Neue Regierung in Frankreich: Ein neues Kabinett der bekannten Gesichter
Auffallend an der neuen französischen Regierung sind die vielen Bisherigen. Experimente kann und will sich Premierminister Lecornu nicht leisten.

Auf den Schlüsselposten gibt es sehr wenig Änderungen: Die vormalige Premierministerin Elisabeth Borne bleibt für die Erziehung zuständig, Manuel Valls (auch er war früher schon mal Regierungschef) hat weiter die Verantwortung für die Überseegebiete, Gérald Darmanin bleibt Justiz- und Bruno Retailleau Innenminister, Rachida Dati ist weiterhin Kulturministerin, Jean-Noël Barrot Außen- und Europaminister, Annie Genevard Landwirtschafts- und Catherine Vautrin Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsministerin etc.
Bei den Neubesetzungen fällt die Rückkehr des ehemaligen Wirtschaftsministers Bruno Le Maire als Staatsminister für die Verteidigung auf. Er übernimmt so das Amt, das Lecornu selbst zuvor innehatte. Beachtet wird auch die Rückkehr des vormaligen Industrieministers Roland Lescure, der an Stelle des ausgeschiedenen Eric Lombard Wirtschafts- und Finanzminister wird. Der ehemalige Haushaltsminister von Präsident Nicolas Sarkozy, Eric Woerth, wird nach einem Freispruch vor Gericht Minister für die Raumplanung, Dezentralisierung und Wohnung.
Selbst die beiden „Neuen“ in Lecornus Ministerkabinett sind bisherige Abgeordnete der Mitte-Rechts-Regierungsparteien. Politisch bleiben diese noch mehr unter sich als vorher in der Regierung Bayrou, in der mit François Rebsamen wenigstens ein ehemaliger Sozialist vertreten war.
Absolute Priorität: Stabilität und ein Haushalt für 2026
Auch parteiunabhängige Leute aus der zivilen Gesellschaft sucht man vergebens auf der freilich noch unvollständigen Liste. Den von Lecornu in seiner Antrittsrede versprochenen „Bruch“ mit der Politik und der Methode seines Vorgängers sucht man vergebens.
Schon so scheint er die größte Mühe gehabt zu haben, in fast vier Wochen dauernden „Konsultationen“ sein Regierungsteam zu bilden. Lecornu möchte mit all diesen Bisherigen auf Kontinuität setzen. Dies soll wohl ein positives Signal an die Finanzmärkte sein, die besorgt auf die wachsende Verschuldung und die politische Instabilität schauen. Erste Ratingagenturen haben kürzlich die Bonität Frankreichs herabgestuft.
Experimente kann sich Lecornu da kaum leisten. In seiner Begründung für die alt-neue Regierung unterstreicht er, dass es die Hauptsorge sein müsse, jetzt gemeinsam für Stabilität zu sorgen. Lecornu räumt ein, es sei notwendig, mit allen anderen Parteien im Parlament zu diskutieren und Kompromisse zu finden. Denn wie sein Vorgänger Bayrou verfügt auch Lecornu nicht über eine tragfähige relative Mehrheit. Um Regierungsvorlagen zu verabschieden und eine allfällige Vertrauensabstimmung überleben zu können, ist er auf die Unterstützung oder die passive Duldung durch einen Teil der Opposition angewiesen.
Seine absolute Priorität ist es, fristgerecht für 2026 einen Staatshaushalt zu verabschieden. Und das wird für die Regierung Lecornu bereits in diesen Tagen zur großen Bewährungsprobe.
Zittern vor der nächsten Vertrauensabstimmung
Bisher hat Lecornu seine Karten nicht aufgedeckt. Die wenigen Vorschläge, die er bisher gemacht hat, um der Schuldenkrise und den Kaufkraftforderungen zu begegnen, stießen auf wenig Echo. Details dazu will Lecornu am Dienstag in seiner Regierungserklärung vor den Abgeordneten der Nationalversammlung liefern. Das einzige Zugeständnis an die Opposition war sein Versprechen, er wolle zur Verabschiedung des Staatshaushalts nicht zum undemokratischen Verfassungsartikel 49.3 greifen, der es der Exekutive erlaubt, die Vorlage ohne Votum und Debatte für angenommen zu erklären.
Die linke Opposition fordert eine sozial gerechtere Verteilung der Steuerlasten mit der Einführung einer Reichtumssteuer für die Wohlhabendsten, wie sie namentlich der Ökonom Gabriel Zucman vorschlägt. Er möchte bei den Reichsten jährlich 2 Prozent zusätzlich kassieren. Das lehnt Lecornu bisher ab. Für die linken Fraktionen in der Nationalversammlung könnte dies Grund genug sein, bei der erstbesten Vertrauensabstimmung für den Sturz der Regierung Lecornu zu votieren.
Diese muss erst dann wirklich zittern, wenn sich auch die Rechtspopulisten von Marine Le Pen frontal gegen die Regierung stellen sollten. Und auch diese sind mit Lecornus Entwurf unzufrieden. Zu den Konzessionen, die sie verlangen, gehört eine härtere Migrationspolitik.
Im Fall von vorzeitigen Wahlen könnten die Rechtspopulisten des Rassemblement National laut Umfragen zudem mit zahlreichen Sitzgewinnen rechnen. Warum also sollten gerade sie dem neuen Premier eine Schonzeit gewähren? Wie schon seine Vorgänger Michel Barnier und François Bayrou sitzt Sébastien Lecornu von Beginn weg auf einem Schleudersitz. Auf dessen Knopf aber können andere drücken.
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