Regierungsbildung in Frankreich: Selbst Lecornu will nicht „irgendwas“ machen
Selbst bisherige Regierungsparteien legen sich quer bei Premier Lecornus Versuch, ein Ministerkabinett zu bilden. Der spricht schon von erneutem Abgang.

Der „Gemeinsame Sockel“, den Macron bei einer Aussprache mit Parteispitzen am Freitagnachmittag für solide hielt, ist innerhalb weniger Stunden in Staub zerfallen. Lecornu II. wirkte am Sonntag mit seiner Mission so allein wie der Staatschef angesichts der Kritik seine bisherigen Vertrauten.
Republikaner und Zentrumspartei steigen aus
Am Samstagnachmittag teilten die Konservativen der Partei Les Républicains (LR) nach einer turbulenten internen Diskussion mit, sie würden sich nicht mehr an der nächsten Regierung beteiligen. Hingegen würden sie aus „Verantwortungsbewusstsein“ dazu beitragen, dass Frankreich mit einem Staatshaushalt seine Stabilität wiederfinde. Die LR gehörten nicht zu denjenigen, die jetzt zusätzlich „Chaos schaffen“ wollten.
In den Reihen der Abgeordneten und Senatoren dieser Partei, die seit einem Jahr Minister auf Schlüsselposten stellte, gehen die Meinungen zu dieser Frage aber angeblich so sehr auseinander, dass die Einheit und weitere Existenz der Partei fraglich wird.
Im Anschluss an den Korb, den der LR-Parteivorsitzende und Ex-Innenminister Bruno Retailleau dem alt-neuen Premier Lecornu gab, ging auch die kleine Zentrumspartei UDI auf Distanz.
Selbst Macronisten gehen auf Distanz
Und auch innerhalb der Macronisten schwindet Macrons Autorität rapide. Sein früherer Premierminister Edouard Philippe hatte angekündigt, seine eigene Partei „Horizons“ habe nicht die Absicht, weiterhin in einer zweiten Regierung Lecornu zu verbleiben. Er hatte sogar Macron aufgefordert, mit vorzeitigen Präsidentschaftswahlen den Weg aus der Krise zu öffnen.
Die bisherigen Koalitionspartner wollen nur noch Passivmitglieder in Macrons „Klub“ sein, wohl um später nicht für das absehbare Scheitern von Lecornus „Mission“ und die Sturheit des Präsidenten mitverantwortlich gemacht zu werden.
Der Vorsitzende der Macronisten-Partei „Renaissance“, Ex-Premierminister Gabriel Attal, ging nicht ganz so weit. Zu seiner Meinung zu Lecornus wiederholten Nominierung befragt, antwortete Attal wortkarg: „Das ist eine Entscheidung des Präsidenten“. Man soll verstehen, dass er sie nicht billigt. Sowohl Attal wie Philippe und der Konservative Retailleau wollen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antreten. Und das Erbe des Macronismus wird langsam zu einem Ballast.
Linke ist zerstritten
Auf der Seite der linken Opposition haben die Sozialisten jede Absicht, sich an einer Lecornu-Regierung zu beteiligen, dementiert. Es gebe keinerlei „Deal“, erklärte am Samstag Parteichef Olivier Faure. Die Konzessionen, die ihm Macron und Lecornu bezüglich der Rentenreform in Aussicht gestellt hätten, seien viel zu „unbefriedigend“. Die Linkspartei La France insoumise witterte in dieser Stellungnahme sofort eine Bereitschaft des Parti Socialiste, weiter mit Lecornu über eine Nichtangriffspakt zu verhandeln.
Empfohlener externer Inhalt
Derzeit wagen es die französischen Medien kaum noch irgendwelche Prognosen zu machen. Auf die Frage, wann denn eine neue Regierung zu erwarten sei, sagen sie: „In den nächsten Tagen“. Und „Le Figaro“ will von Verfassungsexperten erfahren haben, dass auch ein allein amtierender Premierminister, der nicht über ein Kabinett von nominierten Ministern verfügt, dem Parlament einen Staatshaushalt vorlegen könne.
Lecornu will auch nicht „irgendwas“ machen
Und, wie noch um die pessimistische und Besorgnis erregende Situation noch zu verschlimmern, teilt Lecornu in der Sonntagzeitung „La Tribune du Dimanche“ mit, er habe nicht die Absicht „irgendwas“ (im Originaltext „n’importe quoi“), das heißt etwas Aussichtsloses, zu machen. Falls die Bedingungen für eine Regierungsbildung nicht erfüllt seien, werde er „gehen“ – wie schon vor einer Woche. Im Fall seines erneuten Scheiterns werden vorzeitige Wahlen unausweichlich.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert