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Gewalt in SyrienIn Aleppo schweigen die Waffen wieder

Nach einem Tag sind die Kämpfe zwischen den kurdischen SDF und Regierungstruppen wieder beendet. Die Bevölkerung hofft auf die „Sprache des Dialogs“.

Ein Mann im schwer beschädigten Aleppo, aufgenommen im Juni 2025 Foto: Mahmoud Hassano/reuters

Beirut taz | „Trotz relativer Ruhe hat die Bevölkerung weiter Angst“, sagt Mohamed Amin aus dem Viertel Scheich Maqsoud im syrischen Aleppo der taz am Telefon. In den mehrheitlich kurdischen Vierteln von Aleppo, Scheich Maqsoud und Aschrafieh, kämpften in der Nacht auf Dienstag die kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gegen die Regierungstruppen, die dem syrischen Innenministerium unterstehen. Seit dem Morgen gibt es eine Waffenruhe.

Die Geschichte des Konflikts: Am 1. April hatte ein Komitee der Übergangsregierung mit den Zivilräten der SDF ein historisches Abkommen unterzeichnet: Die kurdisch dominierten Milizen sollten in die syrische Armee eingegliedert werden, die Viertel durften ihre eigene Polizei behalten. Das Innenministerium sollte die bestehenden Checkpoints übernehmen. Seitdem kam es zu Spannungen.

Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung entdeckten jüngst einen Tunnel von den kurdischen Vierteln zum Viertel al-Sabil – das unter der Kontrolle der zentralen Sicherheitskräfte ist. Diese zerstörten den Tunnel. Die Armee stellte sich dann entlang der Grenzen der Stadtviertel neu auf, die Truppenbewegung beunruhigte die Bewohner*innen.

Am Montag riegelten die Truppen dann die Straßen zwischen den kurdischen Vierteln und dem Rest der Stadt weitestgehend ab. „Ein- und Ausgänge zu den zwei Vierteln wurden mit Barrieren geschlossen, den Bürgern war es verboten, sich im Viertel zu bewegen oder es zu betreten“, erklärt Amin. Er ist ehemaliger Bürgermeister des Viertels und Mitglied des politischen Arms der SDF, dem sogenannten Demokratischen Rat Syriens (SDC).

Es ist unprofessionell, dass sich Teile der Armee wie Milizen verhalten und auf Spannungen mit Milizmethoden reagieren

Cédric Labrousse, Syrien-Experte

Die Bewohner hätten friedlich gegen die Belagerung demonstriert, woraufhin die Regierungstruppen mit Tränengas und scharfer Munition reagierten, erzählt der ehemalige Bürgermeister. Einige Betroffene seien mit Atemnot ins Krankenhaus gebracht worden. Die Situation sei weiter eskaliert und es sei zu „direkten Zusammenstößen mit schweren Waffen“ gekommen. Die SDF soll Mörsergranaten eingesetzt haben.

Wer hat wen angegriffen?

Ein Mitglied der staatlichen Sicherheitskräfte wurde getötet, drei weitere verletzt, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Die Rettungsorganisation Weißhelme gab an, dass ein Zivilist getötet und fünf weitere verletzt wurden. Mohamed Amin spricht sogar von 50 Verletzten.

Nach Darstellung der Übergangsregierung hätten SDF-Kämpfer Kontrollpunkte der Regierung angegriffen, daraufhin seien Truppen entsendet worden. Die SDF wiesen das als falsch zurück. Die Kämpfe seien „eine direkte Folge der Provokationen“ der Regierungstruppen und deren Versuche, mit Panzern vorzurücken.

„Es ist unprofessionell, dass sich Teile der Armee wie Milizen verhalten und auf Spannungen mit Milizmethoden reagieren“, schreibt Cédric Labrousse, Doktorand mit Schwerpunkt auf Nordostsyrien. „In der Bevölkerung herrscht große Angst, dass sich die Massaker an Aleviten und Drusen auch in Aleppo wiederholen könnten – dieses Mal an den Kurden“, sagt Kamal Sido von der Gesellschaft für Bedrohte Völker der taz. „In den Stadtvierteln lebten mehrere hunderttausend Kurden. Darunter viele, die 2018 illegal durch die Türkei aus Afrin vertrieben wurden. „Auch viele Christen, insbesondere Armenier, haben in den kurdischen Stadtvierteln Schutz gesucht“, so Sido. Er appeliert an die deutsche Politik und Medien, „das islamistische Regime in Damaskus nicht zu verharmlosen.“

Mohamed Amin hofft, dass die EU und die arabischen Länder ihre Beziehungen zu Syriens Machthabern nutzen, um die Bevölkerung in Syrien zu schützen. „Es besteht die Hoffnung, dass die Sprache des Dialogs die Oberhand behält“, so der ehemalige Bürgermeister.

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