Nach Blockade durch Taliban-Regime: Afghanistan langsam wieder online
Das Internet sei nie blockiert worden, vielmehr seien Glasfaserkabel verschlissen gewesen, sagen die Taliban. Warum das wenig glaubwürdig ist.

Vorausgegangen war ein obskures Statement der Taliban, es habe überhaupt weder einen Blackout gegeben noch ein Verbot. Zunächst hatte das Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahed in einer WhatsApp-Gruppe pakistanischer Journalisten gepostet. „Die Glasfaserkabel waren verschlissen und werden jetzt repariert“, habe es geheißen. Technische Teams seien mit der Reparatur der Leitungen beschäftigt. Alles andere seien „Gerüchte“.
Ein afghanischer BBC-Journalist postete derweil, „eine zuverlässige Quelle“ habe der BBC mitgeteilt, „dass die Telekommunikations- und Internetdienste auf Basis eines Sonderdekrets des Premierministers der Taliban-Regierung wiederhergestellt“ worden seien. Afghanen teilten aber mit, dass die Geschwindigkeit des Internets weiterhin langsam sei.
Die Reparatur-Begründung der Taliban ist angesichts bisher bekannt gewordener Details fadenscheinig. Daten von Internet-Analyse-Diensten hatten einen landesweiten Blackout gezeigt und dass alle Netze, also staatliche wie private Anbieter, abgeschaltet waren und die Internetabdeckung landesweit gegen null gesunken war.
Kehrtwende könnte auf Druck der Wirtschaft erfolgt sein
Einer dieser Dienste, NetBlocks, erklärte am Montag: „Telemetrische Daten bestätigen, dass die Taliban in den vergangenen Wochen mit verschiedenen Zensurmechanismen experimentiert haben, was ihren Behauptungen über ein angebliches Glasfaserersetzungsprogramm widerspricht.“ Ebenso waren die Abschaltungen ab Mitte September in mehreren Provinzen eindeutig belegt.
Der Argumentation der Taliban kommt entgegen, dass das angebliche Verbotsdekret ihres Chefs Hebatullah Achundsada nie veröffentlicht wurde. Doch ist bekannt, dass er sowieso meist zunächst mündliche Anweisungen gibt. Diese werden dann weitergeben und manchmal schrittweise von Provinz zu Provinz und manchmal auch gar nicht oder unvollständig landesweit umgesetzt.
Jetzt hatten die Taliban wohl nicht mit Gegenwind gerechnet: aus der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft (was sie normalerweise kalt lässt), aus den eigenen Reihen (auch das haben sie bisher – siehe Mädchenschulverbot – ausgehalten) und aus der Wirtschaft. Auch die UNO protestierte, weil durch die Abschaltung ihre humanitäre Hilfe für die Opfer des September-Erdbebens behindert wurde.
Das kann als Argument bei der Taliban-Führung in Kandahar gewirkt haben. Aber vor allem konnten sie die Wirtschaft nach dem Zusammenbruch des Online-Bankings nicht ignorieren. Die ist ihre Achillesferse, denn davon hängt ein Großteil ihrer Steuereinnahmen und damit das Überleben ihres Regimes ab.
Erstmals revidierten die Taliban eine zentrale Entscheidung
Bemerkenswert ist, dass die Taliban erstmals in einer zentralen Politikentscheidung zurückrudern. Zugleich wäre aber ihr Reislamisierungs- und Umerziehungsprojekt für die in ihren Augen westlich kontaminierten Teile der Bevölkerung nicht beendet.
Die Taliban könnten Wege finden, den Internetzugang stärker zu reglementieren und zu überwachen, wenn etwa Verbündete wie China, Iran oder Russland ihre beste Überwachungstechnologie mit ihnen teilen. Das ist aber nicht ausgemacht. Denn zu groß ist dort bei allen noch das Misstrauen gegenüber dem Regime in Kandahar und Kabul, das nach wie vor terroristischen Gruppen aus diesen Ländern Schutz gewährt, auch wenn es sie nicht zu Terrortaten ermutigt.
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