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Reform des BürgergeldsKommt jetzt Hartz IV zurück?

Die Bundesregierung hat ihre neue Grundsicherung vorgestellt. Wie ein Arbeitsmarktforscher die Vorschläge beurteilt.

Demonstrant:innen auf der Leipziger Montagsdemonstration gegen die geplante Arbeitsmarktreform Hartz IV am 30. August 2004 Foto: Seeliger/imago

Berlin taz | Der Kampf um die Deutungshoheit hat begonnen. Seit die Bundesregierung am Donnerstag ihre Reform des Bürgergelds vorgestellt hat, das nun Grundsicherung heißen soll, wird gestritten, wie tiefgreifend die Veränderungen tatsächlich sind. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, frohlockte schon während der Pressekonferenz CSU-Chef Markus Söder.

Unionsfraktionschef Jens Spahn will sogar eine „neue Ära der Arbeitsmarktpolitik“ erkennen. SPD-Chefin Bärbel Bas dagegen verteidigte am Freitag den Kompromiss, auch gegen Kritik ihrer Jusos. Es würden lediglich die Mitwirkungspflichten durch neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“.

Experten sind mit ihrer Einschätzung zurückhaltender. „Für eine Bewertung ist es noch zu früh“, sagt etwa Joachim Wolff, der zum Bürgergeld und der Grundsicherung am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) in Nürnberg forscht. Wie hart die angekündigten Sanktionen am Ende im Gesetzestext stehen und wie diese dann in der Praxis angewandt werden, ist im Konzept der Bundesregierung nicht ersichtlich.

Ungeklärt ist beispielsweise, wie die Regierung umsetzen will, dass bei mehrfachen Meldeversäumnissen auch die Kosten der Unterkunft nicht ausgezahlt werden. Werden die Zahlungen nur zeitweise gestoppt und zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend ausgezahlt – etwa wenn ein Leistungsberechtigter wieder zum Termin im Jobcenter erscheint? Vermutlich meint die Bundesregierung es so – und das wird von den Jobcentern in der Praxis schon jetzt regelmäßig so gehandhabt.

Zurück auf Hartz

Oder handelt es sich um eine echte Streichung der Kosten der Unterkunft? Das wäre rechtlich nur schwer umsetzbar, sagt Experte Wolff: „Hinter das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann man nicht zurück“. Das Gericht hatte 2019 geurteilt, dass es für Sanktionen, die an das Existenzminimum gehen, enge Grenzen gibt.

Die Antwort auf diese Frage entscheidet auch darüber, ob die Reform im schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass mehr Menschen ihre Wohnung verlieren. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in der ARD beschwichtigt: „Es wird in Deutschland niemand obdachlos.“

Ist die neue Grundsicherung nun das alte Hartz IV, wie die einen kritisieren und wie es sich die anderen erhoffen? Ganz so eindeutig ist es nicht. „Es ist schon ein Kompromiss erkennbar“, sagt Experte Wolff. Die strengeren Sanktionen, insbesondere für das Verpassen von Terminen, erinnerten teils an die ursprünglichen Hartz-Reformen.

Doch in einer anderen Frage könnten sich die SPD und Befürworter des Bürgergelds durchgesetzt haben: Weiterhin müssen Leistungsberechtigte Arbeit wohl nicht um jeden Preis annehmen. Kanzler Merz sagte bei der Vorstellung der Reform am Donnerstag, dass der „Vermittlungsvorrang zurück“ sei. Dementgegen gibt die Reform den Jobcentern auch in Zukunft die Möglichkeit, auf Berufsausbildung und Qualifizierung zu setzen, statt Menschen zur Aufnahme einer Arbeit zu zwingen.

Qualifizierung gegen Hilfsbedürftigkeit

„Qualifizierung kann im Einzelfall der bessere Weg sein, um nachhaltig aus der Hilfebedürftigkeit herauszukommen“, sagt Wolff, „weil qualifizierte Arbeit besser bezahlt wird.“ Hier bleibt also eine Errungenschaft aus dem Bürgergeld voraussichtlich weitgehend erhalten.

Eine weitere Änderung plant die Bundesregierung für Menschen, die mehrfach Arbeitsangebote ablehnen. Bereits heute können diese Menschen, die oft als "Totalverweigerer" diffamiert werden, unter Umständen ihren kompletten Regelsatz per Sanktion verlieren. In Zukunft soll das bereits nach dem ersten abgelehnten Jobangebot passieren.

