Klage gegen Rundfunkbeitrag: Entscheidung mit Aussicht auf noch mehr Klagen
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Wer ARD und ZDF mit guten Gründen für einseitig hält, kann nun gegen den Rundfunkbeitrag klagen.
Geklagt hatte eine Frau aus Bayern, die anonym bleiben will. Sie engagiert sich in der Initiative „Leuchturm ARD“ und monierte die Einseitigkeit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung etwa über die Corona-Maßnahmen und den russischen Krieg gegen die Ukraine. Die Frau war eine von bundesweit 200 Kläger:innen der Initiative. Die Initiative legt Wert darauf zu betonen, dass sie den Rundfunkbeitrag und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht generell ablehnt.
Vor den Verwaltungsgerichten in Bayern war die Frau zunächst abgeblitzt. Dort hieß es: Die Bürger:innen zahlen für die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Sie hätten aber keine Möglichkeit zu klagen, wenn sie glauben, dass der Rundfunk seinen Funktionsauftrag verfehlt, zu dem eine ausgewogene Berichterstattung gehört. Es genüge, dass die Bürger Programmbeschwerden bei Rundfunkräten der Sender einreichen können, die pluralistisch besetzt seien. Verwaltungsgerichte in anderen Bundesländern entschieden ähnlich.
Tatsächlich hat die Zahl der Programmbeschwerden in den letzten Jahren stark zugenommen, auch befeuert durch systemkritische zivilgesellschaftliche Initiativen. Beim ZDF sind 2024 zum Beispiel rund 2.000 individuelle Programmbeschwerden eingegangen, von denen rund hundert als substanziell angesehen wurden. In rund zehn Fällen räumte ZDF-Intendant Norbert Himmler Fehler ein und gelobte Besserung.
Klage geht nur mit wissenschaftlichem Gutachten
Dieser Weg direkt zu den Sendern bleibt bestehen. Daneben hat das Bundesverwaltungsgericht nun aber eine zweite Front bei den Verwaltungsgerichten eröffnet. Zwar sollen die Verwaltungsgerichte, die sonst über Baugenehmigungen und Asylbescheide urteilen, nicht den Rundfunkbeitrag kippen können. Wenn sie aber der Meinung sind, dass der ÖRR seinen Programmauftrag verfehlt, können sie das Bundesverfassungsgericht einschalten.
Und wenn dieses die Einschätzung teilt, würde es feststellen, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Beitragspflicht entfallen ist, dass also der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig wurde. Diese Feststellung können nur die Verfassungsrichter in Karlsruhe treffen.
Konkret sollen die Klageverfahren nun so ablaufen: Wenn Kläger:innen substantiiert vortragen – insbesondere durch ein wissenschaftliches Gutachten -, dass der ÖRR sein Pflicht zu Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum evident und regelmäßig verletzt, dann müssen sich die Gerichte mit solchen Klagen beschäftigen und können nicht einfach auf die Möglichkeit der Programmbeschwerde verweisen.
Dem Bundesverfassungsgericht können die Gerichte den Fall aber nur vorlegen, wenn sie der Überzeugung sind, dass der ÖRR mindestens zwei Jahre lang mit seinem „Gesamtprogrammangebot“, also mit Fernsehen, Hörfunk und Internet-Angeboten, die Pflicht zu Vielfalt und Ausgewogenheit „gröblich“ verletzte.
Dass dies eine hohe Hürde ist, betonte an diesem Mittwoch auch der Vorsitzende Richter Ingo Kraft. Er verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht 2018 den Rundfunkbeitrag grundsätzlich geprüft und für verfassungskonform eingestuft hatte. „Damals hat das Bundesverfassungsgericht das Programmangebot also nicht in Zweifel gezogen“, betonte Kraft. Und auch nach der aktuellen Argumentation der Klägerin fand Kraft es „überaus zweifelhaft“, ob sie eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erreichen kann. Die Bayerin hatte vor allem auf Studien im Internet verwiesen, um die fehlende Ausgewogenheit zu belegen.
Weitere Klagen angekündigt
Harald von Herget, der Anwalt der Klägerin, sprach nach der Urteilsverkündung dennoch von einem „Sieg“. Er, die Klägerin und die Leuchtturm-Initiative um den Filmemacher Jimmy C. Gerum wollen die Herausforderung annehmen und weiter gegen den Rundfunkbeitrag klagen. Der Anwalt von Herget regte allerdings an, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gleich selbst ein Gutachten zur Ausgewogenheit des ÖRR in Auftrag geben soll.
Sabine Mader, Leiterin der Rechtsabteilung des Bayerischen Rundfunks, sagte in Leizig: „Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass man nicht den Rundfunkbeitrag verweigern kann, wenn einem bestimmte Sendungen nicht gefallen.“
Die Leipziger Entscheidung traf der sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der jüngst mit mehreren Entscheidungen Aufsehen erregte. Im Juni hatte er das Verbot der rechtsradikalen Postille Compact für rechtswidrig erklärt. Im Juli lehnte er die Beschwerde der AfD gegen ihre Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert