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Russische LuftangriffeVerletzte und Stromausfälle in Kyjiw

In der Nacht zu Freitag wurde die Ukraine mit über 450 Drohnen angegriffen. Allein in Kyjiw gab es 12 Verletzte, in Saporischschja starb ein Kind.

Aufräumarbeiten nach einem russischen Drohnen- und Raketenangriff am 10. Oktober 2025 in Browary bei Kyjiw

Kyjiw taz | Mindestens 12 Verletzte – das ist die Bilanz des russischen Luftangriffs auf Kyjiw in der Nacht zu Freitag. In vielen Stadtteilen fielen Strom und Wasser aus. In den Vierteln östlich des Dnipro brach die Versorgung komplett zusammen. Auch der öffentliche Nahverkehr funktioniert nur noch partiell. Der aktuelle Angriff zielte vor allem auf die kritische Infrastruktur. Aber auch Wohnhäuser wurden getroffen.

Die 56-jährige Larysa Myrsa fegt Asche aus dem Eingang eines Hauses im Stadtteil Petschersk im Kyjiwer Stadtzentrum. Noch gestern war das, was heute Asche ist, ihre Möbel und anderer Besitz. Larysa hatte geschlafen, als gegen zwei Uhr nachts eine „Shahed“-Drohne in das 17-stöckige Wohngebäude einschlug. Ein Großbrand erfasste mehrere Etagen des Hauses, auf dessen einer Seite ein riesiges Wandgemälde eines Mädchens in einem traditionell bestickten Hemd – einer Vyshyvanka – zu sehen ist. Gesicht und die Vyshyvanka des Mädchens waren heute von dichtem Rauch verhüllt.

„Ich bin gerade in einem euphorischen Zustand, weil wir überlebt haben. Aber auch unter Schock, weil wir uns alle so erschrocken haben“, sagt sie. „Als nachts die Fenster auf mich fielen, dachte ich wirklich, das war’s jetzt“, erzählt sie. „Ich habe bettlägerige Eltern, darum gehen wir nicht in den Schutzraum. Wir schaffen das einfach nicht. Aber wir haben wirklich Glück gehabt, dass wir noch leben. Andere sind jetzt auf der Intensivstation“, meint Larysa und zeigt dabei auf die Blutflecke auf dem Fußboden.

Sechs Stunden Luftalarm

Der Luftalarm dauerte in Kyjiw in der letzten Nacht sechs Stunden. Die taz-Korrespondentin konnte zwischen ein und sieben Uhr nachts ständige Explosionen hören – erst von Drohnen, dann von russischen Raketen.

Die 30-jährige Köchin Kateryna Fastowez ist mit ihrem sechsjährigen Sohn Ihor auf dem Weg in eine Schule, wo eine Versorgungsstelle eingerichtet wurde, um ihr Telefon aufzuladen und Wasser zu holen. „An den Beschuss haben wir uns längst gewöhnt, aber ich hätte nicht gedacht, dass so schnell die Strom- und Wasserversorgung zusammenbrechen würde“, sagt sie.

„Wir müssen uns wohl schon wieder auf die kalte Jahreszeit vorbereiten – mit Taschenlampen und Kerzen. Das ist alles ziemlich schwer, auch, weil mein Sohn dauernd krank wird, wenn es in der Wohnung so kalt ist, erzählt Kateryna, während Sie Ihor an der Hand hält. Dem Jungen geht es auch jetzt nicht gut nach der Nacht im kalten Luftschutzraum.

Die Mitarbeiter von Cafés und Geschäften in ihrer Nachbarschaft bringen bereits Generatoren auf die Straße und schließen sie an.

Ohne Strom und Wasser

„Heute sind mehr als 5.800 Wohnhäuser – sowohl Blocks als auch Einfamilienhäuser – ohne Strom. Die Versorgungsdienste arbeiten an der Wiederherstellung. Außerdem ist fast im gesamten Stadtgebiet ein Druckabfall im Wasserversorgungssystem festgestellt worden“, teilte der Leiter der Militärverwaltung der Stadt Kyjiw, Timur Tkachenko, auf seinem offiziellen Telegram-Kanal mit. In Kyjiw und neun Gebieten der Ukraine wurden laut Angaben der staatlichen Energieversorgers „Ukrenerho“ Notstromabschaltungen eingeführt. Überall sind Reparaturteams im Einsatz.

Auch andere Gebiete der Ukraine wurden in der Nacht angegriffen. Präsident Wolodymyr Selenskyj gab bekannt, dass es insgesamt mehr als 450 Drohnen und über 30 Raketen waren. Landesweit gibt es mehr als 20 Verletzte. In Saporischschja starb ein Kind durch Beschuss.

Larysa ist derweil fertig mit dem Fegen. „Es ist nicht das erste Mal, dass wir unter Beschuss geraten. Und leider wohl auch nicht das letzte Mal“, sagt sie und blickt zu den Fenstern ihrer Wohnung hinauf. Dort ist jetzt nur noch ein schwarzes Loch zu sehen.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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