Marktlücke E-Auto-Werkstatt: Keine Angst vorm Starkstrom
Nur wenige Werkstätten reparieren auch E-Autos – ein Problem für Kunden, aber auch eine Marktnische. Besuch bei einer Werkstatt, die sich darin heimisch macht.
taz | Das rote Tesla Model S sieht aus wie ein gerupftes Huhn. Aufgebockt auf einer Hebebühne, ohne Reifen und Hinterachse, ragt die Elektro-Limousine in die Höhe.
„Der Motor macht komische Geräusche und die Batterie hat nur noch eine Kapazität von 60 Prozent“, sagt Otto Behrend, während er das Fahrzeug von allen Seiten inspiziert. Als Erstes ist der Motor dran. „Zum Glück ist er bei diesem Modell relativ einfach zugänglich“, sagt Behrend. „Sechs Schrauben lösen, ein paar Teile abbauen, dann können wir loslegen.“
Der 33-jährige Mechatroniker hat drei Kollegen um sich geschart, sie alle kennen sich aus der Berliner Hochschule für Technik. Dort hatten sie zu Batteriemesstechnik geforscht. Seit Februar 2025 leitet die Truppe nun gemeinsam die EV Clinic in Berlin, eine von wenigen Kfz-Werkstätten, die sich auf die Reparatur von E-Autos spezialisiert hat.
Der rote Tesla ist ein einfacher Fall. Bei anderen Modellen dauert die Reparatur oft mehrere Tage, manchmal sogar Wochen. „Die Fehlersuche macht uns die meiste Arbeit“, sagt Behrend. Kommt etwa ein Kunde mit einem Fahrzeug vorbei, das keinen Strom mehr lädt, könne das viele Ursachen haben. Meist lieferten aber weder das Auto noch die Diagnosegeräte eine genaue Erklärung. „Die Hersteller helfen auch nicht weiter“, klagt der Mechatroniker. „Und oft wissen sie selbst nicht Bescheid.“
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Das Beispiel verdeutlicht ein zunehmendes Problem des deutschen Kfz-Gewerbes: Obwohl immer mehr E-Autos auf den Straßen unterwegs sind – zum Stichtag am 1. Juli waren es 1,8 Millionen –, scheinen viele Werkstätten nur unzureichend auf den Wandel vorbereitet zu sein. „Wir haben Kunden, die zwei- oder dreimal von anderen Werkstätten abgelehnt wurden“, sagt Behrend. „Viele kennen sich nicht genug aus und trauen sich an die Hochvoltkomponenten nicht ran.“
Ob diese Aussage wirklich auf die Mehrheit der Branche zutrifft, lässt sich nicht belegen. Eine Umfrage des Automobilzulieferers Meyle aus dem vergangenen Jahr liefert aber zumindest einen Anhaltspunkt: Von 274 befragten freien Werkstätten gab fast jede fünfte an, nicht an Elektroautos arbeiten zu wollen.
Einige der frustrierten Kundinnen und Kunden landen am Ende bei Otto Behrend in Berlin. Wobei auch das nicht so einfach ist: Die EV Clinic liegt auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel, genau wie eine Flüchtlingsunterkunft, eine Bundeswehrkaserne und zahlreiche Forschungseinrichtungen. Anders als bei anderen Werkstätten kann man deshalb nicht einfach spontan vorbeischauen. Man muss sich vorher anmelden, namentlich registrieren und den Personalausweis an der Pforte abgeben. Erst dann öffnet sich die bewachte Schranke. Ist so ein Sicherheitstrakt nicht geschäftsschädigend? Behrend lacht. „Wir sind schon jetzt an der äußersten Grenze. Unsere aktuelle Vorlaufzeit beträgt acht Wochen.“
Etwa 20 E-Auto-Reparaturen schaffen sie in der EV Clinic pro Monat – nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Akku. An diesem Morgen stehen außer dem roten Tesla noch ein Renault Zoe mit kaputten Kugellagern und ein BMW i3 in der Werkstatt. „Da ist nichts kaputt“, erklärt Behrend. „Der Besitzer wollte einfach nur einen größeren Akku.“ Laut Behrend sind es vor allem E-Autos der ersten Generation, die auf dem Berliner Flughafengelände landen. Entgegen der landläufigen Vorurteile machten nicht etwa die Hochvoltbatterien die meisten Probleme, sondern On-Board-Charger, also die Ladegeräte fürs langsame Laden an Wallboxen oder Haushaltssteckdosen. Das deckt sich mit der ADAC-Pannenstatistik, in der E-Autos besser abschneiden als ihre fossilen Gegenparts.
