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Parlamentswahlen in den NiederlandenUnd wohin jetzt?

Kommenden Mittwoch geht es um mehr als nationale Politik. Der Ausgang der Wahl wird Signalwirkung für den Umgang mit Rechtspopulismus in ganz Europa haben.

Ein Poster von Geert Wilders, auf dessen Mund ein Foto des jungen Johan Cruyff klebt Foto: Robin Utrecht/HH/laif

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Tobias Müller aus Amsterdam

In den Niederlanden wird am kommenden Mittwoch ein neues Parlament gewählt. Dabei deutet sich ein richtungsweisender Dreikampf an. In den Umfragen liegt die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) vorn. Bei Redaktionsschluss dieser Wochentaz kam sie in Umfragen auf 29 bis 35 der insgesamt 150 Sitze.

Doch auch der Christen-Democratisch Appèl (CDA) sowie das rot-grüne Bündnis aus Partij van de Arbeid (PvdA) und Groenlinks liegen mit jeweils 22 bis 26 Sitzen aussichtsreich im Rennen – zumal fast die Hälfte der Wäh­le­r:in­nen ihre Entscheidung noch nicht getroffen hat.

Dem Urnengang gehen zwei besonders turbulente Jahre voraus: Bei der letzten Wahl im November 2023 erzielte die PVV einen Erdrutschsieg. Es folgten langwierige und komplexe Koalitionsverhandlungen, aus denen im Sommer 2024 eine Rechtsregierung hervorging.

Weil PVV-Chef Geert Wilders innerhalb der Koalition nicht als Premierminister durchsetzbar war, wurde der parteilose Dick Schoof ins Amt gehoben. Doch er musste zusehen, wie die PVV das Bündnis nach knapp einem Jahr an einem Streit über eine noch rigidere Asylpolitik scheitern ließ.

Doppelt brisante Konstellation

Vor der Wahl ergibt sich nun eine doppelt brisante Konstellation. Inhaltlich, weil schwerwiegende Probleme (Wohnungsnot, Stickstoffkrise, Inflation) nicht gelöst sind. Hinzu kommt, dass nach zwei verschenkten Jahren, geprägt von internen Querelen in der Regierung und deren obsessivem Fokus auf die vermeintlich strengste Zuwanderungspolitik Europas, das Land tief gespalten und das Vertrauen in die Politik zugleich angeschlagen ist.

Vor diesem Hintergrund erhält der Dreikampf um die politische Richtung eine besondere Tragweite. Ein erneuter Wahlsieg der PVV könnte eine weitere Radikalisierung des rechtspopulistischen Diskurses einleiten. Ein Sieg von Rot-Grün mit Spitzenkandidat Frans Timmermans – dem einstigen „Mr. Green Deal“ – würde einen Kurswechsel nach links markieren.

Oder es kommt zu einer Konsolidierung in der Mitte, wie sie der christdemokratische Hoffnungsträger Henri Bontenbal verspricht: kein Merz, kein Kurz, sondern ein Mann der Mitte, angetreten mit dem Ziel, der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken.

Anders als 2023, als Wilders sich im Wahlkampf um Koalitionsfähigkeit bemühte und einen moderateren Ton anschlug, tritt die PVV diesmal mit harten Parolen auf. „Die Niederlande sind voll, übervoll, bombenvoll“, heißt es im Wahlprogramm.

Wellen in der Gesellschaft

Das Land wolle man mit einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge, der Schließung von Asylunterkünften und massiven Abschiebungen „zurückerobern“. Wilders versprach unlängst im Parlament, nicht zu ruhen, bis das letzte Wohnheim für Asyl­be­wer­be­r:in­nen geschlossen sei.

