KI-Konkurrenz für Wikipedia: Angriff auf die Schwarmintelligenz
Elon Musks Unternehmen xAI hat eine Konkurrenz-Plattform zur Wikipedia gestartet. Aber welchen Mehrwert bringt eine KI, die keine Wahrheit kennt, nur Wahrscheinlichkeiten und Ideologie?
F rüher galt die Verwendung von Wikipedia irgendwie als anrüchig, zumindest in der Schule. Fast 25 Jahre nach ihrer Gründung hat die größte Enzyklopädie der Welt zum Glück einen viel besseren Ruf. Und wir merken, was wirklich stinkt: die Grokipedia.
Die neue Plattform vom Elon-Musk-Unternehmen xAI soll eine Konkurrenz zu Wikipedia sein und basiert auf Beiträgen der KI Grok, die in den vergangenen Monaten diverse Male wegen rechter und menschenverachtender „Aussetzer“ heftig kritisiert wurde. Der Bot nannte etwa Hitler eine Lösung für den „abscheulichen Hass gegen Weiße“. Danach tat er so, als wär’s ein Witz gewesen. „Schwarze Satire“, sagt Grok. Ich sage: Das ist klassische Gesprächsführung von Nazis am Kneipentresen. Jetzt darf diese KI also eine Online-Enzyklopädie aufbauen. Das ist ein direkter Angriff auf das Wissen im Internet.
Darum steht es momentan ohnehin nicht gut, insbesondere wenn man den Umgang der US-Regierung mit dem freien Wissen im Internet betrachtet. Die hat unter Beifall von Musk in den vergangenen Monaten Regierungswebsites vom Netz genommen, über Verhütung etwa oder über den Klimawandel. Bilder und andere Informationen, die auf Queers, Schwarze, Native Americans und ihre Leistungen für den Staat verweisen, hat sie aus Archiven und Gedenkseiten gelöscht.
Sie hat versucht, den Golf von Mexiko in „Golf von Amerika“ umzubenennen und so eine neue Realität zu schaffen. Sie hat Wissen so sehr zerstört und bedroht, dass weltweit Menschen versuchen, die Daten zu retten, bevor es zu spät ist. Und jetzt kommt Musk mit seiner Grokipedia.
Als „Wokepedia“ verunglimpft
Die wurde Anfang der Woche gelauncht und hat – Stand Mittwochnachmittag – über 885.000 Beiträge. Musk, früher mal bekennender Fan, hat seit ein paar Jahren etwas gegen die Wikipedia, nennt sie „Wokepedia“, kritisiert, sie sei links. Aber Wikipedia ist nicht links, sondern neutral.
Sie beruht darauf, dass alle Menschen an den Beiträgen mitarbeiten können, dass sie Wissen sammeln, Quellen verlinken, einander korrigieren, Beweise einfordern, sich verbessern, unabhängig von politischen Ansichten, fokussiert auf die Wahrheit. Wikipedia ist Schwarmintelligenz und Demokratisierung von Wissen. Dem will Musk jetzt seine eigene Wahrheit entgegensetzen. Unter dem Deckmantel, Wissen ohne Ideologie in die Welt zu bringen, betreibt er seine ideologische Zerstörung von Wissen.
Wer die Beiträge schreibt, ist unklar, aber alles weist darauf hin, dass sie von Grok verfasst sind. Über den Artikeln steht zudem, dass Grok die Inhalte überprüft hätte. Also eine KI, ein Large Language Model, das per se nichts weiß. Diese Modelle berechnen schlicht, welche Wörter am wahrscheinlichsten aneinandergereiht werden. Sie haben keine Fakten. Stattdessen haben sie gelegentlich „Halluzinationen“, generieren also Falschinformationen. Laut einer Studie der European Broadcasting Union erfinden KIs bei 45 Prozent der Antworten Inhalte. Und viele haben Probleme damit, ihre Quellen anzugeben.
Die großen Large Language Models wurden unter anderem mit Wikipedia-Artikeln trainiert. Vielleicht stammen daher die vielen Überschneidungen in Inhalt und Sprache, die unterschiedliche Medien zwischen Grokipedia und Wikipedia beobachtet haben. Beim Grokipedia-Eintrag zur AfD finden sich einige Parallelen in Sprache, Struktur, Inhalt. Aber auch Auslassungen. Da wird von „uneingeschränkter Migration“ geschrieben, ohne zu kontextualisieren, dass es so etwas gar nicht gibt. Das Label „extremistisch“ hat die AfD laut Grokipedia von „Mainstream-Institutionen“ bekommen. Statt Nationalismus betont das Portal Wirtschaftskritik.
Im Eintrag zum Sturm auf das Kapitol bleibt im ersten Absatz unerwähnt, dass der Vorwurf des Wahlbetrugs gegenüber Joe Biden eine Lüge ist. Die Brutalität dieses Angriffes auf die Demokratie wird ausgelassen. Das Magazin Wired kritisiert zudem, wie Grokipedia Sklaverei in den USA thematisiert, wie es kritische Medienanstalten beschreibt, und seine generelle „konservative Perspektive“ auf Ereignisse der jüngeren Geschichte.
In Enzyklopädien – auch bei Wikipedia – Fehler zu finden, ist schwierig, wenn man nicht Expert*in in dem Gebiet ist. Musk und xAI wissen das. Rechte und Verschwörungsideolog*innen haben schon lange diese Strategie: So viel Unwahres wie Fakten darstellen, so viele Halbwahrheiten zeigen, so oft nur die eine Seite erwähnen, so eloquent unnötige Wörter aneinanderreihen, dass das Gegenüber sich gar nicht mehr richtig wehren kann. Nun in Form einer Enzyklopädie.
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