Protest gegen Israels Vorgehen in Gaza: Der linke Mainstream demonstriert
Eine Studie zeigt, wer zuletzt auf Gaza-Demos ging. Viele sind jung, kommen aus Akademikerhaushalten und wählen links. Antisemitismus lehnen sie ab.

taz | Jung, hochgebildet, links: Erstmals gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wer zuletzt bei großen Demos gegen Israels Krieg in Gaza mitlief. Wie aus einer neuen Studie der Freien Universität Berlin hervorgeht, kommt ein Großteil der Protestierenden aus akademischen Milieus. Und: Fast alle unterstützen den besonderen Schutz jüdischen Lebens in Deutschland.
Die Forscher*innen der Freien Universität Berlin befragten für ihre Studie rund 300 repräsentativ ausgewählte Teilnehmer*innen zweier Demos, die am 27. September 2025 in Berlin stattfanden. Insgesamt waren an diesem Tag 60.000 bis 100.000 Demonstrierende unter den Slogans "All Eyes on Gaza" und "Zusammen für Gaza" unterwegs.
Als Hauptmotivation gaben fast alle Befragten ihr Entsetzen über das israelische Vorgehen in Gaza an. Auch das Schweigen und die teilweise aktive Unterstützung der Bundesregierung dafür gaben viele Betroffene als Grund an. Die Wissenschaftler schreiben hier von „gewachsenem Groll gegenüber deutschen Institutionen“.
Wenig überraschend kommt deshalb die Bundesregierung unter den Befragten schlecht weg. Zwei Drittel der Befragten gaben an, bei der nächsten Wahl die Linkspartei wählen zu wollen. Die Wissenschaftler*innen attestieren der Linken auch eine „zentrale Rolle in der organisatorischen und personellen Mobilisierung für die Demonstration“.
Kaum familiäre Verbindungen nach Nahost
Von der Demo selbst erhofften sich die Befragten vor allem, ein medial beachtetes Zeichen zu setzen und die deutsche Politik unter Druck zu setzen. Auch der Wunsch, etwas gegen die erlebte eigene Ohnmacht zu tun, attestieren die Forscher*innen vielen der Befragten.
Hinweise auf weitverbreitete antisemitische Einstellungen – die Demo-Teilnehmenden immer wieder unterstellt werden – gibt die Studie nicht. Fast 80 Prozent der Befragten bejahten, dass jüdisches Leben in Deutschland aufgrund der Geschichte besonders geschützt werden sollte. Ähnlich viele befürworteten, dass die Bundesregierung sich für die Befreiung der israelischen Geiseln einsetzen sollte, die damals noch in den Händen der Hamas waren.
Ansonsten fehlten in der Studie aber Fragen, die Hinweise auf antiisraelischen Antisemitismus geben könnten, wie er etwa in der Forderung nach der Zerstörung Israels immer wieder auf Demos zum Ausdruck kommt. Teils wird behaupteter Antisemitismus aber auch als Argument vorgeschoben, um legitime Kritik an Israels Vorgehen abzuwürgen. Hier hat die Studie schlicht eine Lücke.
Dafür lässt sie interessante Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Hintergrund der Protestierenden zu. Einen Großteil der Befragten rechnen die Wissenschaftler einem „bürgerlich-zivilgesellschaftlich verankertem Protestmilieu“ zu, über 40 Prozent kamen aus Akademikerhaushalten. Insgesamt hatten rund 85 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft. Und: Nur rund 5 Prozent hatten einen familiären Bezug zum Nahen Osten.
Fraglich ist, inwieweit die Studie Aussagen auch über Teilnehmende vorangegangener Gaza-Demos zulässt. Die zwei untersuchten Proteste Ende September waren die mit Abstand größten zu Nahost bisher in Deutschland. Und die Umfragedaten zeigen, dass viele Teilnehmende bisher eher wenig mit politischem Aktivismus für Palästinenser zu tun hatten. Nur rund jede:r Zehnte war demnach auch ansonsten in pro-palästinensischen Organisationen aktiv. Unnd für rund ein Drittel der Befragten war es die erste Demonstration zum Thema Nahost überhaupt.
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