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EU-Klimaziel laut Gutachten rechtswidrigEU-Staaten könnten auf Schadensersatz verklagt werden

Ein zu niedriges Klimaziel würde Staaten und Unternehmen vor Gericht gefährden, warnt ein Gutachten – auch, weil die EU CO₂-Schulden anhäuft.

Die EU-Staaten häufen immer mehr CO2-Schulden an Foto: Êrik Lattwein/Zoonar/imago
Jonas Waack

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Jonas Waack aus Berlin

taz | Die EU-Staaten könnten erheblichen rechtlichen Risiken ausgesetzt sein, wenn sie den Vorschlag der EU-Kommission für ein EU-Klimaziel nicht nachschärfen. Das Risiko könnte noch weiter steigen, wenn die EU-Regierungschef*innen den Vorschlag der Kommission noch weiter abschwächen. Zu diesem Schluss kommt ein Rechtsgutachten im Auftrag der Grünen-Fraktion im Europaparlament.

Derzeit verhandeln die EU-Staaten über ein gemeinsames Klimaziel für 2040. Die Kommission hatte im Juni vorgeschlagen, im Vergleich zu 1990 die CO2-Emissionen um 90 Prozent zu senken. Drei Prozent sollten demnach über Klimaschutzprojekte außerhalb der EU eingespart werden dürfen.

Über den Vorschlag, der dem deutschen Koalitionsvertrag entspricht, sollte im September abgestimmt werden. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verzögerte jedoch die Abstimmung und stellte so infrage, ob der Vorschlag der Kommission eine Mehrheit finden würde.

Dem Rechtsgutachten zufolge ist bereits dieser Vorschlag völkerrechtswidrig. Die Ju­ris­t*in­nen begründen das mit Urteilen des Internationalen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen als verbindlich feststellten.

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EU häuft CO2-Schulden an

Ihren Anteil am globalen CO2-Budget für 1,5 Grad wird die EU aber zweifellos überschreiten, wie eine aktuelle Studie zeigt. Der wissenschaftliche Beirat der EU hält es deswegen für geboten, die CO2-Emissionen der EU um 90 bis 95 Prozent bis 2040 zu senken, weil das die größtmögliche umsetzbare Ambition darstelle.

Der Beirat warnte aber davor, außereuropäische Klimaschutzprojekte auf dieses Ziel anzurechnen. Die müssten über die Klimaschutzmaßnahmen der EU hinaus finanziert werden, um die CO2-Schulden zu begleichen, die die EU mit dem Überschreiten ihres CO2-Budgets anhäuft. Zusätzlich seien deshalb auch Investitionen nötig, damit die EU langfristig mehr CO2-Emissionen bindet, als sie ausstößt.

Auf dieser Grundlage argumentieren die Au­to­r*in­nen des Rechtsgutachtens, dass der 90-Prozent-Vorschlag der Kommission rechtlich bereits riskant sei, weil er drei Prozent Anrechnung außereuropäischer Klimaschutzprojekte erlaubt und deswegen tatsächlich ein 87-Prozent-Ziel ist. Wird das Ziel noch weiter verwässert, steige das Risiko.

„Staaten könnten vor dem Internationalen Gerichtshof Schadensersatz von EU-Staaten verlangen oder mit Klagen schärfere Ziele erzwingen“, sagte der Anwalt Johannes Franke, der das Gutachten mit seiner Kollegin Roda Verheyen verfasst hat. Auch für Behörden und Unternehmen könnten teure rechtliche Unsicherheiten entstehen. Die EU-Regulierung von Finanzmärkten nehme zum Beispiel auf Völker- und europäisches Recht Bezug. Wenn das völkerrechtlich verbindliche 1,5-Grad-Ziel und das EU-rechtliche 2040er-Ziel sich widersprechen, „dann wachsen die Rechtsunsicherheiten für Finanzunternehmen“.

Aktivisten und Forscher fordern Merz zum Handeln auf

Der EU-Parlamentarier Michael Bloss (Grüne) kündigte an, dass Grüne und Umweltverbände klagen würden, falls das EU-Klimaziel hinter dem Vorschlag der EU-Kommission zurückbleibt oder die Klimaschutz-Architektur der EU demontiert wird.

„Gesetzliche Klimaziele spielen eine entscheidende Rolle für eine verlässliche Politik“, warnten Klima-Aktivist*innen und -Wissenschaftler*innen in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, der zusammen mit dem Rechtsgutachten veröffentlicht wurde. Die Klimaziele „geben den Rahmen für die nachgelagerten Gesetze vor – und damit die Grundlage für unternehmerische und individuelle Entscheidungen.“

Die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen des Briefes, zu denen neben Luisa Neubauer und Carla Reemtsma von Fridays for Future auch die Kli­ma­for­sche­r*in­nen Stefan Rahmstorf und Friederike Otto gehören, fordern Merz und die Bundesregierung auf, im Rat für ein EU-weites 2040er-Ziel von mindestens 90 Prozent einzutreten und den Prozess nicht weiter zu verzögern. „Deutschland ist der größte Mitgliedsstaat und der größte Emittent in der EU – Ihre Stimme ist entscheidend.“

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