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Klimaschutz in Hamburg jetzt ernsthaftWie die SPD die Zukunft vergeigte

Jan Kahlcke

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Jan Kahlcke

Wirtschaft, SPD und CDU in Hamburg jammern über das vom Volk beschlossene scharfe Klimaschutzgesetz. Dabei hätte es nicht so weit kommen müssen.

Peter Tschentscher (r, SPD und Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen) müssen jetzt liefern, Hamburg, 13.10.2025 Foto: Marcus Brandt/dpa

H amburg ist am Montagmorgen unversehens in der Zukunft aufgewacht. Unverbindliche, schöne Worte zum Klimaschutz sind Schnee von gestern. Ab jetzt wird nachgerechnet, nachgesteuert und, ja, auch mal was verboten – so lange, bis der Kurs in Richtung Klimaneutralität stimmt. So hat es das Volk am Sonntag mit dem „Zukunftsentscheid“ beschlossen. 53 Prozent der abgegebenen Stimmen lauteten auf Ja – bei einer Abstimmungsbeteiligung von knapp 44 Prozent. In einem Monat wird der „Zukunftsentscheid“ Gesetz.

Wie konnte es so weit kommen? Wie kann eine Initiative ein Gesetz dieser Tragweite durchbringen, gegen eine übergroße Mehrheit im Parlament, gegen die geballte Kampagnenkraft der Unternehmen? Vor allem die regierende SPD muss sich vorwerfen lassen, dass sie das Thema gewaltig unterschätzt hat. Und das ist einigermaßen unerklärlich.

Der Unterschied zu Berlin

Vielleicht haben die Ge­nos­s:in­nen sich darauf verlassen, dass der Entscheid für schärfere Klimaziele das nötige Quorum von einem Fünftel der Wahlberechtigten verfehlen würde, wie 2023 in Berlin. Schließlich hat der Klimaschutz seitdem nicht unbedingt an Sympathien gewonnen.

Allerdings war das Ziel in Berlin auch, bis 2030 klimaneutral zu werden, also von damals gesehen innerhalb von sieben Jahren. Und das mag auch manch überzeugtem Klimaschützer derart utopisch erschienen sein, dass er sich dafür nicht an die Urne bequemt hat.

Auch der Blick in die Vergangenheit hätte Hamburgs SPD alarmieren müssen: Seit der Einführung hat der Hamburger Senat sechs von acht Volksabstimmungen verloren. Die Ham­bur­ge­r:in­nen lieben es, ihrer Regierung den Marsch zu blasen.

Außerdem fanden jetzt in Hamburg – anders als vor zwei Jahren in Berlin – zwei Volksentscheide gleichzeitig statt. Jener zum Grundeinkommen appellierte zum Teil an ähnliche Milieus wie der Zukunftsentscheid. Wahrscheinlich haben sie einander bei der Mobilisierung geholfen.

Finanzsenator wird zum Running Gag

Und auf der Gegenseite? Hamburgs rot-grüner Senat war uneinig und hatte sich darauf verständigt, sich in der Kampagne nicht zu exponieren. Als erster hat es Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nicht mehr ausgehalten und in den letzten Wochen vor der Abstimmung praktisch täglich vor der verheerenden Folgen des Zukunftsentscheids gewarnt, auch und gerade für sein Ressort. Dass er dabei immer betonte, eben nicht als Senator zu sprechen, sondern als einfacher Bürger, hat seiner Glaubwürdigkeit nicht aufgeholfen. Die Rede vom „Bürger Dressel“ ist in den vergangenen Wochen zu einer Art Running Gag in der Stadt geworden.

Am Ende waren es sechs SPD-Senator:innen, die umschichtig die Gegenkampagne befeuerten – aber viel zu spät. Als die letzten von ihnen aufsprangen, waren schon über 100.000 Briefwahlstimmen im Kasten. Und ein, zwei Wochen sind auch für die kampferprobte SPD wenig Zeit, um ein paar zigtausend Gegenstimmen zu mobilisieren.

In diesem Fall haben 35.000 gefehlt – sportlich, aber nicht unmöglich. Aber nur, wenn die Führung die Parteibasis auf ihrer Seite wüsste. Und das war bei diesem Thema nicht gewiss. Wobei ja lange auch gar nicht deutlich wurde, was die Führung wollte.

SPD bremst, Grüne dürfen nicht unterstützen

Die große Leerstelle war der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der sonst gern robust seinen Führungsanspruch erhebt. Beim Zukunftsentscheid ist er derart abgetaucht, dass man sich aus seinen übrigen Grundüberzeugungen zusammenreimen musste, was er wohl davon halten mag.

Seine grüne Stellvertreterin Katharina Fegebank, inzwischen Umweltsenatorin, hingegen hatte zuletzt im taz Salon keinen Hehl daraus gemacht, dass allein die Koalitionsräson sie daran hinderte, den Zukunftsentscheid zu unterstützen – wie es viele Parteifreunde und Abgeordnete auch taten. Sie vergoss reichlich Krokodilstränen in Richtung der Initiative und betonte ein ums andere Mal, wie sehr sie bedaure, sich nicht mit ihr geeinigt zu haben.

Deren Vertreterin Lou Töllner konterte eiskalt mit Geplauder aus dem Nähkästchen: Die Koalition habe ein „völlig unzureichendes“ Angebot erst wenige Tage vor Ablauf der Anmeldefrist zum Volksentscheid auf den Tisch gelegt – und eine Einigung damit schon rein zeitlich verunmöglicht.

Man darf davon ausgehen, dass das nicht auf die Kappe der Grünen geht, sondern die SPD der Bremser war – auch das schon ein strategischer Fehler, wie sich nun gezeigt hat. Dabei wäre es sicher möglich gewesen, die Spitzen aus dem Gesetzentwurf herauszuverhandeln, wie es Rot-Grün in den vergangenen Jahren oft erfolgreich getan hat. Denn am Ende ist so einer von viel ehrenamtlichem Kraftaufwand getragenen Volksinitiative häufig der Spatz in der Hand lieber als die Fotovoltaikanlage auf dem Dach.

In Schleswig-Holstein ist selbst die CDU weiter

Die SPD hätte den Grünen natürlich auch einfach schon im Koalitionsvertrag einen Schritt weiter entgegenkommen können: Null-Emissionen bis 2040, so wie es im benachbarten Schleswig-Holstein sogar die CDU mit den Grünen beschlossen hat. Und wie es auch die über den Volksentscheid laut jammernde Handelskammer längst anstrebt. Damit hätte man der Volksinitiative die Punchline geklaut. Diese ganzen angeblich furchtbar bürokratischen Detailbestimmungen über Monitoring und Zwangsmaßnahmen wären sicher nicht so sexy gewesen wie der Claim „wir machen’s fünf Jahre schneller“. Vielleicht wäre es nie zum Volksentscheid gekommen.

Aber dazu müssten Hamburgs Sozialdemokraten gönnen können – und das ist ihre Stärke nun mal nicht.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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