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Polizeiliche GesichtserkennungWenn die Polizei nicht monatelang warten will

Ein Gutachten von Algorithm Watch zeigt, dass polizeiliche Foto-Fahndung im Internet nur mit illegalen Datenbanken funktionieren kann.

Ist nicht rechtskonform: Gesichtserkennung im Internet (Symbolbild) Foto: Gary Waters/imago
Christian Rath

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Christian Rath aus Berlin

taz | – Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) will mit Gesichtserkennung im Internet nach unbekannten oder untergetauchten Straf­tä­te­r:in­nen fahnden. Dazu müsste er eine gigantische Datenbank aufbauen, erläutert nun ein Gutachten im Auftrag der Organisation „Algorithm Watch“ (AW). „Eine solche Datenbank mit allen frei verfügbaren Fotos aus dem Internet wäre jedoch eindeutig rechtswidrig“, sagt AW-Geschäftsführer Matthias Spielkamp.

Die Bundesregierung arbeitet an zwei Gesetzen „zur Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“. Bekannt wurden sie im Sommer auch als Dobrindts „Sicherheitspaket“. Ein zentraler Punkt ist die Foto-Fahndung mit Gesichtserkennung. Anhand eines Fotos soll im Internet nach weiteren Fotos der gleichen Person gesucht werden. So könnten unbekannte Verdächtige oder untergetauchte Straf­tä­te­r:in­nen gefunden werden, hofft Dobrindt.

„Biometrischer Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“ nennt sich die Methode in den Gesetzentwürfen. Sie soll künftig der Landespolizei zur Strafverfolgung, aber auch dem BKA und der Bundespolizei zur Gefahrenabwehr erlaubt sein. Doch wie soll das praktisch funktionieren? Algorithm Watch beauftragte den Suchmaschinenexperten Dirk Lewandowski von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit einem Gutachten. Lewandowski kommt zum Schluss, dass die Foto-Fahndung ohne Datenbank keinen Sinn macht. Die Beantwortung einer Such-Anfrage würde „Monate oder gar Jahre“ dauern, wenn die Web-Crawler der Polizei jedes der Milliarden Fotos im Internet aufsuchen und individuell mit der Suchvorlage abgleichen müssten.

Die einzige Alternative sieht Lewandowski in der Anlage einer Datenbank, die alle Fotos sammelt, biometrisch auswertet, indiziert und damit schnell vergleichbar macht. Letztlich arbeitet auch eine Suchmaschine wie Google nicht anders, nur dass dort keine biometrische Auswertung der Fotos stattfindet. Das Gutachten des Suchmaschinen-Professors wurde an diesem Mittwoch vorgestellt.

AW-Geschäftsführer Spielkamp hält den Aufbau einer derartigen Datenbank jedoch für rechtswidrig: „Die KI-Verordnung der EU verbietet es ausnahmslos, Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsaufnahmen zu erstellen.“ Die deutsche Polizei könne deshalb nicht mit den privaten Anbietern PimEyes und Clearview zusammenarbeiten, die solche illegalen Datenbanken erstellt haben. Außerdem dürfe sie auch selbst keine derartige völlig unverhältnismäßige Vorratsdatenbank aufbauen.

Minister Dobrindt hat bisher nicht verraten, wie er die Gesichtserkennung im Internet rechtskonform umsetzen will. Auch seine Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD), die vor einem Jahr mit einem ähnlichen Projekt gescheitert war, konnte die Frage nicht beantworten. In Dobrindts Gesetzentwurf, der Ende Juli auf der journalistischen Plattform netzpolitik.org geleakt wurde, heißt es nur, die geplante Regelung sei „technik- und produktneutral“ – eine schöne Umschreibung für die ministerielle Ratlosigkeit.

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