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Entwaldung für KaffeeanbauWenn der Wald stirbt, stirbt der Regen

In Brasilien zerstört Kaffee seine eigene Lebensgrundlage: den Regen. Warum Kaffee ein kannibalistischer Rohstoff ist. Und wie es auch anders geht.

Wenn es nicht genug regnet, wachsen diese Kaffeefrüchte nicht so gut. Hier im brasilianischen Sao Gabriel de Palha Foto: Jose Roberto Gomes/reuters

taz | Durch Entwaldung zerstört Brasiliens Kaffeeanbau nicht nur den Regenwald, sondern auch die Regenfälle, auf die der Anbau selbst angewiesen ist. Das geht aus einem Bericht der NGO Coffee Watch hervor, der am Mittwoch vorgestellt wurde und hauptsächlich auf Satellitendaten basiert.

In Gemeinden des südöstlichen Kaffeegürtels Brasiliens ist die Waldfläche demzufolge zwischen 2001 und 2023 um 11 Millionen Hektar zurückgegangen. Mehr als 300.000 Hektar wurden direkt für den Kaffeeanbau gerodet. Seit 2014 sind dort regelmäßige Niederschlagsdefizite zu beobachten und anomale Regenfälle bis zu 50 Prozent unter Normalwert.

Der Hintergrund: Bis zu 40 Prozent der Regenfälle in der Region speisen sich laut dem Bericht aus sogenannten „fliegenden Flüssen“. Das sind feuchte Luftströme, die Wasser aufnehmen, das Bäume ausdünsten. So werden Niederschläge durch das Amazonasgebiet bis nach Südbrasilien getragen. Damit dieses Regensystem funktioniert, braucht es allerdings dicht aneinanderliegende Wälder.

Die Entwaldung des Kaffeegürtels bringt das Regensystem zum Kollabieren: Es gab dort zwischen 2014 und 2023 in acht von zehn Jahren weniger Niederschlag als im restlichen Land. Seit 2012 liegt der durchschnittliche Regenfall im Südosten sechs bis zwölf Prozent unter den historischen Normen. Auch extreme Abweichungen nach unten werden häufiger: Die Dürren spannen sich teils über mehrere Monate, die für den Kaffeeanbau entscheidend sind.

Kaffee als kannibalistischer Rohstoff

„Wenn Kaffee den Regenwald zerstört, zerstört er auch den Regen. Dadurch geht Bodenfeuchtigkeit verloren“, sagte Etelle Higonnet, Gründerin von Coffee Watch. „So wird Kaffee zu einem kannibalistischen Rohstoff, der den Regen und die Bodenfeuchtigkeit vernichtet, die er zum Überleben braucht.“ Brasilien könnte bis 2050 bis zu zwei Drittel seines für den Anbau von Arabica-Kaffee geeigneten Landes verlieren.

Brasilien ist weltweit der größte Kaffeeproduzent, der Marktanteil liegt Schätzungen zufolge zwischen 35 und 40 Prozent. Laut Coffee Watch hat sich der Kaffeeanbau in Brasilien zwischen 1990 und 2023 in der Fläche mehr als verdoppelt und belegt nun 1,23 Millionen Hektar. Von den 11 Millionen Hektar ehemaliger Waldfläche wurden 312.803 Hektar direkt für Kaffeeplantagen abgeholzt. 737.000 gerodete Hektar befinden sich innerhalb von Kaffeefarmen.

Der Bericht hebt auch die Rolle hervor, die Kaffee indirekt zum Beispiel bei Entwaldungen für Weideland spielt. „Nehmen wir an, du rodest Wald für Viehzucht, ich kaufe dir das Land ab und baue Kaffee an“, sagte Higonnet dazu. „Dann überlasse ich dir die Abholzung – aber ich mache die Entwaldungsmaschinerie finanziell rentabel.“ Coffee Watch nennt dies „Entwaldungswäsche“. Der Kaffeeanbau absorbiere die Entwaldung und profitiere von ihr, während er sich von Umweltschäden distanzieren könne.

77 Prozent des Waldverlustes betreffen die Cerrado-Savanne, die als artenreichste Savanne der Welt bekannt ist. 20 Prozent entfallen auf den Atlanischen Regenwald, von dem Coffee Watch zufolge inzwischen weniger als 10 Prozent der ursprünglichen 1,2 Millionen Quadratkilometer großen Fläche übrig sind.

Bäume in den Kaffeeanbau integrieren

Dass sich die Niederschlagsmuster verändern, strapaziert das Geschäft der Kaf­fee­bäue­r*in­nen sehr. Im August 2021 zeigten Satellitendaten eine weitläufige Bodentrockenheit in zentralen Kaffeeanbaugebieten wie dem Bundesstaat Minas Gerais. Dort kommt etwa die Hälfte des brasilianischen Kaffees her. Die Bodenfeuchtigkeit im südlichen Hochland und in den westlichen Plateaus von Minas Gerais ist zwischen 2015 und 2021 um bis zu 25 Prozent zurückgegangen.

Laut Coffee Watch sind Dürren in Brasilien seit 2014 zur neuen Normalität geworden. Gemeinsam mit anderen Krisen wie Schädlingsplagen und Bränden befeuern sie die globale Preisvolatilität und Spekulation. Ausnahmen gab es in Teilen der Zona da Mata, die sich die Bodenfeuchtigkeit durch Agroforstwirtschaft und Schattenanbau erhielten – selbst im August 2021, als der Rest von Minas Gerais austrocknete.

Coffee Watch fordert daher die Transformation von der Monokultur zur Agroforstwirtschaft als Lösungstrategie: das heißt, beim Kaffeeanbau nicht gegen, sondern mit dem Wald zu arbeiten und schattenspendende Bäume ins System zu integrieren, die Kaffee und viele andere Arten schützen. „Agroforstwirtschaft wirkt als Puffer, der das gesamte Ökosystem vor dem Klimachaos behütet“, sagte Higonnet.

Die Europäische Union will mit ihrer Entwaldungsverordnung verhindern, dass weiter Wald für in Europa konsumierte Produkte wie Kaffee, aber auch Holz, Soja oder Rindfleisch verloren geht. In Zukunft müssen Unternehmen einen Nachweis darüber erbringen, dass ihre Produkte auf Flächen produziert wurden, die nicht nach 2020 entwaldet wurden.

EU schwächt Entwaldungsverordnung ab

Das hätte eigentlich schon seit diesem Jahr gelten sollen, wurde aber auf 2026 verschoben. Im September hatte die EU-Kommission einen weiteren Aufschub ins Spiel gebracht. Am Dienstag ruderte sie dabei zurück, schlug aber Abschwächungen der Nachweispflicht vor, durch die nur noch der Erstimporteur auf dem europäischen Markt Rechenschaft schuldig wäre.

Gegenwind bekommt die Verordnung in Deutschland beispielsweise vom Hauptverband der Deutschen Holzindustrie und dem Deutschen Bauernverband. Der Deutsche Kaffeeverband bekennt sich hingegen zu dem EU-Gesetz. „Die Branche hat sich bereits frühzeitig auf die Umsetzung vorbereitet und ist seit Februar 2024 entsprechend aufgestellt“, sagte Verbandschef Holger Preibisch der taz.

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