Parlamentswahl in Tschechien: Tschechien ist nicht Ungarn
Der Rechtspopulist Andrej Babis hat die Parlamentswahl gewonnen. Ob sich das Land massiv nach rechts entwickelt, bleibt abzuwarten.
D er große Sieger heißt Andrej Babiš. Mit knapp 35 Prozent fuhr seine Partei ANO ihr bisher stärkstes Ergebnis ein. Das gelang Babiš auch deshalb, weil er die Sozialpolitik als Thema der Stunde erkannt hat. Ob er all seine Wahlversprechen halten kann, etwa mehr Unterstützung für Familien, Rentner und Arme, ist eine andere Frage.
Auch zwei Rechtsparteien können sich freuen: Die rechtsextreme SPD, die einen EU- und Nato-Austritt fordert, sowie die „Motoristen“, die auf je sieben Prozent kamen. Babiš bräuchte beide für eine Regierungsmehrheit. Gut möglich, dass eine solche an inhaltlichen Differenzen scheitert und ANO in eine Minderheitsregierung geht, gegebenenfalls mit Teilen des alten Regierungslagers.
Doch auch der tschechische Präsident Petr Pavel hat ein Wörtchen mitzureden. Wird er den Milliardär, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, wirklich zum Premier machen? Wohl ja, aber ein Restrisiko bleibt.

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Natürlich sind die 35 Prozent für Babiš nicht erfreulich, er ist Rechtspopulist und EU-Kritiker. Droht nun aber ein Staatsumbau wie in Ungarn und der Slowakei? Höchstwahrscheinlich nicht. Anders als ein Viktor Orbán in Ungarn ist Babiš nicht ideologiegetrieben. An der EU- und Nato-Mitgliedschaft rüttelt er trotz seiner Kritik nicht. Auch der Kampf gegen LGBT+ und Frauenrechte interessiert ihn nicht. Beim Thema Ukrainehilfe besteht leise Hoffnung, dass seine Politik weniger radikal ausfällt als sein Wahlkampf. Er hatte angekündigt, die Ukraine-Hilfen einzustellen. Aber ein Russlandfreund ist er definitiv nicht.
Hinzu kommen wichtige Korrektive, darunter Präsident Pavel, der moderat und proeuropäisch ist. Das einflussreiche Oberhaus im Parlament, wo die Zentristen weiter die Mehrheit haben. Und die tschechische Zivilgesellschaft, deren Wehrhaftigkeit Babiš schon in seiner ersten Regierungszeit zu spüren bekam.
Das Wahlergebnis zeigt: Die Tschechen wollen mehrheitlich Reformen, aber keinen grundlegenden Systemwechsel. Babiš weiß das und wird sich weiter nach dem Wind drehen. Proeuropäisch bleibt er schon aus eigenem wirtschaftlichem Interesse. Bei allen gemischten Gefühlen: Es hätte schlimmer kommen können.
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