Augenzeugen berichten aus Darfur: „Sie zeigten keine Gnade“
Vor den Massakern der RSF-Miliz der Stadt El Fasher in Sudan suchen Menschen Zuflucht in der Stadt Tawila. Die taz sammelte Berichte von Überlebenden.
 
Die Massaker reichten bis in die Krankenhäuser. „Wir konnten kein medizinisches Personal in den Kliniken von El Fasher erreichen. Die RSF-Kämpfer drangen in die Einrichtungen ein und erschossen die Patienten“, berichtet der Sprecher des Widerstandskomitees von El Fasher der taz. Die „Resistance Committees“ sind die Basisstrukturen von Sudans Demokratiebewegung.
„Im El Saudi Krankenhaus, im Universitätskrankenhaus und sogar in den medizinischen Einheiten, die wir eingerichtet hatten, um die Krankenhäuser zu entlasten, töteten die RSF alle, von denen wir wussten, dass sie sich dort befanden“, so der Sprecher weiter. „Wir wissen nicht, wer tot ist, wir können nur die Überlebenden zählen, die es geschafft haben, zu uns zu kommen. Einige Mitarbeiter sind vielleicht geflohen, aber wir haben keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren.“
Die Milizen der Rapid Support Forces (RSF) nahmen am 26. und 27. Oktober El Fasher ein, die letzte Hochburg der sudanesischen Regierungsarmee in Darfur. Hervorgegangen aus den Janjaweed-Milizen, die einst Darfur terrorisierten, hat sich die RSF zu einer mächtigen paramilitärischen Gruppe mit großem politischen und wirtschaftlichen Einfluss entwickelt. Unter der Führung von Mohamed Hamdan Daglo, bekannt als Hametti, kämpft sie seit April 2023 gegen Sudans Militärregierung. Der brutale Krieg hat Millionen Menschen vertrieben und das Land an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
Über 460 Patienten soll die RSF allein im El Saudi Krankenhaus getötet haben, seit sie El Fasher eingenommen hat. Und das ist nur einer von vielen Gewaltakten gegen Zivilisten. Familien, denen die Flucht gelungen ist, berichten von Morden, körperlicher und sexueller Gewalt und Angriffen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit. Viele Zivilisten sind weiterhin in der Stadt gefangen.
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Die RSF nutzte Hunger als Waffe
El Fasher, die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur, beherbergte einst etwa ein Viertel der sechs Millionen Einwohner Darfurs. Die ganze Welt war Zeuge, wie die Stadt mehr als anderthalb Jahre lang von der RSF belagert wurde. Der Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten war blockiert, Kliniken wurden zerstört. Die RSF nutzte Hunger als Waffe und ließ die Zivilbevölkerung leiden, um Druck auf die Armee und andere Gruppen auszuüben.
Seit ihrem Einmarsch in El Fasher haben die RSF ihre eigenen Gräueltaten dokumentiert, darunter öffentliche Hinrichtungen, Massenmorde und Misshandlung. Die Angriffe zwangen Tausende zur Flucht, auf der Suche nach einem ungewissen Schicksal. Die meisten fanden ihren Weg nach Tawila, eine ehemalige Kleinstadt südwestlich von El Fasher, die inzwischen 800.000 Menschen beherbergen soll.
„Als sie zu unserem Haus kamen, sprang ich mit meinen beiden Kindern über die Mauer“, berichtet Saida Ahmed Hussain, die Tawila erreicht hat, über den Einmarsch der RSF in El Fasher. „Ich war barfuß und meine Kinder waren kaum bekleidet. Wir beschlossen, nach Tawila zu fliehen. Die Reise war die schwerste, die ich je erlebt habe. Nachts froren wir. Ich versuchte, meine Kinder mit meinem Schal warm zu halten, aber das reichte nicht aus. Wir wurden fünfzehn Mal angehalten. Jedes Mal durchsuchten sie uns und hielten uns mindestens drei Stunden lang fest. Sie zeigten keine Gnade, weder gegenüber den Kindern noch gegenüber den Älteren. Wir sind erschöpft und meine Kinder sind völlig fertig. Aber was konnten wir tun? Gott sei Dank haben wir es geschafft, einen sicheren Ort zu erreichen. Viele andere sind auf dem Weg gestorben.“
Im Lager Tawila haben die Verantwortlichen Mühe, die Neuankömmlinge zu versorgen. Überlebende in Tawila berichten der taz per Telefon, dass sie sich von Tierfutter ernährt hätten, da es nichts anderes zu essen gab. Der Sprecher der Kultur- und Medienverwaltung der Zivilbehörde in Tawila, Mohammed Yaqoob, sagt, dass das Lager seit Dienstag bereits mehr als 1.000 Familien aufgenommen habe. Die meisten dieser Neuankömmlinge hätten El Fasher am Sonntag oder früher verlassen.
Die Reise von El Fasher nach Tawila dauert zu Fuß normalerweise etwa fünf bis sieben Stunden. Nun aber brauchten die Flüchtenden nach Augenzeugenberichten mehrere Tage, weil sie unterwegs an RSF-Kontrollpunkten angehalten wurden. An diesen Kontrollpunkten wurden viele misshandelt und einige getötet. Die Ankommenden beschreiben eine schreckliche und erschöpfende Flucht.
„Hunderte kommen mit Schussverletzungen“
„Alle stehen unter Schock“, sagt Mohammed Yacoob. „Vor einem Monat trafen wir uns in Tawila mit einer UN-Delegation. Wir haben ihnen gesagt, dass die Lage schlecht ist. Die Hilfe reicht angesichts der Zahl der Ankommenden nicht aus und jetzt wird es noch schlimmer. Durch den Angriff auf El Fasher kommen jetzt viele sehr geschwächte Menschen hierher. Sie haben nichts und brauchen alles. Hunderte kommen mit Schussverletzungen, andere leiden an Malaria und Unterernährung. Wir haben nichts, was wir ihnen geben können. Es ist sogar schwer, ein Zelt zu finden.“
Satellitenbilder von El Fasher, die das Humanitarian Research Lab der Yale University analysiert hat, dokumentieren, dass die RSF bei ihrer Belagerung von El Fasher eine regelrechte „Kill Box“ um die Stadt herum geschaffen hat. Befestigungswälle blockieren die Ausgänge. Die Bilder zeigen auch schwere Schäden in der Stadt, Spuren von Brandstiftung, Beschuss und Leichen. Die Wissenschaftler kommen in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass es für Zivilisten „keinen sicheren Ort in El Fasher“ gibt.
RSF-Führer Hametti äußerte sich am Dienstag zum ersten Mal seit dem Angriff auf El Fasher in einem Video. Er beschrieb die Ereignisse als „strategischen Wendepunkt“, kündigte die Bildung einer Untersuchungskommission an und forderte sichere Korridore für Zivilisten, wobei er darauf bestand, dass diese Routen schon immer offen gewesen seien. Diese Behauptung widerspricht jedoch allen verfügbaren Beweisen, Augenzeugenberichten und Videos, die RSF-Mitglieder selbst dokumentiert haben.
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