Otto Behrend, Auto-Mechatroniker
Dass viele Elektrofahrzeuge erst relativ spät anfangen zu kränkeln, hat jedoch einen unangenehmen Nebeneffekt: Wenn etwas kaputtgeht, dann meist außerhalb der Garantiezeit. Und dann wird es teuer. Ein On-Board-Lader koste beim Hersteller gut und gerne 7000 Euro, sagt Behrend. Batterien gingen je nach Größe sogar in den fünfstelligen Bereich. Das führt zu der paradoxen Situation, dass Werkstattbesuche für E-Autos oft teurer sind als für Verbrenner, obwohl Elektromotoren deutlich wartungsärmer sind. Denn in ihnen gibt es weder Zündkerzen, die getauscht werden müssen, noch Keilriemen oder Auspuffrohre. Auch ein Ölwechsel ist nicht nötig.
Trotzdem hat der Gesamtverband der Versicherer (GDV) in einer Studie festgestellt, dass die Reparaturkosten nach einem Unfall im Schnitt 20 Prozent höher liegen als bei Verbrennern. „Das liegt aber nicht am Schaden selbst“, sagt Behrend, „sondern daran, dass die Vertragswerkstätten heutzutage gar nicht wirklich reparieren. Sie tauschen im Zweifel den ganzen Antriebsstrang aus, auch wenn nur ein kleines Bauteil defekt ist. Reparaturen sind in diesem Konzept nicht mehr vorgesehen.“ Das mache den Werkstattbesuch nicht nur extrem teuer, sondern „aus Nachhaltigkeitssicht fatal.“
Die EU kniff vor der Autolobby
Es sind heftige Vorwürfe, die Behrend und sein Team gegenüber ihrer Branche erheben. Aber treffen sie auch zu? Der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) beteuert, die meisten der 36.000 Innungsbetriebe – also freie Werkstätten, Autohäuser und Vertragswerkstätten – seien auf die E-Mobilität gut vorbereitet. Alles andere ergebe auch aus unternehmerischer Sicht keinen Sinn: „Angesichts des zunehmenden Marktanteils [von E-Autos] kann eine fehlende Bereitschaft mittelfristig zu einem Wettbewerbsnachteil führen“, schreibt der Verband. „Wer sich heute nicht vorbereitet, riskiert, morgen den Anschluss zu verlieren.“
Und die Kritik, dass selbst bei kleinen Schäden komplette Bauteile oder gar Baugruppen getauscht werden? Das liege an den Vorgaben der Hersteller, meint der ZDK. Man selbst setze sich politisch dafür ein, dass Batterien und Komponenten des Antriebsstrangs „reparierfähig bleiben“.
Tatsächlich ist die Kfz-Branche vom gerade erst in Kraft getretenen EU-weiten „Recht auf Reparatur“ ausgenommen. Während Hersteller von Waschmaschinen, Staubsaugern oder Smartphones bis zu zehn Jahre Ersatzteile vorhalten und defekte Geräte reparieren müssen, ist dies bei Autos nicht der Fall.
„Ich habe diese Ausnahmen lange bekämpft“, sagt der SPD-Politiker René Repasi, der im EU-Parlament das Recht auf Reparatur vorangetrieben hat. Die Autolobby habe jedoch extremen Druck aufgebaut – und damit die Mehrheit der Abgeordneten überzeugt. „Am Ende hatten wir die Wahl“, sagt Repasi. „Entweder bestimmte Ausnahmen zulassen oder die ganze Richtlinie kippen.“ Letzteres sei für ihn nicht infrage gekommen. „Dafür ist das Recht auf Reparatur zu wichtig.“
Die EV Clinic repariert auch ohne gesetzliche Vorgabe. Hier rühmt man sich damit, nicht lieferbare Ersatzteile im Notfall selbst zu besorgen, ganz gleich ob bei Recyclingfirmen oder bei Zulieferern. Geht tatsächlich mal ein Hochvoltakku kaputt, untersuchen ihn die Experten mit einer eigens programmierten Software, um die defekte Stelle zu finden. Statt den tonnenschweren Block zu entsorgen, entfernen sie dessen Verschalung, lösen verklebte Komponenten und tauschen mitunter nur eine einzige Zelle aus. Die sieht nicht anders aus als eine gewöhnliche AA-Batterie, wie man sie aus Fernbedienungen oder Weckern kennt. „Dadurch kommen wir am Ende auf ein Drittel des Preises, den die Hersteller verlangen“, sagt Otto Behrend.
