Welttag gegen die Todesstrafe am 10.10.: „Eine Hinrichtung ist unumkehrbar“
Der Vater von Zhino Beigzadeh Babamiri sitzt in Iran im Todestrakt. Mit der Organisation „Daughters of Justice“ kämpft sie gegen die Todesstrafe.

Am 10. Oktober findet der Welttag gegen die Todesstrafe statt. Ziel des Aktionstages ist es, auf die Todesstrafe weltweit aufmerksam zu machen, und diese abzuschaffen.
taz: Frau Babamiri, ihr Vater sitzt seit mehr als zwei Jahren im iranischen Gefängnis und wurde im Juli 2025 zur Todesstrafe verurteilt. Wie kam es dazu?
Babamiri: Mein Vater arbeitete als Bauer in der kurdisch geprägten Stadt Bukan. Während der Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Oktober 2022 verteilte er medizinische Hilfsgüter. Zu der Zeit hatte man Angst, ins Krankenhaus zu gehen, wenn man eine Wunde hatte, weil zahlreiche Verletzte direkt dort festgenommen wurden. Im April 2023 wurde er dann von Beamten der Revolutionsgarde gekidnappt und 120 Tage gefoltert.
Daraufhin hatte er zwei Gerichtsverfahren, eines vor dem Strafgericht und eines vor dem Revolutionsgericht. Im Strafgerichtsverfahren wurde er gemeinsam mit drei weiteren Personen angeklagt, an einem Mord an einem iranischen Revolutionsgardisten beteiligt gewesen zu sein. Es gibt jedoch keine Beweise und die Angeklagten kennen sich untereinander gar nicht. Beim Strafgericht hatten wir anfangs Hoffnung, weil der Richter kritisch hinterfragte, warum mein Vater überhaupt angeklagt wurde. Er schien zu verstehen, dass die Vorwürfe keinen Sinn ergeben.
taz: Hat das Ihrem Vater geholfen?
Babamiri: Am Ende wurde er zu 15 Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Der Richter, der das Urteil unterschrieb, war am Ende nicht derselbe, der die Verhandlung führte. Mein Vater und die drei anderen Angeklagten tauchen auch in einem anderen Verfahren vor dem Revolutionsgericht auf. Dort geht es um angebliche „Unruhen in der Stadt“, „Spionage“ oder „Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe“. Die Anschuldigungen sind haltlos. Bei diesem Prozess wurden er und die anderen Angeklagten mehrfach zum Tode verurteilt.
taz: Wann soll das Urteil vollstreckt werden?
Babamiri: Bei manchen dauert es Monate, bei anderen nur Stunden.
taz: Haben Sie Hoffnung, dass es noch abgewendet werden kann?
Babamiri: Ich weiß nicht, ob ich hoffnungsvoll sein kann. In einem gerechten Land wäre mein Vater längst freigesprochen worden. Hier hängt jedoch alles von der politischen Stimmung ab, und seit dem 12-Tage-Krieg urteilen die Gerichte besonders hart.
taz: Seit dem 12-Tage-Krieg mit Israel wurden im Iran neue Gesetze verabschiedet für eine strengere Verfolgung von Oppositionellen. Wie wirkt sich das aus?
Babamiri: Das iranische Regime hat viel Angst davor, dass es im Land nochmals zu Protesten kommen könnte. Um die Bevölkerung einzuschüchtern, damit sie nicht auf die Straße gehen und gegen das Regime kämpfen wie im Herbst 2022, wurden zahlreiche Todesstrafen gegenüber Inhaftierten verhängt.
taz: Sie sind Kurdin. Nur 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung des Iran sind Kurden, aber mehr als die Hälfte der Todesurteile betrifft sie. Hat die Verurteilung Ihres Vaters auch mit seiner Ethnie zu tun?
Babamiri: Aus der Perspektive des Regimes sind Kurden Verräter des Landes. Das ist grundsätzlich nur eine weitere Methode der Regierung, um die Bevölkerung zu spalten, indem sie alle Probleme des Landes den Minderheiten zuschiebt. Der Iran ist ein multiethnisches Land mit einer persischen Mehrheitsgesellschaft. Obwohl große Teile davon auch die Regierung hassen, lassen sich viele vom Nationalismus des Regimes begeistern. Die Auswirkungen von 47 Jahren Gehirnwäsche sind deutlich erkennbar. Würde die Mehrheitsgesellschaft andere Ethnien nicht als Problem, sondern als Verbündete sehen, bestünde eine größere Chance, das Regime zu stürzen.
taz: Sie arbeiten mit anderen, deren Angehörige in Iran zum Tode verurteilt wurden, zusammen. Wie sieht das aus?