Fraglich ist jedoch, ob das rechtlich umsetzbar ist. Denn um den Vorgaben des Verfassungsgerichts zu genügen, ist die aktuelle Regelung aus Zeiten der Ampel-Regierung so kompliziert, dass sie in der Praxis kaum Anwendung findet. Wolff hat erst vor kurzem eine Studie dazu vorgelegt und bundesweit nur eine „niedrige zweistellige Zahl“ von Fällen gefunden.

Sanktionen können helfen

Grundsätzlich zeigen Forschungsergebnisse allerdings, dass Sanktionen tatsächlich dazu führen können, dass Menschen schneller eine Arbeit aufnehmen, auch wenn sie gar nicht selbst von ihnen betroffen sind. Zu hohe Sanktionen könnten laut Experten des IAB allerdings kontraproduktiv wirken. Wer so stark sanktioniert werde, dass er in der Folge beispielsweise Probleme habe, seine Stromrechnung zu bezahlen, werde dadurch eher nicht dazu motiviert, nach Arbeit zu suchen.

Zuletzt hat die Bundesregierung angekündigt, Langzeitarbeitslose in Zukunft enger betreuen zu wollen, mit „hoher Kontaktdichte“. Wolff begrüßt dieses Vorhaben, stellt aber fest: „Dafür braucht es an den Jobcentern zusätzliches Personal und Mittel“. Ob die Bundesregierung, deren Chef gern behauptet, im Bürgergeld Milliarden sparen zu können, dafür Geld bereitstellt, ist ungewiss.

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15 Kommentare

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  • HartzIV--->Bürgergeld--->HartzV - Was ist anders? Dieses Mal sind die Grünen nicht dabei, zumindest bis jetzt nicht. Aber das kann sich schnell ändern.

  • Langzeitarbeitslose besser zu betreuen, ist grundsätzlich eine gute Idee. Aber dann braucht es eben, Heureka, mehr Milliarden für Personal und Betreuung.

    Überhaupt sollten wir uns im Land fragen, wofür wir unser Geld ausgeben wollen.

    Nur Militär, um dann einen Schrotthaufen zu verteidigen?

    Die SPD schafft es seit den Hartzreformen nicht mehr zu definieren, wie sinnvolle soziale Sicherung für die ganze Bevölkerung aussehen soll.

    Vor allem schafft sie es nicht, zu priorisieren und dann auch zu finanzieren. Die Partei bringt einfach nicht mehr die Kraft auf.

    Auch die hochgelobte Bärbel Bas, die es aufgrund ihrer Herkunft eigentlich besser wissen sollte, ist daran schon gescheitert.

    Deswegen prophezeie ich hier einfach mal überprüfbar:

    2026 bekommt Berlin eine linke Bürgermeisterin.

    Bei der nächsten Bundestagswahl werden die sich jetzt noch sicher fühlenden, dann in "Hartz 5" landenden Facharbeiter erkennen, dass die "Reformen" nicht in ihrem Interesse sind.

    Und die SPD wird marginalisiert hinter den Linken landen. (Vielleicht hat sie dann wieder Solidarität mit Marginalisierten.)

    Toll ist das nicht, denn die Erschütterungen werden immer schlimmer.

  • Die allermeisten Leute gehen einer Beschäftigung mit 20, 30 oder 40 h pro Woche nach. Und schaffen es, ihr Leben auch formal (Rechnungen bezahlen, Amtstermine wahrnehmen...) zu bewerkstelligen. Andere können in dieser Zeit nicht mal 1 oder auch mehrere Termine pro Woche oder Monat unterbringen.



    Laut Frontal im ZDF haben mit dieser Tatsache 85 % der Wähler ein Problem. Das kann man jetzt akzeptieren und versuchen es zu verbessern.



    Mein Eindruck, ohne zu wissen was abschließend im Gesetztestext steht. Man versucht es zu wenig.

  • In letzter Konsequenz geht es hier um eine Frage des Menschenbildes.







    Jeder Mensch hat den grundlegenden Wunsch nach Teilhabe an der Gesellschaft..und das Bedürfnis seinen/ihren Beitrag am Gemeinwesen zu leisten. Es gibt allerdings zahlreiche verstörende oder traumatisierende Ereignisse, die dieses Grundbedürfnis blockieren oder gar ins revanchistische wenden können.







