: LustamUngehorsam
Sichtbar ist er nur selten, gegenwärtig aber seit Generationen: Mehr als sechs Jahrzehnte lang begleitet der Kobold mit den feuerroten Haaren nun schon die Kindheit immer neuer Zuschauerinnen und Zuschauer. Damit gehört Pumuckl zu den langlebigsten Figuren des deutschsprachigen Kinderuniversums – und es ist erstaunlich, wie wenig Patina sich im Laufe der Zeit über dieses Wesen gelegt hat.
Über ein halbes Jahrhundert voll technischem und gesellschaftlichem Wandel hätte Pumuckl eigentlich zum Relikt werden lassen können. Doch nicht nur die neuaufgelegte Serie, auch der mittlerweile vierte Film um Ellis Kauts Kultfigur – „Pumuckl und das große Missverständnis“ (2025) –, der Ende des Monats in die Kinos kommt, zeigt noch einmal, dass das Konzept nichts von seinem Charme eingebüßt hat.
Denn das Besondere an den Geschichten des kleinen Kobolds beruht auf etwas Zeitlosem, es ist in der Figur selbst angelegt – und unterscheidet Pumuckl radikal von braven Kindheitshelden wie „Benjamin Blümchen“ oder „Wickie“, aber auch von aktuelleren Figuren wie der „Paw Patrol“. Pumuckl verdankt seine Lebendigkeit nicht der glattgebügelten Vorbildhaftigkeit dieser Helden, sondern dem lustvollen Widerstand gegen Ordnung und Anpassung. Es ist die eigensinnige Weigerung, sich den Regeln des Funktionierens zu beugen, die den Kobold so unverwechselbar macht: das Stören, das Widersprechen, das Nachhaken. Wohl kaum eine andere Kinderfigur dürfte so oft nach dem Warum fragen wie der Pumuckl.
Pumuckl grenzt sich von Anfang an ab von jenen fleißigen Helferwesen, die in der deutschen Tradition allgegenwärtig sind, etwa von den Heinzelmännchen. Das wird schon in der ersten TV-Serienfolge „Spuk in der Werkstatt“ von 1982 deutlich: Als Pumuckl am Leimtopf klebt, so erstmals für Meister Eder sichtbar wird und von nun an bei ihm bleiben muss, verwechselt der Schreiner ihn mit einem solchen guten Hausgeist. Pumuckl springt wutentbrannt in die Höhe, stößt einen schrillen Schrei aus und erklärt seinem verdutzten neuen Gefährten sogleich, warum er alles, nur das nicht sein kann: „Die arbeiten ja alle, die werkeln und trappeln!“
Natürlich wird der Pumuckl seither immer wieder als „faul“ charakterisiert, und auch der Humor der Koboldsgeschichten speist sich mitunter aus dem Gegensatz zwischen seiner Abscheu gegen jede stumpfe Pflicht und seiner übermütigen Selbstbehauptung: Er sei ein Nachfahre der Klabautermänner, betont Pumuckl, und die hätten immerhin die Geschicke der Segelschiffe auf den sieben Weltmeeren gelenkt, auf „Meereswellen gewellt“ und auf „Wogen gewogt“.
Hinter dem Scherzen über seine Abneigung gegen Arbeitsamkeit verbirgt sich jedoch noch mehr. Besonders deutlich wird das in einer der Hörspielfolgen, die ab 1962 gesendet wurden. Als eine Nachbarin ausgerechnet vor dem Fenster der Schreinerei einen Gartenzwerg aufstellt, schimpft er: „Emsig!“ seien sie, „niederträchtig!“, vor allem aber: „untertänig!“
Nicht das Nichtstun ist Pumuckls Programm, sondern die Weigerung, sich in eine Ordnung zu fügen, deren Wert allein im Gehorchen liegt. Jenes bürgerliche Ideal, das Nützlichkeit zur Zierde erhebt und Fleiß zum Schmuck, ist nicht des Kobolds Welt. Pumuckl steht für die Missbilligung dessen, was der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm als das „autoritäre Gewissen“ beschrieben hat: „Die internalisierte Stimme einer Autorität, die wir zufriedenstellen und keinesfalls verärgern möchten.“
Sich ihr zu unterwerfen, hat Folgen: Wer Regeln gehorcht, deren Sinn er nicht hinterfragt, gibt nicht nur seine eigene Freiheit preis, selbstständig zu urteilen. Dieser Gehorsam ist es auch, der blind macht gegenüber Machtmissbrauch und Unterdrückung.
Das Mittel dagegen: Ungehorsam. Wenn Meister Eder etwas von ihm verlangt oder verbietet, lässt sich der Kobold mit einem bloßen „Das gehört sich so“ nicht abspeisen. Er fordert eine Begründung, verlangt Erklärungen und stellt so eine vermeintlich selbstverständliche Autorität in Frage.
Pumuckls anarchischer Eigensinn ist dabei eher produktiv als zerstörerisch. Der Kobold besitzt trotz allem ein intuitives Gespür für das menschlich Richtige – Fromm spricht vom „humanitären Gewissen“. Pumuckl mag widerspenstig sein, mit seinem Trotz mitunter für Chaos sorgen, nie aber hat er Böses im Sinn, er stellt sich letztlich doch stets auf die Seite der Schwächeren. Gerade in dieser Mischung aus Eigensinn und Empathie zeigt sich, warum der Kobold mehr ist als klamaukige Kinderunterhaltung. Bei allem Schabernack steht Pumuckl eben auch für einen sowohl kritischen als auch mitfühlenden Geist.
Seine Vermittlung an ein (junges) Publikum ist in Zeiten, in denen sich plumper Populismus weiter zu normalisieren droht, womöglich wertvoller denn je. Denn wo Autorität nur hohle Phrasen kennt, ist Widerspruch bloß konsequent. Oh, das reimt sich ja – und was sich reimt, ist gut. Arabella Wintermayr
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