Grüne diskutieren Dienstpflicht: Freie Auswahl, das aber verpflichtend
Mehrere Dutzend Grüne fordern eine Dienstpflicht für junge Menschen. Das Militär soll nicht allein im Zentrum stehen. Trotzdem gibt es Kritik.

Niklas Wagener sagt, er würde sich nicht drücken. Wehrdienst musste er nach der Schule nicht leisten, dafür ist der Bundestagsabgeordnete mit 27 Jahren zu jung. Ein Freiwilligendienst steht auch nicht in seinem Lebenslauf. Zwei Mal, so der Grüne, habe er in den letzten Jahren aber an Wehrübungen teilgenommen, die die Bundeswehr für zivile Führungskräfte anbietet. Und würde sein Vorschlag eines „Gesellschaftsjahres“ Realität, wäre er nach eigenen Angaben dabei: „Ich würde das sehr gerne machen“, sagt der Verteidigungspolitiker.
Auf dem Parteitag Ende November möchte Wagener die Position der Grünen in der Wehrpflichtdebatte verändern. Die Partei, die 2011 für die Aussetzung der Wehrpflicht stimmte und an dieser Linie bis heute mehrheitlich festhält, soll fortan für einen neuen Pflichtdienst werben. In einem vergangene Woche veröffentlichten Antrag skizziert Wagener die Grundzüge seines Modells.
Für Menschen bis 28 Jahre soll das Gesellschaftsjahr verpflichtend werden, unabhängig vom Geschlecht. Anders als früher soll der Dienst an der Waffe nicht mehr die Norm sein, den Betroffene im Zweifel aktiv verweigern müssen. Stattdessen sollen junge Menschen frei wählen können zwischen Bundeswehr, Bevölkerungsschutz (zum Beispiel Feuerwehr oder THW) und einer „sozialen, ökologischen, kulturellen oder sportlichen“ Tätigkeit.
Mindestens neun Monate soll der Dienst dauern, entweder in einem Rutsch oder gestückelt, „um individuelle Lebensplanungen und die Vereinbarkeit mit Ausbildung, Studium und Beruf zu berücksichtigen“. Die Bezahlung soll „fair“ sein, eine Pilotphase 2028 starten. Wer dann, wie Wagener, über 28 ist, wäre zu nichts verpflichtet, könnte das Gesellschaftsjahr aber freiwillig absolvieren – „auch über das Rentenalter hinaus“, wie es im Antrag heißt.
„Krasser Einschnitt in die Selbstbestimmung“
Es ist nicht der erste Vorstoß eines Grünen in diese Richtung. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann wirbt schon länger für ein verpflichtendes „republikanisches Jahr“. Die bayerischen Grünen Katharina Schulze und Florian Siekmann schlugen im Frühjahr einen obligatorischen „Freiheitsdienst“ für alle zwischen 18 und 67 vor. Auch Wagener hat schon häufiger von einer Dienstpflicht gesprochen.
„Das eine ist aber, dass alle paar Monate jemand mit einem Vorschlag an die Medien geht. Das andere ist, als Partei mal eine strukturierte Debatte zu führen und dann auch abzustimmen“, sagt er zur Frage, warum er den Vorschlag zum Thema auf dem Parteitag machen will. Knapp 90 Unterstützer*innen hat der Realo vorab von seinem Antrag überzeugt, darunter mit Anton Hofreiter, Janosch Dahmen und Simone Fischer auch Abgeordnete aus dem linken Flügel.
Allerdings gibt es auch Kritik an der Idee. „Der Antrag versucht mit netten Worten zu beschönigen, was hier eigentlich auf dem Tisch liegt: ein Pflichtdienst für alle jungen Menschen. Das ist ein krasser Einschnitt in unsere Selbstbestimmung“, sagte Henriette Held, neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, der taz. „Wir leben seit Corona eigentlich in einem Dauerkrisenmodus“, so Held weiter. Das Letzte, was es da gerade brauche, sei ein Staat, der „mit Zwang und falschen Vorwürfen der Faulheit um die Ecke kommt“.
Auch Parteichefin Franziska Brantner äußerte sich am Montag skeptisch. Erst mal müsse die Bundesregierung den Wehrdienst attraktiver machen und darauf setzen, „dass Freiwilligkeit funktionieren kann“, sagte sie. Ein Element könne eine „gute Wehrerfassung“ sein, die über junge Leute hinausgeht. In diese Richtung geht auch ein Parteitagsantrag der Abgeordneten Sara Nanni. Sie schlägt eine Onlineplattform vor, auf der Freiwillige zivile und militärische Fähigkeiten eintragen können, „die im Rahmen von Krisen nützlich sein können“.
Keine Mehrheit für Grundgesetzänderung
Mehrere weitere Anträge für den Parteitag richten sich explizit gegen eine Dienstpflicht, darunter einer der Landespolitikerin Katrin Schmidberger aus Berlin-Kreuzberg. „Es ist zielführender und gerechter, wenn endlich die vorhandenen freiwilligen Dienste gestärkt werden“, heißt es auch darin. Über welche Anträge der Parteitag tatsächlich diskutiert, stimmen die Parteimitglieder in dieser Woche online ab. Möglicherweise steht das „Gesellschaftsjahr“ am Ende also gar nicht zur Debatte.
Und selbst wenn sich Wagener parteiintern durchsetzt, bleibt ein praktisches Problem: Für sein Modell müsste das Grundgesetz geändert werden, die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag hätten die oppositionellen Grünen aktuell aber nicht mal zusammen mit SPD und Union.
Ein erster Schritt könnte allerdings eine Enquete-Kommission im Parlament sein, die im Antrag ebenfalls vorgeschlagen wird. Sie solle zunächst zwölf Monate lang über die Ausgestaltung eines Gesellschaftsjahres beraten und dabei auch junge Menschen „verbindlich“ einbinden.
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