Der E-Doktor aus Kroatien
Ursprünglich kommt die Idee des „E-Auto-Krankenhauses“ aus Kroatien. Dort schraubt Vanja Katić schon seit 2021 an Elektroautos herum. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt der 38-Jährige. Rund 80 Prozent seiner Kundschaft komme nicht aus Kroatien; sogar einen eigenen Transportservice für kaputte Fahrzeuge hat er deshalb eingerichtet.
Vanja Katić, Auto-Mechatroniker
„Manchmal kontaktieren mich die Autokonzerne selbst, wenn sie Tipps brauchen“, behauptet Katić. Auch er schimpft über die Industrie, weil sie Bauteile bewusst so konstruiere, dass sie kaputtgingen. Besonders der Stellantis-Konzern, zu dem Opel, Peugeot, Citroën, Fiat und andere Schwergewichte gehören, stößt ihm übel auf. Dessen Komponenten seien durchweg „unzuverlässig, nicht nachhaltig und teuer“, schreibt Katić auf seinem Blog. Die Berliner EV Clinic sieht das ähnlich. Sie nimmt wegen zu vieler Mängel erst gar keine Stellantis-Fahrzeuge an – habe man ein Bauteil repariert, gehe kurz darauf das nächste kaputt, so Behrend.
Derweil steigt das Interesse an Katićs Geschäftsmodell. Regelmäßig meldeten sich E-Auto-Enthusiasten bei ihm, die ihre eigene EV Clinic eröffnen wollten. „Aber wir sind eben nicht McDonald’s“, seufzt Katić. „Unsere Rezepte können nur Leute kopieren, die wirklich Ahnung haben.“ Überzeugt hätten ihn bis jetzt nur die vier Männer aus Berlin, weil sie durch ihr Forschungsprojekt schon reichlich Vorerfahrung hatten. Welche Vereinbarung sie genau mit ihm abgeschlossen haben, dazu schweigen die Beteiligten. Nur so viel: Die Berliner zahlen eine feste Gebühr an Katić, um Logo und Marke der EV Clinic nutzen zu dürfen. Im Gegenzug erhalten sie Zugriff auf dessen umfangreiche Datenbank mit Reparaturanleitungen – am Ende also doch ein Franchise-Konzept wie bei McDonald’s.
Internet-Recherche: Bei manchen E-Autos gibt es modelltypische Probleme, die immer wieder auftauchen. Eine Google-Suche liefert oft schon die Antwort.
Garantie: Die meisten Hersteller geben eine lange Garantie auf Elektroautos. Die Chancen stehen also gut, auch bei einem jungen Gebrauchten noch in die Garantiezeit zu fallen.
Schadenshistorie: Hatte das Fahrzeug schon mal einen größeren Schaden oder war in einen Unfall verwickelt?
Probefahrt: Eine Probefahrt ist ein Muss, am besten auch mit hoher Geschwindigkeit. „Lagerschäden sind erst ab einer hohen Drehzahl wahrnehmbar“, erklärt Otto Behrend.
„Probeladen“: Einmal das Auto an einer Schnellladestation sowie an einer Wallbox anschließen, um zu prüfen, ob und mit welcher Geschwindigkeit das Fahrzeug Strom lädt.
Batterie-Zertifikat: Ein solches Dokument gibt Auskunft über den „State of Health“, den Gesundheitszustand der Hochvoltbatterie. Zu viel Vertrauen sollte man den Zertifikaten aber nicht schenken.
Ausgehen werden ihnen die Aufträge jedenfalls nicht. Noch dieses Jahr will Katić eine weitere Dependance eröffnen, diesmal in Istanbul. Und auch Otto Behrend geht von einer baldigen Expansion aus. „Das wird kommen. Der Bedarf ist auf jeden Fall da.“
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