piwik no script img

Rechtsextremismus an SchulenDer Staatsschutz auf dem Pausenhof

Rechte Sticker, beschädigte Tür, verängstigte Schüler:innen: Der Angriff auf ein Gymnasium im sächsischen Altenberg ist kein Einzelfall.

Schulleiter Volker Hegewald und die Leiterin der Außenstelle Altenberg Julia Franke inspizieren die beschädigte Tür Foto: Sebastian Kahnert/dpa
David Muschenich

Von

David Muschenich aus Leipzig

taz | Am frühen Montagmorgen klebten sie noch: Mehr als 50 Sticker haben Unbekannte an der Eingangstür des Glückauf-Gymnasiums im sächsischen Altenberg angebracht. Darauf zu sehen: rechte und rechtsextreme Parolen. Rechtzeitig vor Unterrichtsbeginn habe der Hausmeister dann alle Sticker entfernt, berichtet Schulleiter Volker Hegewald später am Telefon. Die große Glasscheibe in der Tür ist aber weiterhin beschädigt. An einem Dutzend Stellen ist sie gesprungen – wie Einschusslöcher sieht das aus.

Hegewald war am Wochenende einer der ersten, die von dem Vorfall gehört haben. Er war einst selbst Schüler des Gymnasiums und ist seit mittlerweile mehr als zwanzig Jahren ihr Direktor. Als er am Sonntag die ersten Bilder gesehen habe, sei er entsetzt gewesen, berichtet er der taz. Zum einen: die Sticker mit den rechtsextremen Motiven. Zum anderen: „Das ist das erste Mal, dass Waffen gegen diese Schule gerichtet wurden.“ Um etwa 14 Uhr am Sonntag erstattete er Anzeige bei der Polizei. Die nahm die Ermittlungen auf.

In der Folge berichten bundesweit Medien über den Fall im kleinen Altenberg. Der Ort hat etwa 7.700 Ein­woh­ne­r:in­nen und liegt im sächsischen Erzgebirge an der Grenze zu Tschechien. Auf das Gymnasium gehen etwa 400 Schüler:innen. Obwohl noch unklar ist, wer für den Schaden und die Sticker an der Tür verantwortlich ist, weist der Fall auf eine Entwicklung hin, die sich auch anderswo bemerkbar macht: Die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Schulen in Deutschland steigt.

Das ergab eine Umfrage der Wochenzeitung Zeit bei den Innenministerien der Bundesländer schon im April. Ob in Hessen, Bayern oder Berlin: Im Jahr 2024 registrierten die Behörden mehr Fälle als im Jahr zuvor. Die sächsische Schulaufsichtsbehörde berichtete vergangenes Jahr laut der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage von <i>Juliane Nagel</i>, Linken-Abgeordnete im Landtag, von 155 „Vorfällen mit rechtsextremem Hintergrund“.

Auch für Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen, reiht sich der Fall in Altenberg in eine „Entwicklung ein, die wir schon seit einiger Zeit mit großer Sorge verfolgen“. Zwar besuchte Sachsens zuständiger Kultusminister Conrad Clemens am Dienstag das betroffene Gymnasium. Doch Naumann kritisiert, vom Minister fehle bislang „das klare Bekenntnis, dass Lehrkräfte nicht neutral sind, sondern für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte Rückendeckung erhalten“.

Die Dunkelziffer sei hoch

Doch wie ist das bei den Schulen in Sachsen denn genau? Nachgefragt bei Nina Gbur, der Geschäftsführerin des Netzwerks für Demokratie und Courage in Sachsen, das Schulen mit Workshops und Beratung gegen Rechtsextremismus unterstützt. Sie sagt, die 155 Fälle, die die Schulaufsichtsbehörde 2024 gemeldet hat, seien nur ein Teil aller Vorkommnisse in Sachsen. Die Dunkelziffer sei hoch.

Warum? „Schulen haben ein riesiges Ressourcenproblem“, erklärt Gbur, und verweist etwa auf den Lehrkräftemangel. „Zeit ist da ein kritischer Faktor“, sagt sie in verständnisvollem Ton. Leh­re­r:in­nen müssten priorisieren: Gehen sie den Vorfall selbst mit pädagogischen Mitteln an oder melden sie ihn bei der Behörde?

In den vergangenen Jahren sei die Beratungsnachfrage von Schulen beim Netzwerk für Demokratie und Courage gestiegen. Das liege zwar auch daran, dass das Angebot bekannter werde – aber nicht nur. „Wir haben mit immer mehr Schulen zu tun, an denen die Problemlage wirklich gravierend ist“, berichtet Gbur. Was sie damit meint? Die Fälle reichten von Hakenkreuzen aus Legosteinen in Grundschulen bis zu dominanten rechten Jugendgruppen auf Schulhöfen, die selbst Lehrkräfte einschüchtern.

Ist das ein sächsisches Problem? „Ganz bestimmt nicht“, betont Gbur. Aber: in Sachsen gebe es seit Jahrzehnten gefestigte rechtsextreme Strukturen. Viele Eltern der nun auffälligen Schü­le­r:in­nen seien selbst Akteure der Szene gewesen. „Da zeigt sich eine gewisse historische Kontinuität“, berichtet sie.

Ermittlungen laufen

Am Glückauf-Gymnasium in Altenberg wurden bei den aktuellen Ermittlungen vor der beschädigten Tür Metallkugeln gefunden, heißt es von der Polizeidirektion Dresden. Auf taz-Anfrage erklärt ein Sprecher, die Ermittlungen müssten erst noch klären, wie die „Einschläge“ an der Tür entstanden seien – ob durch Würfe, Beschuss oder doch ganz anders. Aktuell könne er nicht bestätigen, dass es sich um „Einschusslöcher“ handle.

