Merz, Seibt und die Ausnahmesituation: Allgemeine Plan-B-losigkeit
Weil kein Ausnahmefall so läuft wie geplant, braucht es Plan B. Die rechte Influencerin Naomi Seibt hat einen. Merz täte gut daran, auch einen zu haben.
 
D en besten Satz in Kathryn Bigelows neuem Spielfilm „A House of Dynamite“, liefert Admiral Mark Miller: „Es gibt keinen Plan B.“ Es ist seine Antwort auf die Frage, um die der ganze Film kreist: Was tun US-amerikanische Sicherheitsbehörden und Regierungsmitglieder, wenn 19 Minuten bevor eine feindliche Atomrakete Chicago trifft, das militärische Abwehrsystem versagt?
Das echte Pentagon ließ diese Woche wissen: Haha, guter Plot-Twist! Es wies jedoch nachdrücklich darauf hin, dass sich die US-amerikanische Abwehr in allerbester Verfassung befinde. Einen Tag zuvor hatte der echte Putin den erfolgreichen Test der atomwaffenfähigen Rakete Burewestnik bzw. Skyfall verkündet. Diese könne so gut wie jedes Abwehrsystem umgehen, was Expert*innen von Carlo Masala bis USA umgehend für Quatsch erklärten.
Bigelow freut sich, sie habe mit dem Film eine Diskussion über die Sicherheitsarchitektur provozieren wollen. In welchem Zustand sich die militärische US-Abwehr wirklich befindet, ist von dieser Kolumne aus nicht zu beurteilen. Von hier aus interessant ist der Punkt, um den Bigelows Film auch kreist: dass ein Ausnahmefall in der Regel nie genauso abläuft, wie man sich das so vorstellt, selbst wenn dieses „man“ ein staatlicher Sicherheitsapparat ist. Weicht der Ausnahmefall von der Regel ab, die für ihn aufgestellt wurde, herrscht ein Ausnahmezustand, für den es kein Playbook gibt.
Hat Merz einen Plan A?
Wir erinnern uns: Noch Ende Januar 2020 hatte Jens Spahn wissen lassen: „Grundsätzlich sind wir wachsam, wir nehmen die Dinge sehr ernst, wir sind aber auch gut vorbereitet.“ Jeder habe seine genau zugewiesene Aufgabe und wisse, was zu tun sei. Weil am Ende dann doch niemand auf den Bedarf von Masken im Falle eines hoch ansteckenden Atemwegsvirus vorbereitet war, packte der Gesundheitsminister seinen Plan B aus und kaufte entgegen aller Ratschläge völlig überteuerte Masken für Hunderte Millionen Euro.
So langsam könnte man den Eindruck gewinnen, es herrscht eine allgemeine Plan-B-Losigkeit. Hat die deutsche Autowirtschaft einen Plan B, wenn China keine Seltenen Erden mehr liefert? Hat die EU einen Plan B, wenn der vorletzte Fischer demnächst den letzten Dorsch aus der Ostsee geholt haben wird? Hat die Welt einen Plan B als Alternative zum Zugucken bei der Massentötung im Sudan?
Ob Friedrich Merz einen Plan A hat, kann bezweifelt werden. Sicher aber wäre ihm ein Plan B anzuraten für den Fall, dass sein nach rechts blinkender Populismus dahin führt, wie es viele prophezeien: zur Wähler*innenwanderung in Richtung AfD.
Naomi Seibt hat einen Plan
Einen vermeintlichen Plan B packen zurzeit die Rechtsradikalen aus. Die rechte Influencerin Naomi Seibt verkündete diese Woche, in den USA Asyl beantragt zu haben, weil sie als Anwältin der Meinungsfreiheit und Unterstützerin der AfD in Deutschland von staatlichen Sicherheitsbehörden überwacht, von staatlichen Medien verfolgt und von der Antifa mit dem Tode bedroht würde.
Praktisch ist, dass sie sowieso schon in den USA lebt, wo sie jetzt Donald Trump anbietet, sie als erste politisch Geflüchtete aus dem Meinungsgefängnis Deutschland aufnehmen zu können. Nicht auszuschließen, dass der unberechenbare Trump dieses Angebot annimmt.
Na gut, die Linken könnten sagen: Plan erfüllt – „Nazis raus“. Ein guter Plan war das aber noch nie. Für den Fall, dass die meisten Nazis hierbleiben, braucht es ja dann doch einen Plan B. Und der kann sich nicht darin erschöpfen, Journalist*innen, Publizist*innen oder den Bundeskanzler wegen Volksverhetzung oder Naziverdacht anzuzeigen. Der Staat regelt, ist kein nachhaltiger Plan, wie man gerade in den USA sehen kann.
Schafft zwei, drei, viele Plan Bs. Es ist immer besser, mehrere Handlungsoptionen zu haben, gerade für die Frage, wie man den Einfluss von Rechtsradikalen wieder kleiner kriegt.
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