    Nun kann eine Gesellschaft auf zweierlei Weise damit umgehen:

    a) sie versucht Menschen zu motivieren und ihre Potenziale zu wecken. Was bei den meisten ohnehin gut klappt. Aber eben bei einigen durch Altlasten, psychische Probleme oder aktulle Einschränkungen nicht ohne weiteres funktioniert. Diese Menschen brauchen zu allererst jemanden zu dem sie Vertrauen aufbauen können, der sie "dort abholt wo sie gerade sind" und der ihnen Brücken baut..die schließlich in ein selbstbestimmtes Arbeitsleben führen..







    b) sie interessiert sich nicht für deren Befindlichkeiten, betrachtet sie als egoistische "Totalverweigerer"..setzt sie maximal unter Druck, zwingt sie de Facto zu irgendeiner Tätigkeit und verhindert damit eine *Teilhabe aus Überzeugung*..

    In welcher Gesellschaft..mit welchem Menschenbild wollen wir leben.??

    • @Wunderwelt:

      Das ist eine perfekte Zusammenfassung, danke!

  • Letztlich ist es wieder alter Wein in neuen Schläuchen.

    Um künftig die ständigen Umbenennungen zu vermeiden, die ja auch Geld kosten, schlage ich vor, die Leistung IWG (Irgendwelches Geld) zu nennen. Dann können wir uns wenigstens DEN Zirkus sparen.

  • Oh man, und bei all dem Quatsch ist immer die SPD dabei. Von Anfang an und jetzt sogar wie ein Ping Pong Ball der hin und her springt.



    In die letzte Regierung sind sie gegangen (und gekommen) um Harz abzuschaffen, treten dann aber mit ner totalen Versagertruppe an und schieben später dann ihr versagen auf die Harzer (und Asylanten und wer sich halt nicht wehren kann), gehen dann in die nächste Regierung um die bösen Harzer und Asylanten (und den Rest) dann an die Karre zu pinkeln. Das ganze allerdings wieder mit ner neuen Versagertruppe. Und es geht mit dem Land trotzdem weiter bergab, obwohl schon so vielen an die Karre gepinkelt wurde.



    Und was soll als nächstes kommen? Wem gibt man dann die Schuld?

    Da bleiben dann leider nicht mehr viele übrig denen man noch die Schuld geben können wird. Und dann? Was ist der Plan?

  • Zwei Beispiele für Jobs, die ich als "Hartzerin" machen musste: Über eine Zeitarbeitsfirma kam ich zu einem sehr großen Verlag. Die Mitarbeiter hatten so wenig Lust auf eine unqualifizierte Mitarbeiterin, dass sie nicht mit mir sprachen und statt mich in den anspruchsvollen Job einzuarbeiten, gaben sie mir falsche Infos. Nach ein paar Wochen Kampf konnte ich nicht mehr - das war dem Jobcenter aber egal... Sehr viel später bewarb ich mich in Eigeninitative für einen Job an einer Schule. Es stellte sich heraus, dass ich überfordert war, ohne Ausbildung in diesem Bereich, mit einer "Horde" Kinder klarzukommen. Ich konnte nicht die Sicherheit der Kinder gewährleisten - in einem Raum mit u.a. 5 Elektrosägen. Auch das war dem Jobcenter egal... So kann es aussehen, wenn man Jobangebote nicht ablehnen darf......

  • Die Jobcenter haben letztes Jahr 10,7 Milliarden ausgegeben, davon allein 7,7 Milliarden für die Verwaltung und 3,8 Milliarden für Förderungen.



    Wenn aber für die Verwaltung doppelt soviel ausgegeben wird als für die Förderung, versteht man wo die Prioritäten der Regierung liegen. Kontrolle! Jedoch nicht die Kontrolle derer, die Milliarden am Staatshaushalt vorbei schleusen, nein, es geht um die Kontrolle jener die 1,23 € nicht angegeben haben. Das ist aber auch verständlich, denn letztgenannte schmeissen am Wochenende keine Koksparty, laden nicht auf die Rennstrecke ein oder zu den Feierlichkeiten welcher Preisverleihung auch immer. Wieviel Steuerbetrüger sich bei diesen Gelegenheit einschleimen, dazu fehlt es leider an jeglicher Statistik.



    Die unteren 80% der Bevölkerung hat man einfach besser im Griff, von denen man 10% nach Belieben treten darf.