Wegen der Sticker gehen allerdings auch die Beamten von einem politischen Motiv aus. Der Staatsschutz ermittelt. Auf Fotos von der Tür sind die Motive der Aufkleber zu erkennen. „Braun ist bunt genug“, steht da zum Beispiel, oder „Remigration“ und „FCK Antifa“. Mindestens eine Schwarze Sonne ist zu sehen. Mehrere Sticker im AfD-Design zeigen die Aufschrift „Make Germany Great Again“.

Schulleiter Hegewald sagt, er habe eine Vermutung, worauf der Vorfall abzielte. Aktuell sind 10 Schü­le­r:in­nen aus Madagaskar am Glückauf-Gymnasium zu Besuch. Seit Jahren besteht ein Austausch mit einer Schule aus dem afrikanischen Inselstaat. „Wir sind eine weltoffene Schule“, sagt Hegewald. Am Montag stand in der ersten Schulstunde die offizielle Begrüßung auf dem Programm. „Es ist nur eine Mutmaßung“, betont der Schulleiter, aber er glaube, „dass es da einen Zusammenhang gibt“.

Hakenkreuz in der Pinnwand

Das glaubt auch Pit Klaves. Er war zwischen 2022 und 2024 Schulsprecher des Gymnasiums in Altenberg. Mittlerweile studiert Klaves und ist bei der Linksjugend aktiv. Doch er habe immer noch Kontakt zu Schüler:innen, erzählt er im Gespräch mit der taz.

Von seiner eigenen Schulzeit berichtet Klaves, dass rechtsextreme Einstellungen bei Schü­le­r:in­nen mit den Jahren immer sichtbarer geworden seien. Mittlerweile seien rechte Sprüche schon ab der 7. Klasse keine Seltenheit. Beleidigungen und rechte Sticker habe er auch schon erlebt. „In einem Klassenraum war mal groß ein Hakenkreuz in die Pinnwand geritzt“, erzählt Klaves. Der Vorfall vom Wochenende habe ihn trotzdem überrascht.

Neben den „Einschlägen“ an der Schultür berichtet die Polizei von ähnlichen Schäden am Bahnhof Altenberg. Für Klaves ist das kein Zufall. „Das ist der Schulweg. Ich als offen linke Person hätte Angst, dort langzugehen.“

Am Montagabend zeigt Klaves der taz dann mehrere lange Nachrichten, die laut seinen Worten von aktuellen Schü­le­r:in­nen des Gymnasiums stammen. Darin heißt es unter anderem, eine Mutter habe ihrem Kind am Montag abgeraten, in die Schule zu gehen. Andere fordern, Schulleiter Hegewald solle sich klarer gegen Rechtsextremismus am Gymnasium einsetzen.

Eine weitere Person kritisiert, die Schule unternehme noch nicht genug gegen rechtsextreme Einstellungen: „Irgendwie ist es Normalität, obwohl es das niemals sein sollte.“ Die Ver­fas­se­r:in­nen der Nachrichten wollten unbedingt unerkannt bleiben. Ob es sich tatsächlich um Schü­le­r:in­nen ließ sich deshalb nicht überprüfen.

Verängstigt oder nicht?

Der taz sagt Hegewald ein paar Stunden zuvor, es sei der Auftrag der Schule, „Schüler dazu zu erziehen, ihre Meinung zu äußern“. Aber der Vorfall an der Schultür sei nicht in Ordnung. Das habe er am Montagmorgen auch nach der Begrüßung der Schü­le­r:in­nen aus Madagaskar gesagt.

Hegewald ist selbst politisch engagiert, sitzt für die CDU im Kreistag Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Auch wenn die Meinungsäußerungen auf den Stickern nicht strafbar seien, wolle er sich daran „nicht gewöhnen“. Etwa beim Spruch „Braun ist bunt genug“, da sei doch klar, worauf der sich beziehe. Braun war die Kennfarbe der Nazis während der deutschen NS-Diktatur. Doch trotz der ganzen Aufregung glaubt der Schulleiter: „Es ist nicht so, dass die Schüler verängstigt sind.“

Nina Gbur vom Demokratienetzwerk betont zwar, dass sie nichts Konkretes zu Altenberg sagen könne. Sie könne sich aber auch nicht vorstellen, „dass Einschusslöcher an einer Schultür niemanden beängstigen“. Doch es gebe da einen gewissen Zwiespalt. Einerseits müsse man nach außen Entschlossenheit und demokratische Standhaftigkeit zeigen, den Tä­te­r:in­nen nicht das Gefühl geben, sie könnten irgendwen verängstigen. Andererseits müsse man aber auch die Betroffenen unterstützen, Eltern, Schüler:innen, Lehrer:innen, an denen der Vorfall nicht spurlos vorbeigehe.

Das dominante Verhalten von rechtsextremen Gruppen zeige schon jetzt seine Wirkung, berichtet Gbur aus ihrer Erfahrung. Schü­le­r:in­nen würden mit Angst zur Schule gehen und sie nach dem Unterricht so schnell wie möglich verlassen. Für Menschen, die das erklärte Ziel rechtsextremer Ideologie sind, bestehe ständig das Risiko von psychischer und körperlicher Gewalt.

„Wir gehen zum Beispiel davon aus, dass Eltern, wenn sie jüdisch sind, das in den meisten Fällen der Schule nicht mitteilen, damit ihre Kinder nicht so einer großen Gefahr ausgesetzt sind“, berichtet Gbur. In diesem Kontext betrachtet sie auch den Vorfall in Altenberg. „Das Problem ist nicht, dass das keine hübschen Aufkleber sind und die uns nicht gefallen.“ Das Problem seien die bedrohlichen Inhalte. „Damit sind Leute gemeint.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare