-Präsident Trump weitermacht und wie lange dessen Aufmerksamkeitsspanne reicht. Ob er hier tatsächlich als „ehrlicher Makler“ fungieren kann, sei dahingestellt. Sicher ist: Er hat Netanjahu dazu gebracht, unter die israelische Offensive einen Schlussstrich zu ziehen.

Aus palästinensischer und arabischer Sicht hatte die Trump-Reise und dessen Rede in der israelischen Knesset aber durchaus auch einen bitteren Beigeschmack. Neben der üblichen Selbstbeweihräucherung lobte Trump den israelischen Stabschef für seine effektive Armee beim Iran-Einsatz. „Great Job“ rief Trump Eyal Zamir zu. Dem gleichen Stabschef und der gleichen Armee, die den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt hat. Wie kommt so etwas bei den Menschen in Gaza an, die vor den Trümmern ihres alten Lebens stehen und dort ihre Verwandten und Freunde ausgraben? Netanjahu selbst nahm von Trump lächelnd das Kompliment entgegen, dass er ein „Siegertyp“ sei.

Ist internationales Recht obsolet?

Trumps Rede war eine einzige Absolution Netanjahus und der israelischen Armee. So, als gäbe es beim Internationalen Gerichtshof kein Verfahren gegen Israel, wegen weitreichender Indizien, dass die israelische Armee bei ihrer Gaza-Offensive einen Genozid begangen habe. So, als gäbe es noch dazu gegen Netanjahu persönlich keinen Haftbefehl, diesmal beim Internationalen Strafgerichtshof, in dem ihm Kriegsverbrechen in Gaza vorgeworfen werden. Internationales Recht scheint endgültig obsolet zu sein.

„Israel ist bestrebt, seine Beziehungen zu Europa und seinen anderen westlichen Verbündeten zu normalisieren“, merkt der israelische Journalist Gideon Levy an, der für die israelische Tageszeitung Ha’aretz schreibt. Die aktuelle israelische Erzählung betone, „dass sich Israel mit dem Waffenstillstand nicht mehr isoliert, dass die Hamas eingedämmt und dass die internationale Meinung zugunsten Israels gekippt ist.“ Und er fügt hinzu: „In vielerlei Hinsicht teilen Israel und das westliche politische Establishment dieses Ziel, den öffentlichen Dissens zu beruhigen.“ Aus palästinensischer Sicht wirkt das alles wie eine „vorgeschriebene Amnesie“ in Sachen Gaza. Etwas, dass die Menschen dort kaum akzeptieren werden.

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Und im Gazastreifen selbst? Zum einen ist da der Streit um die noch nicht überstellten toten Geiseln. Eine Taskforce aus den USA, Ägypten, der Türkei und Katar arbeitet zusammen mit der Hamas daran, dass diese möglichst schnell ausfindig gemacht werden. Sie brauche dafür zwei Dinge sagt die Hamas: Zeit und schweres Gerät, um die Leichen zu bergen. Aus Kreisen der US-Regierung ist zu vernehmen, dass die lebenden Geiseln frei seien und nun gäbe es einen Mechanismus, die restlichen Leichen zu finden. Man gehe davon aus, dass die Hamas den Rest des Deals einhalten werde. Grünes Licht für Netanjahu, militärisch weiterzumachen, gibt es derzeit aus Washington nicht.

Die israelische Armee ist unterdessen weiterhin in über der Hälfte des Gazastreifens präsent. Mindestens 15 Palästinenser wurden seitdem von der israelischen Armee erschossen. Sie hätten friedlich versucht, zu ihren Häusern zu kommen, heißt es von palästinensischer Seite. Sie hätten sich bedrohlich den Linien der israelischen Armee genähert, von israelischer Seite. In dem Teil des Gazasteifens, aus dem sich die israelische Armee zurückgezogen hat, herrscht Chaos. Es kam zu mehren Schusswechseln zwischen Familien-Clans und Hamas-Leuten, die nun wieder bewaffnet auf den Straßen auftauchen, um die Sicherheitskontrolle zu übernehmen. Dabei sind Dutzende ums Leben gekommen. Einige wurden gar von der Hamas in einer öffentlich inszenierten „Hinrichtung“ erschossen.

Gespaltene Ansichten zur Hamas in Gaza

Die Hamas wirft bewaffneten Clans vor, an Plünderungen von Hilfsgütern und deren Verkauf auf dem Schwarzmarkt und an Schutzgelderpressung beteiligt gewesen zu sein. Und sie wirft ihnen vor, mit der israelischen Besatzung kooperiert und von dort ihre Waffen erhalten zu haben. Diese „Milizen“ würden zur israelischen Teile-und-herrsche-Strategie gehören. Es ist aber auch die Rede davon, dass die Hamas die Gelegenheit nutzt, unliebsame Kritiker loszuwerden.

Schafft es die Hamas, ihr Gewaltmonopol in Gaza wieder durchzusetzen, dürfte das auch ihre Position in künftigen Verhandlungen um deren Entwaffnung stärken. Und es könnte ihr als Argument dienen, dass es keine Zukunft des Gazastreifens ohne sie geben könne. In den letzten Tagen hat die Hamas bewiesen, wie gut sie noch organisiert ist und wie effektiv sie intern im Gazastreifen handeln kann, obwohl sie von der israelischen Offensive zwei Jahre lang in den Untergrund gezwungen worden war.

Die Ansichten in Gaza sind dazu gespalten. Manche sagen, es muss eine Art Ordnungsmacht geben und diese Rolle könne im Moment zumindest temporär de facto nur die Hamas einnehmen. Nicht alle davon sind Anhänger der Hamas. Andere im Gazastreifen wollen die Hamas in keiner Funktion mehr sehen, koste es was es wolle.

Um das Sicherheitsvakuum ohne die Hamas füllen zu können, müsste eine Alternative gefunden werden. Die Idee des Trump-Planes ist, dass eine internationale Truppe, bestehend aus Soldaten arabischer und islamischer Staaten die Rolle der Ordnungsmacht erfüllen soll. Doch das ist noch nicht ausverhandelt. Viele Fragen bleiben offen: Wer schickt die Soldaten? Bekommt eine solche Truppe ein UN-Mandat? Wem untersteht sie? Und würde diese Truppe von den Menschen in Gaza nicht als Handlanger und Hilfspolizei einer fortdauernden israelischen Besatzung wahrgenommen werden?

Das könnte schnell geschehen, wenn nicht auch eine politische Perspektive für eine palästinensische Selbstbestimmung damit einhergeht Das hängt jedoch davon ab, wer den Gazastreifen nominell verwalten wird: ein internationales Aufsichtsgremium mit Trump an der Spitze, palästinensische Technokraten oder sogar die palästinensische Autonomiebehörde. Letzteres will Netanjahu auf jeden Fall verhindern. Ausgehandelt ist davon bisher nichts.

Der Blick muss sich nach vorn richten

Aber gerade die regionalen Vermittler wie Katar, Ägypten und die Türkei haben in Scharm El-Scheich noch einmal deutlich gemacht, dass nichts an diesem Plan nachhaltig sein wird, wenn dies nicht in einen Prozess zu einem palästinensischen Staat mündet. Und dabei sprechen sie nicht nur von Gaza, sondern auch vom Westjordanland und Ostjerusalem.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Eine Entwaffnung der Hamas ohne ein Ende der israelischen Besatzung, argumentieren sie, sei eine Sackgasse. Das sehen sie durchaus realistisch. Selbst wenn die Hamas sich entwaffnen lässt, und selbst wenn sie sich auflösen würde, würde wohl eine neue Organisation mit anderem Namen entstehen. Und die hätte unter den Bedingungen der Besatzung und des fortlaufenden Wegsperrens des Gazastreifens vom Rest der Welt wahrscheinlich auch kein Problem, genug Anhänger und Rekruten zu gewinnen.

Das, was wir gerade erleben, könnte der Anfang vom Ende sein. Aber weder das Picken von Rosinen in den nächsten Verhandlungsrunden, noch eine Amnesie, die die Ereignisse der letzten zwei Jahre auf beiden Seiten in der Versenkung verschwinden lässt, wird funktionieren. Vergessen werden die Opfer auf beiden Seiten nie. Jetzt muss sich der Blick nach vorne richten. Und das geht nur, wenn es für Israel Sicherheit gibt. Und wenn die Palästinenser das Recht bekommen, ihren eigenen Staat zu gründen. Ein Ende der israelischen Besatzung wäre die Voraussetzung für beides.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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