Unbekannte Drohnen über Europa: Was ist da los am Himmel?
Seit über einem Monat sind Drohnen unbekannter Herkunft über europäischen Ländern zu beobachten. Was bedeutet das? Fragen und Antworten.
Was genau war da über Dänemark, Norwegen und Deutschland zu sehen?
Drohnen für den Hausgebrauch waren es sicher nicht. Es handelte sich um nichtidentifizierte, unbemannte Luftfahrzeuge, heißt es vonseiten der offiziellen Stellen etwas kryptisch. Gezielt überflogen sie Flughäfen und Militärstützpunkte. Die meisten Sichtungen gab es in Dänemark, aber auch in Deutschland wurden Drohnen bemerkt – über Schleswig-Holstein und zuletzt über München. Flughäfen wurden zeitweise geschlossen, die Behörden verstärkten ihre Sicherheitsmaßnahmen.
Dass es sich um verirrte Drohnen beziehungsweise ein Versehen handelt, schließen alle betroffenen Länder aus. Sie vermuten einen staatlichen Akteur. Der dänische Geheimdienst wurde am Freitag konkreter und sprach von einem „hybriden Krieg“, den Russland gegen Dänemark und den Westen führt.
Was heißt das, „hybrider Krieg“?
Krieg wird nicht nur militärisch geführt. Sabotage, Desinformation, Cyberattacken, Verunsicherungskampagnen in der Bevölkerung – all das sind Elemente, die zur hybriden Kriegsführung zählen. Spätestens seit Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 hat auch die Bundesregierung das Thema erkannt und macht zumindest darauf aufmerksam, dass in „modernen“ Konflikten mit hybride Attacken zu rechnen ist. Auch die Drohnenvorfälle laufen in dieser Kategorie. Allerdings wirken die internationalen Reaktionen auf die Sichtungen nach wie vor hilflos – und sind vor allem langsam.
Was macht die Nato in dieser Situation?
Als Anfang September etliche Drohnen im polnischen Luftraum gesichtet wurden, berief sich die Regierung Polens auf Artikel 4 des Nordatlantikvertrags. Dort heißt es: „Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind.“ Im Fall Polens trat also der Nordatlantikrat zusammen. Deutschland und Großbritannien boten Polen Unterstützung bei der Luftabwehr an. Nato-Generalsekretär Mark Rutte bekräftigte die Solidarität des Bündnisses, das „ironclad“, also „eisern“, an der Seite der Ukraine stehe. Die Nato-Ostflanke solle weiter gestärkt werden.
Seit der Gründung der Nato wurde Artikel 4 nur sieben Mal angerufen, zuletzt im Februar 2022, mit Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine. Ob es in naher Zukunft zu einer Ausrufung von Artikel 5 kommt, hängt von den Ereignissen ab. Die Beistandsklausel 5 greift bei dem Eindruck, dass ein Angriff auf ein Mitgliedsland ein Angriff auf die gesamte Nato ist.
Aber auch eine solche Lage bedeutet vor allem, dass der betroffene Nato-Staat militärisch Unterstützung bekommt – sie bedeutet nicht zwingend einen Kriegsausbruch.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und was macht die EU jetzt?
Bei einem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in dieser Woche in Kopenhagen – Dänemark hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne – waren die Drohnenflüge das Topthema auf der Agenda. Die neueste Idee: ein Drohnenwall, also ein weitreichender Schutzschirm für den gesamten Kontinent etwa aus Drohnenabwehrwaffen. Dieses Vorhaben wird Milliarden verschlingen.
Prompt murrten einige westeuropäische Staaten, die das Geld auch in die individuelle Sicherheit ihrer Länder investiert sehen wollen. Für Know-how blickt die EU nun aber auch Richtung Ukraine, die sich mit effektiven und schnell produzierten Drohnen bestens auskennt – und auch der Abwehr solcher Fluggeräte.
Was würde es bedeuten, wenn Russland hinter den Drohnen steckt?
Zunächst einmal, dass die Nadelstiche hybrider Kriegsführung sich vonseiten Russlands häufen. Und, dass Russland den Westen testet: Was passiert, wenn die kritische Infrastruktur gleichzeitig in etlichen Ländern verletzt oder zumindest gestört wird? Manche Russland-Kenner:innen sprechen gar von einer Vorbereitung auf ein mögliches Kriegsszenario, also zum Beispiel den Einmarsch von Truppen in einen Nato-Staat oder Luftangriffe.
Gesichert ist auf jeden Fall, dass die Vorfälle die Verbündeten der Ukraine beschäftigt halten mit Krisensitzungen und hitzigen Debatten. Und mit der Aufgabe, in der westlichen Bevölkerung endlich das Bewusstsein für den Ernst der Lage entstehen zu lassen, ohne Panik zu schüren.