Babamiri: Wenn man sich dafür einsetzen möchte, Angehörige aus dem Todestrakt zu holen, braucht man Rückhalt. Es geht darum, Informationen zu verbreiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Deshalb haben Maryam Hasani, die Tochter von Mehdi Hasani, und ich die Kampagne „Daughters of Justice“ ins Leben gerufen. Zu Beginn haben wir beispielsweise unsere juristischen, politischen und journalistischen Kontakte ausgetauscht. Ihr Vater wurde im Juli dieses Jahr hingerichtet.
Doch sie und andere Betroffene unterstützen sich weiterhin gegenseitig. Dazu gehören etwa die Töchter der Kurdin Minoo Majidi, die im Herbst 2022 als erste Frau bei den Protesten von den Polizeikräften der Islamischen Republik getötet wurde. Sowie die Tochter des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, der ebenfalls vom Staat getötet wurde. Dann ist da Fatemeh Pishdadian, deren Eltern beide hingerichtet wurden, als sie sechs Monate alt war. Das Ziel von „Daughters of Justice“ ist es, für die Lebenden zu kämpfen und die Gefallenen zu ehren.
taz: Ihr Netzwerk besteht aus Angehörigen verschiedener politischer Lager, darunter Monarchisten, Mujaheddin sowie Kurden wie Sie. Wie funktioniert das?
Babamiri: Genau das ist unsere Stärke: Dass wir uns gemeinsam und konsequent gegen Hinrichtungen einsetzen – unabhängig davon, ob es sich um einen unpolitischen Gefangenen handelt oder gar um jemanden aus dem einem selbst verfeindeten Lager. Denn eine Hinrichtung ist unumkehrbar. Und dieser Zusammenschluss hilft dabei sehr. Viele Leute haben uns voneinander abgeraten. Doch zum Beispiel begannen die Monarchisten, die anfangs nur Gazelle Sharmahd unterstützten, mich als Kurdin zu supporten – was eine große Sache ist.
taz: Was ist das gemeinsame Ziel?
Babamiri: Solange es die Todesstrafe im Iran gibt, machen wir weiter. Und selbst danach wird diese Kampagne aktiv bleiben und mit Erinnerungsarbeit fortfahren. Wir dokumentieren die Vorfälle und machen weltweit darauf aufmerksam, vom Norwegischen Parlament bis zur Europäischen Union und den Vereinten Nationen.
taz: Wie sieht die Unterstützung denn von der UN oder EU aus?
Babamiri: Mein Vater wird von dem deutschen Abgeordneten Sebastian Eberding von der Tierschutzpartei im Europäischen Parlament vertreten. Gemeinsam mit ihm konnte ich auch im Europäischen Parlament auf den Fall meines Vaters und der anderen Betroffenen aufmerksam machen. Die EU und die UN zeigen sich besorgt über die Todesurteile. Es ist gut, dass sie sich dessen immerhin bewusst sind.
Irgendwann sollte es jedoch auch um aktive Handlungen gegen das Regime gehen. Beispielsweise Richtlinien zu erlassen, die dabei helfen, dass die Richter und Regime-Mitglieder für ihre Taten persönlich zur Rechenschaft gezogen werden und Konsequenzen für ihr Handeln tragen.
taz: Und unterstützt Sie das Land Norwegen, dessen Bürgerin Sie sind?
Babamiri: Als norwegische Staatsbürgerin konnte ich im Parlament über meinen Vater und seine drohende Hinrichtung sprechen. Später habe ich auch vom norwegischen Premierminister erfahren, dass er über den Fall meines Vaters Bescheid weiß und dass jemand in der norwegischen Botschaft im Iran seinen Fall weiterverfolgt. Das ist beeindruckend, denn mein Vater ist kein norwegischer Staatsbürger und Norwegen neigt normalerweise dazu, sich gegenüber dem Regime eher neutral zu verhalten.
Ich werde weiter Druck machen und mich weiter dafür einsetzen, dass zumindest die Todesstrafe von meinem Vater abgewendet wird. Es ist wichtig, dass die EU, UN und einzelne Regierungen im Gespräch mit dem Regime immer wieder die Abschaffung der Todesstrafe thematisieren. Denn ich weiß, dass sich nichts im iranischen Justizsystem von allein ändern wird, sondern nur mit politischem und wirtschaftlichem Druck.
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