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Neue Allianzen im Nahen OstenEin Frieden ohne Schiedsrichter

In Scharm al-Scheich steht für eine neue arabische Selbstbehauptung: Riad und Doha bestimmen den Kurs, während der fragile Frieden zum Test wird.

Trump und al-Sisi auf einem Plakat in Scharm al-Scheich – Symbol des angekündigten Friedens? Foto: Amr Nabil/ap

Tunis taz | In der Nahostregion hat man gelernt, Trumps erratische Einlassungen zu Israel und Gaza einfach zu ignorieren. Die neue Flexibilität und Einigkeit der arabischen Diplomatie hat Trumps Plan wohl zum Erfolg verholfen. Denn indem sie sich auf einen minimalen gemeinsamen Nenner – Waffenruhe, humanitäre Korridore, schrittweisen Wiederaufbau – verständigten, nahmen sie Trump faktisch die Rolle des Schiedsrichters ab und machten ihn zum Symbol eines Friedens, den andere vorbereitet hatten.

Hinter den Kulissen wird in Scharm al-Scheich an Phase 2 gearbeitet, dem „historischen Aufbruch“, wie Trump sagte. Tatsächlich geht es dort weniger um US-amerikanische Vorgaben als um eine Neuordnung des Nahen Ostens, in der Saudi-Arabien, Ägypten, Katar und Jordanien erstmals geschlossen auftreten.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat bereits klargestellt, was das für die neue panarabische Allianz bedeutet: Normalisierung mit Israel erst nach der Gründung eines palästinensischen Staates. Damit übernimmt Riad – gemeinsam mit dem einst verfeindeten Doha – die politische Führungsrolle, die jahrzehntelang Kairo innehatte, und signalisiert, dass arabische Staaten Israel nur bei einer echten Lösung der Palästinenserfrage anerkennen werden.

Mit den Worten „Good job“ bezeichnete Trump das Vorgehen der israelischen Armee. Ein Affront für seine ebenfalls stets hochgelobten Alliierten in Amman, Doha, Riad, Ankara und Kairo. Für die in Scharm al-Scheich versammelten arabischen Staaten markiert die erste Phase des Abkommens das Scheitern des von Israel versuchten Genozids in Gaza. Ein Ende des Besatzungsregimes, wie es ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs fordert, kann sich derzeit nicht einmal die Opposition in der Knesset vorstellen.

Auch im Zentrum von Ramallah hatten sich am Montagmittag Tausende Neugierige und Angehörige von Gefangenen versammelt. Als sich die Türen der Busse öffneten, in denen die ersten der 2.000 Palästinenser saßen, die aus den Hochsicherheitsgefängnissen Ofer und Ketzion entlassen wurden, flossen Tränen der Freude. Doch die gedämpfte Stimmung zeigte, dass der 13. Oktober nur das Ende des Gazakriegs markiert. Den Familien der Freigelassenen war öffentlicher Jubel verboten, politische Anführer wie Marwan Barghuti blieben in Haft.

Palästinensischen Wünsche kommen nicht vor

Weder im 20-Punkte-Plan noch in Trumps Reden kommen die palästinensischen Wünsche vor – schon gar nicht der nach einem Staat, den 157 von 193 Mitglieder der Vereinten Nationen bereits anerkennen. Fünf Jahre nach dem letzten Abkommen in Oslo sollte dieser Staat entstehen – doch die drei Phasen des aktuellen Plans haben nicht einmal einen Zeitplan. Wie gefährlich das Machtvakuum für das Abkommen ist, zeigte sich am Sonntagmorgen im Stadtteil Sabr in Gaza-Stadt: Bewaffnete griffen zurückkehrende Palästinenser und Zivilschützer an, die nach Sprengsätzen suchten.

Der prominente Journalist Saleh Aljafarawi wurde Zeuge des Überraschungsangriffs durch den angeblich von Israel logistisch und finanziell unterstützten Doghmush-Clan. Erst am Vortag hatte er seine seit zwei Jahren getragene, mit „Press“ gekennzeichnete Schutzweste und den blauen Helm der Reporter abgelegt. Sieben Kugeln der Milizionäre trafen Aljafarawi, mehrere Rückkehrer wurden verletzt. Politische Kommentatoren im Gazastreifen sind davon überzeugt, dass der Doghmush-Clan und andere Hamas-feindliche Gruppen UN-Hilfskonvois überfielen, die Güter verkauften und damit Millionen verdienten – auf Kosten des Ansehens des Flüchtlingshilfswerks.

Nun könnten sie den Auftrag haben, die Rückkehr der Zivilisten zu verhindern und Zwischenfälle mit der Hamas zu provozieren, was dann der israelischen Armee ein Argument zum Eingreifen oder zur Verzögerung ihres Abzugs bieten könnte“, warnt die Journalistin Nida Ibrahim. In den noch von der israelischen Armee besetzten Gebieten des Gazastreifens, über der Hälfte des Territoriums, sind Abrissbagger weiterhin im Einsatz. „Was als Zerstörung der Hamas-Tunnel gilt, trifft in Wirklichkeit die zivile Infrastruktur“, so Al-Jazeera-Reporter Hani Mahmoud.

Vision eines Großisraels wird nicht aufgegeben

Die Vision eines Großisraels werden Koalitionspartner Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich nicht aufgeben. Für sie ist die Idee eines palästinensischen Staates Geschichte; sie streben eine Verschärfung des Besatzungsregimes und die Errichtung palästinensischer Enklaven innerhalb neuer Grenzen an. Zukünftig steht Netanjahu unter dem Druck der Angehörigen der in der Zwischenzeit verstorbenen Geiseln, die ihm immer wieder den Wunsch auf die Schaffung eines Großisraels und damit langen Kriegs auf Kosten des Lebens ihrer Töchter und Söhne vorwarfen.

Die Freilassung zumindest einiger noch lebender Geiseln feiert Benjamin Netanjahu als Sieg. Diesen hat er auch über die Hamas verkündet, anders als die Mehrheit der Chefs von Schin Bet, Mossad, die alle Kriegsziele bereits im letzten Jahr als erfüllt ansahen. Trump wurde am Montagmittag von den Abgeordneten der Knesset mit stehenden Ovationen empfangen.

Flexibel zeigt sich Trump auch gegenüber seinen früheren Ankündigungen, wie dem lapidaren Kommentar, dass die Palästinenser den Gazastreifen verlassen und Immobilienunternehmer auf den Trümmern von Chan Junis und Gaza-Stadt Neubauprojekte für „Menschen aus der Region“ hochziehen sollten. Auch sein Schwiegersohn Jared Kushner, der mit dem Nahostbeauftragten Steve Witkoff den Deal in Scharm al-Scheich eingefädelt hatte, schlug im letzten Jahr ähnliche Töne an. „Die Hamas wird erst einmal dort bleiben, wo sie ist.

Wenn zwei Millionen Leute in ein Trümmerfeld zurückkehren, muss es eine gewisse Ordnung geben“, so Trump vor den mitreisenden Journalisten. Über die von Israel geforderte Entwaffnung der Hamas soll nun später gesprochen werden. Nach den Zeremonien in Jerusalem und Scharm al-Scheich scheint nur eins sicher: Der Krieg ist vorbei.

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