Flüchtlingspolitik in Großbritannien: Ende einer Odyssee für einen Äthiopier
Ein wegen Sexualvergehen inhaftierter Flüchtling kommt beim Abschieben frei und irrt tagelang durch London. Sein Fall hatte Großproteste ausgelöst.
taz | Fast zwei Tage Chaos löste in Großbritannien die versehentliche Freilassung eines wegen eines Sexualvergehens inhaftierten Asylbewerbers aus. Aufgrund eines Fehlers der Haftanstalt Chelmsford, in welcher der 41-jährige Äthiopier Hadush Kebatu einsaß, war der Sexualtäter am Freitag auf freien Fuß gekommen und bekam obendrauf dabei umgerechnet 87 Euro ausgezahlt, statt wie eigentlich vorgesehen in die Heimat abgeschoben zu werden.
Von Chelmsford reiste Kebatu nach London, gesucht von einem Großaufgebot der Polizei. Am Sonntagmorgen wurde er schließlich in der Nähe des großen Finsbury Parks im Norden Londons festgenommen, aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung, wie die Polizei mitteilte.
Der Fall Kebatu steht am Ursprung zahlreicher Bürgerproteste, mitbeeinflusst aus dem rechtsextremen Milieu, im vergangenen Sommer. Der Äthiopier war nach seiner Überquerung des Ärmelkanals im „Bell Hotel“ der Kleinstadt Epping am Rande Londons untergebracht worden und hatte nach nur wenigen Tagen Schulmädchen in der Stadt belästigt. Das sorgte für Proteste gegen die Flüchtlingsunterbringung in dem ehemaligen Hotel, wo heute ausschließlich Asylsuchende untergebracht sind. Als die Gemeinde in Reaktion auf die Proteste die Unterkunft schließen wollte, verhinderte das Innenministerium das vor Gericht, wobei die Regierung eigentlich die Unterbringung von Asylsuchenden in Hotels beenden will.
Die Art und Weise, wie der Äthiopier eingereist war, und seine Verurteilung wegen sexueller Übergriffe im September bedeuten nicht nur, dass Kebatu sein Recht auf britisches Asyl verwirkt hat. Er kann auch aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen schon nach nur dem teilweisen Absitzen seiner Strafe abgeschoben werden.
Er will selber nach Äthiopien zurück
Am Tag, als er entkam, sollte er eigentlich in ein Abschiebezentrum überführt werden. Ein Problem hätte daraus nicht entstehen müssen: Schon vor Gericht hatte Kebatu gesagt, er wolle nach Äthiopien zurückkehren, und unmittelbar nach seiner Freilassung soll der Äthiopier verwirrt in der Rezeption der Strafanstalt umhergegangen sein und Personal um Anweisungen gebeten haben.
Als sein Verschwinden publik wurde, kam es zu einem spontanen neuen Protest vor dem Bell Hotel, und die rechte Opposition begann, den Vorfall mit Vorwürfen gegen die Labour-Regierung zu politisieren. Nach Kebatus erneuter Festnahme am Sonntag bestätigte Premierminister Keir Starmer, dass Kebatu abgeschoben werde und seine Regierung eine Untersuchung zu den Umständen des Falls eingeleitet hätte. Angeblich sei es in der Strafanstalt in Chelmsford auch vorher schon zu ähnlichen Fehlern gekommen.
Es ist nicht der einzige peinliche Vorfall in der britischen Asylpolitik. Nur vor wenigen Tagen landete ein Iraner, der aufgrund des neuen Abkommens mit Frankreich über die Rückführung illegal eingereister Flüchtlinge im Austausch für einen legalen Asylbewerber nach Frankreich zurückgebracht worden war, zum zweiten Mal in Großbritannien, in einem Gummiboot auf dem Ärmelkanal. Er erzählte Journalisten, in Frankreich sei sein Leben in Gefahr, wegen bewaffneter und brutaler Menschenschleusergangs, denen er bereits vor der ersten Überquerung begegnete.
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