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Soll man die Drohnen abschießen oder nicht? Wie läuft die Debatte in Deutschland?
Wenn es um Recht, Ordnung und Abschießen geht, ist natürlich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der CSU nicht weit: Der sah im Drohnen-Thema Populismus-Potenzial und kündigte umgehend an, die Polizeibefugnisse erweitern zu wollen und die Dinger einfach abschießen zu lassen – natürlich in enger Abstimmung mit CSU-Buddy Alexander Dobrindt, seines Zeichens Bundesinnenminister. Aber auch die niedersächsische SPD-Innenministerin Daniela Behrens sieht dringenden Handlungsbedarf und will ins Landespolizeigesetz die Detektion und Abwehr von Drohnen aufnehmen.
Das mit dem Abschießen ist nach Ansicht von Expert*innen allerdings nicht ganz so einfach: Wenn man danebenballert, kommt ein Projektil schnell mal ein paar Kilometer weiter runter und bleibt potenziell tödlich. Ebenso verböten sich Abschüsse in der Nähe von Wohngebieten.
Eine andere Option wäre Manuel Atug von der Expertenvereinigung AG Kritis zufolge, Drohnen mit sogenannten GPS-Jammern beizukommen, also Geräten, welche die Funkverbindungen der Fluggeräte stören oder manipulieren können, sodass diese im Idealfall sicher landen und geborgen werden können. Der Vorteil: Man könnte die Drohne untersuchen. Der Nachteil: Es gibt derzeit kaum Jammer bei den Sicherheitsbehörden.
Alexander Dobrindt, der seine bisherige Amtszeit vor allem mit sinnlosen Maßnahmen zur Abschottung verplemperte, sieht nun plötzlich sehr akuten Handlungsbedarf und will ein Drohnenabwehrzentrum einrichten – und das Luftsicherheitsgesetz überarbeiten.
Wer ist in Deutschland eigentlich zuständig für Drohnen?
Die Bundespolizei ist zuständig für Drohnen über Flughäfen und Bahnhöfen, die Landespolizeien für die Bereiche, die ihnen die Landesregierungen zuweisen. Bei den Energieunternehmen oder den Wasserbetrieben sind vor allem die Betreiber selbst für den Schutz zuständig.
Bundesinnenminister Dobrindt und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sind nun ganz dringend damit beschäftigt, für Klarheiten bei den Zuständigkeiten zu sorgen und jegliches Kompetenzgerangel innerhalb der einzelnen Gremien zu vermeiden. Die Polizei verfügt über keine Kampfjets oder Flugabwehrsysteme. Solche hat nur die Bundeswehr. Einen Abschuss mit Luft-Luft-Raketen oder Boden-Luft-Raketen kann die Polizei also gar nicht allein durchführen.
Muss also jetzt die Bundeswehr ran?
Das hätte CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter auf jeden Fall gerne. Der forderte kürzlich, Deutschland solle den sogenannten Spannungsfall auszurufen, quasi eine Art Vorstufe zum Verteidigungsfall. In der Geschichte der Bundesrepublik kam es noch nie zu so einer Situation. Der Spannungsfall würde bedeuten, dass die Bundeswehr sofort mehr Kompetenzen bekommt und die Wehrpflicht sofort reaktiviert wird.
Solche Forderungen sollen offenbar Druck machen, sind aber derzeit wenig hilfreich. Es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, dass man dafür die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag zusammenbekommen würde.
Flughäfen, Bahnhöfe, Energieversorger: Wie kann kritische Infrastruktur besser geschützt werden?
Jedenfalls nicht wirklich mit dem Kritis-Dachgesetz, das die Bundesregierung derzeit plant. Dort taucht nämlich bislang nicht einmal das Wort Drohnen auf. Zudem hält es für private Betreiber von kritischer Infrastruktur sehr niedrige Bußgelder bereit, wenn diese sich nicht an entsprechende Vorgaben halten. Insgesamt bleibt das Gesetz angesichts der derzeitigen Bedrohungen sehr unkonkret: Erst bis zum Jahr 2030 sollen Resilienzpläne entwickelt werden. Absurd mutet auch an, dass Bundesverwaltung, Landesverwaltungen und Kommunen im Kritis-Gesetz nicht als kritische Infrastruktur betrachtet werden. Dabei gibt es immer wieder Cyberangriffe auf die behördliche IT-Infrastrukturen. So im vergangenen Jahr zum Beispiel auf die Kommunalwebseiten von Gemeinden in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Gegen Bedrohungen aus der Luft fordern Sicherheitsexperten jetzt auf jeden Fall Gelder für die Drohnenabwehrforschung. Die Luft- und Raumfahrtindustrie fordert eine Nationale Taskforce zur Drohnenabwehr.
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