  • Die Union dreht das Rad zurück, Cannabislegalisierung, Einbürgerung, Bürgergeld, alles zurück auf 90er. Man negiert, dass es ein Problem in diesen Bereichen gab, eine überbordende Ignoranz als Politik, und die Probleme: bleiben natürlich, Hauptsache das bürgerliche Mütchen wird gekühlt.

  • Was ändert sich denn großartig? Es müssen Termine beim Jobcenter und Jobangebote wahrgenommen werden - wie schrecklich. Das sollt eigentlich selbsverständlich sein

  • "Zu hohe Sanktionen könnten laut Experten des IAB allerdings kontraproduktiv wirken. Wer so stark sanktioniert werde, dass er in der Folge beispielsweise Probleme habe, seine Stromrechnung zu bezahlen, werde dadurch eher nicht dazu motiviert, nach Arbeit zu suchen."

    Ich bin überhaupt kein Freund von mehr Sanktionen.

    Aber nur von der Logik her: wieso soll jemand, der seine Stromrechnung nicht bezahlen kann, dann nicht motiviert sein nach Arbeit zu suchen?

  • taz: *Unionsfraktionschef Jens Spahn will sogar eine „neue Ära der Arbeitsmarktpolitik“ erkennen.*

    Die erkennt nicht nur "Masken"-Spahn, die erkennt jeder, der noch denken kann. Bürgergeldempfänger (oder wie immer man die armen Menschen auch demnächst tituliert) werden wieder gedemütigt, in jeden Hilfsarbeiterjob gepresst und mit Obdachlosigkeit bedroht. Geht es da tatsächlich um die Bürgergeldempfänger? Wer das immer noch glaubt, der ist wohl sehr naiv. Um Hartz-IV-Empfänger oder Bürgergeldempfänger ging es noch nie, denn wir haben kaum noch Jobs von denen man auch leben kann. In Wahrheit geht es immer nur um die Arbeitnehmer, denn wenn man Hartz4/Bürgergeldbezieher schlecht behandelt, dann wird der kleine Arbeitnehmer es sich nicht wagen eine Lohnerhöhung oder bessere Arbeitsbedingungen zu fordern.

    Und wenn man demnächst wieder Angst erzeugt hat, dass der Arbeitnehmer eventuell auch in die 'Grundsicherung' gesteckt wird - wenn er nicht brav ist - dann kommt Teil 2 der merz'schen Arbeitsmarktpolitik (die "Masken"-Spahn sofort erkannt hat). Merz forderte nämlich im Mai 2025 "mehr Arbeit für den Wohlstand". Welchen Wohlstand der "ehemalige" BlackRock-Lobbyist da wohl gemeint hat?

  • Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in der ARD beschwichtigt: „Es wird in Deutschland niemand obdachlos.“

    Na dann bin ich ja beruhigt. Die hunderttausenden Obdachlosen in Deutschland sind offenbar nur eingebildet.

  • Arbeitswelt, die sich in tariflich geschützte Inseln, prekarisierte Zonen ufspaltet, bleibt Streikrecht für jene, die es am dringendsten bräuchten unerreichbar. Wer außerhalb Tarifgemeinschaften steht, Leiharbeiter:innen, Solo-Selbstständige, Minijobber, Arbeitslose ist nicht nur rechtlich entkoppelt, sondern dazu politisch entmachtet. Gewerkschaften, einst Bollwerk kollektiver Interessen, sind da schachmatt gestellt. Die Politik? Schweigt nickt ab.



    Figur „Totalverweigerers“, wie sie Studien inszenieren, wirkt wie Projektion politischer Wunschbilder disziplinierter Problemfall, der sich dem System entzieht. Doch was als Verweigerung gilt, ist oft Erschöpfung, Demütigung, struktureller Gewalt. Seit Hartz-IV-Gesetzen 2003 erleben viele Arbeitslose nicht nur ökonomischen Druck, auch psychisch demütigende Zermürbung durch Sanktionen, unterqualifizierte Jobs, erzwungene Preisgabe von Vermögen und Würde zugunsten privater kirchlicher staatlicher Arbeitgeber.



    Arbeitsagentur agiert soi oft als Vollstrecker politischer Mehrheitsmeinung: Anpassung statt Aufbegehren. Wer sich verweigert, wird medial vorgeführt nicht Mensch im Ausnahmezustand, als Störfall. Her mit Politischem Streikrecht!