piwik no script img

Bosniens Abhängigkeit von RusslandSprit-Sorgen in Sarajevo

In der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas ist ein Einbruch der Gasversorgung kaum vorstellbar. In Wahrheit ist ein solches Szenario näher als gedacht.

Sarajewo, Bosnien Herzegowina im Febrauer 2025: das Leben geht weiter Foto: Adrien Fillon/ZUMA Press/imago

D ie Gazprom-Tankstelle liegt gegenüber des größten Friedhofs im Stadtteil Bare in Sarajevo. Und sie ist gut besucht, trotz des etwas höheren Preises für Diesel und Benzin, denn die hier erhältlichen Produkte sind qualitativ okay. Zumindest für die Normalos. Und auch das Tankstellencafé kann sich sehen lassen. Die Sandwiches sind frisch, die Toiletten relativ sauber und nicht so vernachlässigt, wie vielerorts in Bosnien und Herzegowina.

Obwohl Wladimir Putin bei den meisten Menschen in Sarajevo den Ruf eines Kriegstreibers und Mörders hat, tut dies den Geschäften seiner Gazprom-Tankstellen keinen Abbruch. Selbst jetzt nicht, wo angesichts des Streites zwischen der EU und Russland die Grundversorgung mit Erdgas infrage steht.

Die Leute leben ihren Alltag. Auf dem weitläufigen Friedhof ist schon am Morgen reges Treiben zu sehen, viele Menschen besuchen die Gräber ihrer Angehörigen. Muslime und Katholiken sowie orthodoxe Christen liegen zwar getrennt, aber doch nah beieinander. Die Stelen der Muslime werden immer größer, es tauchen jetzt sogar in Stein eingelassene Bilder der Verstorbenen auf, was eigentlich im Islam verboten ist. BlumenverkäuferInnen machen an diesen sonnigen Herbsttagen gute Geschäfte. Etwas verstreut liegen die Gräber der Atheisten, meist Ex-Partisanen oder deren Nachkommen. Die Juden haben eigene Friedhöfe.

Hier in Bare und auf den Friedhöfen nahe dem Stadion kann man einiges über die Geschichte und den Geist der Stadt lernen. Viele der Toten stammen noch aus der Zeit der Belagerung der Stadt 1991 bis 1995, als Hunger herrschte, als Strom und Gas von den serbischen Belagerern unterbrochen war. Kurz, man hungerte, fror in den eiskalten Nächten während dieser 1.425 Tage des ständigen Artilleriebeschusses. Doch das ist 30 Jahre her, für die Jüngeren kaum vorstellbar, obwohl in der Ukraine heute alles ähnlich ist.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und trotzdem: Die Geschichte rückt näher. Denn die bange Frage, was aus dem Streit der EU mit Russland über das Erdöl und Erdgas wird, ist noch nicht geklärt. Russisches Erdgas und Benzin für das Nicht-EU-Land Bosnien könnten knapp werden, denn bisher bezieht auch Sarajevo den Großteil dieser fossilen Brennstoffe via Serbien und Ungarn aus Russland.

Können Gas und Benzin weiter geliefert werden? Auch den ganzen Winter über? Der Tankwart zuckt nur mit den Achseln. Das bedeutet wohl soviel wie, „Die da in der Welt machen sowieso was sie wollen, ich habe dazu nichts zu sagen.“ Und auch die allernächsten Nachbarn nahe der Kosevo-Straße, die den Krieg erlebt haben, sind zwar besorgt, aber keineswegs panisch.

Manche Leute haben sich schon im letzten Jahr mit Elektroheizgeräten eingedeckt. So auch Fudo, ein ehemaliger Mitarbeiter des Elektro- und Gaskonzerns Elektroprivreda. Der Grund: Strommangel werde es in Bosnien nicht geben, dafür sorgten die Wasser- und Kohlekraftwerke schon, hofft der Rentner mit dem gefurchten Gesicht. Man werde trotz aller Drohungen den Winter überstehen, macht sich Fudo Mut.

Das Leben geht weiter

Doch er weiß selbst, dass dies nur Hoffnung ist. Die alten Kraftwerke seien marode, warnen Experten, Sanktionen gegen Russland führten zu Unsicherheiten auf den globalen Energiemärkten. Doch Fudo kämpft. Wesentlich ist doch, „dass Bosnien und Herzegowina ein gespaltenes Land ist“, bedauert er. Sollten die serbischen Extremisten in Bosnien den Schalter umlegen, gingen in Sarajevo die Lichter aus. Auch die kroatischen Extremisten unter Dragan Čović hätten seit Jahren darauf geachtet, dass keine unabhängige Energieversorgung entstehen kann.

Die kroatische Adria-Pipeline führt zwar von Kroatien nach Bosnien, aber nur in die westlichen Gebiete der Kroaten. Eine andere Pipeline, die von Aserbaidschan aus durch die Türkei, Griechenland und Bulgarien läuft, sollte auch durch Bosnien führen, aber Kroatien stellt sich quer.

Als Kindergeschrei durch die Tür dringt, hellt sich Fudos Gesicht auf. Das Leben geht weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

0 Kommentare