Suche nach Gerechtigkeit: Taliban auf der Anklagebank
Afghanische Exilorganisationen starten in Madrid ein „Volkstribunal für die Frauen Afghanistans“. Die Taliban bleiben lieber fern.

Solche Tribunale stehen in langer Tradition. Sie entstanden 1979 als Nachfolger der Russell-Tribunale, die sich mit US- und anderen Verbrechen während des Vietnamkriegs befassten. Auch Afghanistan war bereits zweimal Thema, 1981 und 1982 während der zehnjährigen sowjetischen Besatzung.
Eine Koalition aus vier afghanischen Exilorganisationen brachte es im vorigen Dezember auf den Weg. Darunter ist die Menschenrechtsorganisation Rawadari, gegründet von Schaharsad Akbar, der früheren Vorsitzenden der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC), die von den Taliban aufgelöst wurde. Das Tribunal soll, so Akbar zur taz, „den Opfern und Überlebenden mit einem Tag im Gericht eine direkte Plattform geben.“
Zwar lädt auch die UNO regelmäßig afghanische Frauen ein, etwa wenn Afghanistan im Sicherheitsrat besprochen wird. Aber sie sucht selbst die Teilnehmerinnen aus. Oft wirkt das wie ein frauenrechtliches Feigenblatt.
Tribunal erhöht Druck auf juristische Institutionen
Die Taliban verweigern dem UN-Menschenrechtsberichterstatter zudem seit zwei Jahren das Visum. Den Handlungsspielraum des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, ebenfalls eine UN-Institution, der im Juli Haftbefehle gegen die zwei wichtigsten Talibanführer stellte, begrenzen Sanktionen der Trump-Regierung.
Eine Vier-Staaten-Initiative mit deutscher Beteiligung, die von den Taliban Rechenschaft über ihre Verpflichtungen nach der UN-Konvention gegen Frauendiskriminierung fordert, kommt nicht voran. Sie stammt noch aus der Baerbock-Phase der feministischen Außenpolitik. Die neue schwarz-rote Regierung setzt andere Prioritäten.
In Madrid werden vier afghanische Staatsbürger*innen als Staatsanwälte fungieren, zwei Frauen, ein Mann, Expert*innen für internationales Recht, Soziologie und Genderfragen. Der Name der/des vierten wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Die Gruppe legt dort einem achtköpfigen internationalen Gericht (sieben Frauen, ein Mann, darunter eine Afghanin), ihre Anklage vor, die sie in Zusammenarbeit mit einem internationalen Rechercheteam schrieben.
Die Anklageschrift wurde auch den Taliban zugeleitet. Eine Reaktion darauf liegt dem Tribunal aber nicht vor. Deshalb berief es eine Pflichtverteidigung.
Zudem werden Zeug*innen gehört. Einige, die im Exil leben, werden persönlich anwesend sein, sagt Akbar der taz, andere werden sich aus Furcht vor Taliban-Unterstützern in Europa in Audio- oder schriftlicher Form äußern.
Frauen wurden auch Opfer der US-Invasion
Aus Afghanistan selbst lägen dem Tribunal neun Aussagen vor. „Wir mussten aus Sicherheitsgründen sehr vorsichtig sein“, erklärte Akbar. Ein*e Zeug*in schlug sich während des kürzlichen Internet-Blackouts in ein Nachbarland durch, um dort die Aussage aufzuzeichnen, berichtet die britische Menschenrechtsexpertin Rachel Reid, die das Tribunal unterstützt.
Zum Abschluss werden die Richter*innen eine vorläufige Erklärung abgeben. Das endgültige Urteil folgt bis Mitte Dezember. Es wird dann der UNO und anderen Gremien zugeleitet. An einer Verurteilung dürfte es keinen Zweifel geben.
Einen Mangel hat das Tribunal: Es lässt die Frauen und deren Familien außen vor, die zwischen 2001 und 2021 zivile Opfer von US-Militärs und verbündeten Truppen wurden. Das birgt das Risiko, eine Hierarchie zwischen verschiedenen Opfergruppen zu schaffen. Genau das hatten afghanische Aktivist*innen wie Akbar kritisiert, als der IStGH 2022 versuchte, Untersuchungen mutmaßlicher Kriegsverbrechen der USA und verbündeter afghanischer und anderer Truppen zu „depriorisieren“. Laut Akbar mangele es dem Volkstribunal dafür an Ressourcen. Sie hofft, wie in den 1980er-Jahren, auf weitere Afghanistan-Tribunale.
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