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Kommunalwahl in GeorgienEin guter Tag für Putin

Kommentar von

Barbara Oertel

Die Bevölkerung ging nach der Wahl erneut auf die Straße, die Regierung reagiert mit Gewalt und Repressionen. Damit hat auch der Kreml zu tun.

Kommunalwahl in Georgien: Anhänger der Opposition mit georgischen Nationalfahnen versammeln sich, um die Wahl zu boykottieren Foto: Zurab Tsertsvadze/AP/dpa

G eorgiens inhaftierter früherer Präsident Michail Saakaschwili hatte sie ausgerufen – eine friedliche Revolution als letzte Chance zur Rettung der Demokratie in der Südkaukasusrepublik. Dass dieses Szenario am vergangenen Samstag, dem Tag der Kommunalwahlen, nicht Wirklichkeit wurde, hatte wohl kaum jemand ernsthaft erwartet. Doch die Kri­ti­ke­r*in­nen der immer autoritärer agierenden Regierungspartei Georgischer Traum (KO) jetzt abzuschreiben, hieße, die Rechnung ohne einen Großteil der Ge­or­gie­r*in­nen zu machen.

Immerhin gingen Zehntausende von ihnen erneut auf die Straße, um gegen den KO, wachsende Repressionen, die Abkehr der Regierung von einem proeuropäischen Kurs sowie für die Freilassung politischer Gefangener zu demonstrieren. Auf die teils gewaltsamen Zusammenstöße reagierte der KO, der sich wieder einmal als Wahlsieger in Szene setzte, in gewohnter Manier: mit Tränengas, Wasserwerfern und der Festnahme von Protestierenden. Der Einsatz der Sondereinsatzkräfte war, was ebenfalls Methode hat, von einer betont aggressiven Rhetorik begleitet: Feinde Georgiens eben, die den Umsturz der Staats- und Verfassungsordnung proben und bei ihrem schändlichen Tun von diffusen ausländischen Kräften unterstützt werden – der Kreml lässt grüßen.

Zugegebenermaßen steckt die Opposition in einem Dilemma – auch, weil sieben führende Po­li­ti­ke­r*in­nen unter dubiosen Anschuldigungen in Haft sitzen. Dass jedoch einige ihrer Parteien die Wahlen boykottierten, um diese „Farce“ nicht auch noch zu legitimieren, dürfte eher dem KO in die Hände gespielt haben.

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Auch für Russlands Präsidenten Wladimir Putin wird der Samstag ein guter Tag gewesen sein. Moskau, das mit den beiden Regionen Abchasien und Südossetien bereits 20 Prozent des georgischen Territoriums kontrolliert, muss seine Truppen nicht einmal, wie in der Ukraine, einmarschieren lassen, um das Land auf Linie zu bringen. Das besorgt der KO schon selbst.

Auf alle diese Entwicklungen hat die EU – Georgien ist seit 2023 Kandidat für einen Beitritt – bislang keine Antworten gefunden. Eine Aussetzung der Visaliberalisierung für georgische Staats­bü­ge­r*in­nen wird seit längerem in Brüssel diskutiert. Eine kollektive Bestrafung aller Georgier*innen, ernsthaft? Es wäre ein Armutszeugnis, aber leider nicht das erste.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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