Diplomatische Anerkennung in Aussicht: Indien hofiert das afghanische Taliban-Regime
Die indische Regierung empfängt den afghanischen Außenminister der Taliban. Kontroversen bleiben nicht aus.

Am Sonntag lud Mutaki schon zum zweiten Mal die Presse in die afghanische Botschaft ein. Im Saal war neben ihm die schwarz-weiße Flagge des Islamischen Emirats zu sehen, während auf dem Hof die Trikolore der Republik Afghanistan wehte.
Zu diesem Pressetermin wurden auch explizit weibliche Medienschaffende eingeladen. Damit reagierte Mutaki auf Kritik, dass beim ersten Mal nur männliche Journalisten geladen waren. Mutaki erklärte, ein Ausschluss von Frauen sei nicht beabsichtigt gewesen. Auch Bildung für Frauen sei für die Taliban kein Tabu, sie sei „nur ausgesetzt“.
Mutakis erste Pressekonferenz hatte in Indien eine politische Kontroverse ausgelöst. Oppositionspolitiker:innen kritisierten Premierminister Narendra Modi von der hindunationalistischen Volkspartei (BJP), die diskriminierende Veranstaltung überhaupt geduldet zu haben. Schon bei dem Treffen zwischen Regierungsvertretern beider Seiten waren keine Frauen dabei gewesen.
Pakistan Regeirung sieht sich ausgebootet
Mutakis fast einwöchiger Besuch erregt aber auch deshalb Aufmerksamkeit, weil Indien wie Afghanistans Talibanregime derzeit sehr angespannte Beziehungen zu Pakistan hat. In Delhi erklärte der Taliban-Vertreter nach den jüngsten Gefechten an der Grenze zu Pakistan und dem vorherigen mutmaßlichen pakistanischen Drohnenangriff auf pakistanische Taliban (TTP) in Kabul, die Lage sei unter Kontrolle. Er warnte aber, man könne auch auf andere „Optionen“ zurückgreifen.
Zuvor hatte Pakistan den Taliban-Botschafter in Islamabad einbestellt, um gegen eine gemeinsame indisch-afghanische Erklärung zu protestieren. Darin hatte Kabul den Terroranschlag im indischen Pahalgam im April verurteilt. Für den macht Delhi Islamabad verantwortlich, weshalb es zu einem militärischen Schlagabtausch zwischen Indien und Pakistan gekommen war.
Delhi war bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 einer der großen Infrastrukturförderer Afghanistans. Delhis jetzige Annäherung deutet eine pragmatische Kehrtwende an.
Außenminister Subrahmanyam Jaishankar begrüßte den Taliban-Besuch als „wichtigen Schritt zur Förderung“ der Beziehungen. Seit 2022 unterhält Indien in Kabul nur ein „technisches Team“, will demnächst seine Botschaft aber wieder öffnen. „Afghanistan betrachtet Indien als engen Freund“, sagte Mutaki.
Afghanische Diaspora in Indien sieht Annäherung kritisch
Bisher hat nur Russland das Talibanregime offiziell diplomatisch anerkannt, doch haben China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Usbekistan und Pakistan jeweils Botschafter nach Kabul entsandt.
Die afghanische Diaspora in Indien, die geschätzte 21.000 Menschen umfasst, sieht die Annäherung mit Sorge. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind viele Afghanen dort nicht als Flüchtlinge anerkannt. Eine Aufwertung der Taliban könnte Abschiebungen erleichtern, womit etwa Pakistan schon begonnen hat. In Afghanistan ist Mädchen und Frauen jetzt der Schulbesuch nach der Grundschule verboten, ebenso weitgehend Erwerbsarbeit.
Die afghanische Marketingabsolventin Maryam*, die seit sechs Jahren in Indien lebt, will nicht zurückkehren. Sie sagt der taz: „Früher war die Lage zwar nicht sicher in Afghanistan, aber wir hatten zumindest als Frauen Rechte.“ Solange das nicht der Fall sei, komme Afghanistan für sie nicht infrage. In Indien könne sie zumindest studieren.
Auch der afghanische Künstler Zain* ist von Indiens Kurs enttäuscht. Der 33-Jährige kam vor Jahren zum Studium nach Delhi und sagt: „Wenn ich eine Tochter hätte, könnte sie in Afghanistan nicht einmal zur Schule gehen.“ Delhis Politik ginge zu Lasten der afghanischen Bevölkerung.
Bald dürften Taliban-Diplomaten die Botschaft in Delhi übernehmen. Die Entsandten der alten Regierung dürften dann in westlichen Ländern Asyl suchen.
*Name geändert
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