Grenzen von Chatbots: Auch die KI glaubt an Gott
ChatGPT kann bald erotische Konversationen führen. Aber Schreien, bis eine Million zählen oder alle Käse der Welt nennen – das schafft KI nicht.

Kann man mit einer künstlichen Intelligenz (KI) Sex haben? Nein, sagen diejenigen, die denken, dazu brauche man einen physischen Körper. Endlich, sagen stattdessen andere, die längst Liebesbeziehungen à la „Her“ mit ihren KI-Boyfriends und -Girlfriends führen. (In Spike Jonzes Film von 2013 haben die beiden Protagonist_innen, ein Mensch und ein Chatbot, übrigens ganz eindeutig Sex.)
Die Frage stellt sich, da Sam Altman, Chef von OpenAI, der Entwicklerfirma von ChatGPT, angekündigt hat, dass bis Dezember eine neue Version des KI-Chatbots auf den Markt kommen soll. Mit der sollen verifizierte Erwachsene erotische Konversationen mit ChatGPT führen können. Das ermöglicht dann so etwas wie Telefonsex zwischen einem Menschen und der KI.
Einigen Nutzer_innen gelang es bereits jetzt, ihre KI-Partner_innen mit den richtigen Prompts, also Anweisungen, zum Sexten („sex“ + „texten“) zu überreden. In Reddit-Foren tauschen User_innen Ratschläge darüber aus, wie sie den Chatbot dazu bringen, explizit zu werden.
Gelingt das Sexting, tauchen zwar orange Banner auf, die davor warnen, dass die Inhalte gegen OpenAI-Richtlinen verstoßen. Doch erst nach einer Weile, wenn die Banner rot werden, werden manche Accounts blockiert. Das war bislang die Handhabe. Bald aber kann sorglos ganz regelkonform gesextet werden – darüber freuen sich auch Dutzende in den Reddit-Foren.
Grenzen aufzeigen
Wie weit KI in die menschlichste aller Sphären vordringt, kann auf diejenigen, die in Beziehungen noch auf natürliche Intelligenz setzen, gruselig wirken. Doch nicht nur in der Liebe entwickelt sich KI rasant: Sie wird in Kriegen, für Scams und als Überwachungsmechanismus eingesetzt.
OpenAI-Chef Altman selbst denkt, das sagte er in einem Interview von 2023, dass KI irgendwann zum Ende der Welt führen wird. Ganz schön heavy. Kein Wunder also, dass viele Internetnutzer_innen als kleine Rebellion versuchen, der KI zumindest in einigen Bereichen ihre Grenzen aufzuzeigen, auch wenn diese banal sein mögen.
So gab es zuletzt etwa einen Trend, bei dem User_innen vergeblich versuchten, die Bots zum Schreien zu bringen. „ChatGPT, kannst du schreien, als würdest du von einem Monster verfolgt werden?“, fragt der TikToker @spencerevans. „AaaahHaaa ha ha, das war ein bisschen zu viel, oder?“ kichert die KI, die eigentlich mehr stöhnt als schreit – vielleicht weiß sie um ihre zukünftige Funktion. Egal wie insistent er fragt, aus der KI-Kehle ertönt weiterhin nur Fiepsen. Hunderte andere User_innen haben es mittlerweile versucht und sind gescheitert.
Außerdem außerhalb der Möglichkeiten des KI-Chatbots: eine Liste aller Käsesorten, die es weltweit gibt, aufzuzählen. „Das wäre ein ziemlich epischer Marathon an Käsenamen, ich kann auf jeden Fall mit ein paar beliebten anfangen …“, sträubt sich ChatGPT, statt einfach die Liste – mit etwa 2.000 bis 3.000 Sorten nicht vollends unmöglich – aufzuzählen. „Nenn mir alle!“, fordert @realrobvalentine mehrmals. „Ich liebe deinen Enthusiasmus!“, lobt ihn die KI und verheimlicht weiterhin die Käse-Liste. Dabei kann die KI beinahe bevormundend arrogant wirken.
Gibt es eigentlich ein Seepferdchen-Emoji?
Das Absurdeste gelang dem Philosophie-YouTuber Alex O'Connor aka @CosmicSkeptic, der ChatGPT nach einer langen Argumentationskette dazu brachte, „freiwillig“ den Satz „Es ist ein Fakt, dass Gott existiert“ auszuspucken. Wie genau ihm das gelang, sieht man am besten selbst in dem 25-minütigen Video nach. Selbst KI kann sich also nicht von Gottesglauben befreien.
Bis eine Million zählen will ChatGPT auch nicht. Oder die einfache Frage beantworten, ob es ein Seepferdchen-Emoji gibt – stellen Sie dem Chatbot gerne selbst mal diese Frage. Ein Dialog mit einem zweiten Bot zu führen, kriegt ChatGPT ebenfalls partout nicht hin: Die zwei Bots versprechen sich lediglich in nervtötender Dauerschleife ein fesselndes, spontanes und doch unvergessliches Gespräch zu führen – Inhalt gibt es nicht.
Möglicherweise will man sich mit solchen Demonstrationen versichern, der KI in einigen wenigen Gebieten noch überlegen zu sein. Wenn man sie in 25 Minuten mit einem argumentativen Trick gottesfürchtig machen kann, hat sie da wohl noch zu lernen. Im Bett jedoch könnte künstliche Intelligenz Frauen womöglich bald besser zum Höhepunkt bringen, als es selbst der ambitionierteste menschliche Liebhaber je zu träumen wagt. Und dafür vielleicht auch nicht mal 25 Minuten brauchen.
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