Diese Rhetorik hat längst Wellen in der Gesellschaft geschlagen. Seit Jahren kommt es zu Protesten gegen Asylunterkünfte in zahlreichen Gemeinden. Zudem hat sich das Narrativ einer „gefestigten Ordnung“ etabliert, die laut PVV ihre Regierungsarbeit blockiert habe – durch die Bedenken des höchsten Verwaltungsgerichts und den Widerstand anderer Parteien. Dieses Bild funktioniert als niederländisches Äquivalent zu den Mythen der „gestohlenen Wahlen“ in den USA oder Brasilien und ist unter PVV-Anhänger:innen fest verankert.

Im Gegensatz zu 2023 distanziert sich die liberal-rechte VVD diesmal klar von Wilders. Auch keine andere etablierte Partei will sich nach den jüngsten Erfahrungen auf eine Koalition mit der PVV einlassen. Damit ist eine Regierungsbeteiligung oder gar das Amt des Premierministers für Wilders nahezu ausgeschlossen.

Weitreichende Anschlussfähigkeit besitzt jedoch der PVV-Punkt „Remigration“, der sich auch in den Programmen vier weiterer rechter Parteien – von bürgerlich bis „alt-right“ – findet. Ebenso hat sich die Forderung nach einem Asyl-Aufnahmestopp in der öffentlichen Meinung verfestigt und ist laut Umfragen mehrheitsfähig.

Neue Rolle

Die Dominanz des rechtspopulistischen Diskurses hat auch die Linke verändert: Die sozialdemokratische PvdA und Groenlinks treten erneut mit gemeinsamer Liste und Programm an und wollen sich 2026 zusammenschließen. Spitzenkandidat Timmermans schwor die Parteibasis nach dem Zerfall der Rechtskoalition auf diese neue Rolle ein: den Rechtsruck mit vereinten Kräften stoppen. Auf einem Kongress europäischer Sozialdemokraten brachte er die Hoffnung zum Ausdruck, die Niederlande könnten hier ein Vorbild für Europa werden.

Inhaltlich dominiert bei der rot-grünen Liste diesmal die sozial-ökonomische Agenda gegenüber der ökologischen. Man präsentiert sich als „soziale Mehrheit“ und setzt auf Themen wie Wohnungsbau, höhere Löhne, Gesundheit und Pflege. Timmermans betont im Wahlkampf, seine Partei sei angesichts des allgemeinen Rechtsrucks die einzige, die an diesen Zielen festhalte. Sprecher Jorgen Trommelen nennt das Bündnis gegenüber der Wochentaz daher „die einzige Garantie für ein linkes, progressives Kabinett“.

Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Eine solche Garantie gibt es nicht, und das entsprechende Stimmenpotenzial ist auf etwa 30 Prozent begrenzt – darin eingeschlossen sind bereits progressiv-liberale Parteien wie D66 und Volt. Um zu beweisen, dass das rot-grüne Projekt mehr ist als die Summe zweier Mittelklasseparteien, müssen Timmermans und Co. im Schlussspurt des Wahlkampfs alles richtig machen.

Aufgewühltes Land

Erschwerend kommt hinzu, dass Rot-Grün deutlich weniger potenzielle Koalitionspartner hat als der CDA mit seinem Hoffnungsträger Bontenbal. Dieser erinnert inhaltlich an den früheren Premier Jan Peter Balkenende, der das aufgewühlte Land nach dem Aufstieg und der Ermordung Pim Fortuyns zu stabilisieren versuchte. „Populistische Politik zerrüttet die Gesellschaft“, schreibt Bontenbal in seinem aktuellen Buch und folgert, „Den Haag“ habe sich in den vergangenen Jahren „von populistischer Politik geißeln lassen“.

Das Wahlergebnis wird auch Aufschluss darüber geben, ob die Nie­der­län­de­r:in­nen sich nun von diesem Kurs abwenden und die vergangenen beiden Jahre als lehrreichen Schock begreifen – mit möglicherweise nachträglich gezogener Brandmauer. Oder ob sich der Diskurs der PVV weiter normalisiert hat. Auch deshalb wird Europa am Mittwoch aufmerksam nach Den Haag blicken.

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