piwik no script img

Daniela Sepehri Prinzip HoffnungWegsehen oder widersprechen, schweigen oder handeln

Foto: privat

In Deutschland, einem Land, das sich gern auf Menschenrechte beruft, musste ein junger Geflüchteter bis zu den Vereinten Nationen gehen, um sie einzuklagen. Der UN-Sozialausschuss hat die Bundesregierung gerügt, weil sie Menschen auf die Straße setzt. Es geht um Geflüchtete, die im sogenannten Dublin-Verfahren sind, also in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen, damit ihr Asylantrag dort geprüft wird.

Ihnen dürfen laut Gesetz Unterkunft, Essen, Kleidung und medizinische Versorgung gestrichen werden. Der Fall, um den es in der Rüge ging, betrifft einen 20-jährigen Syrer im Thüringer Ilm-Kreis. Er wurde im Winter 2024 aus seiner Unterkunft geworfen.

Unterstützt von Pro Asyl, dem Flüchtlingsrat Thüringen, einem Anwalt und der Gesellschaft für Freiheitsrechte, klagte er bis nach Genf und bekam Recht: Der UN-Sozialausschuss fordert, dass Deutschland ihn wieder unterbringt und mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Gremium Deutschland wegen eines Verstoßes gegen soziale Menschenrechte gerügt. Was für eine Ohrfeige für eine Regierung, die von sich behauptet, sie verteidige Humanität. Die Entwürdigung von Geflüchteten ist politisch gewollt: Im Oktober 2024 beschloss die Ampel-Regierung (SPD, Grüne, FDP) ihr sogenanntes „Sicherheitspaket“. Nach dem Messeranschlag von Solingen durch einen geflüchteten Syrer wollte die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ Deutschland sicherer machen, indem sie Geflüchtete entrechtete und obdachlos machte.

Das ist eine menschliche Bankrotterklärung. Von Anfang an warnten Expert*innen, Jurist*innen, Menschenrechtsorganisationen, Sozialverbände und Kirchen vor der Verabschiedung des Pakets. Sie alle sagten: Das ist rechtswidrig. Das verstößt gegen die Menschenwürde. Doch die Regierung hörte, wie so oft, nicht zu.

Seither haben Pro Asyl zufolge mehr als 60 Gerichte in Deutschland den Betroffenen, die gegen den Leistungsausschluss geklagt hatten, recht gegeben. Und nun auch die Vereinten Nationen. Das ist mehr als ein juristischer Sieg: Es ist ein Signal an unsere Gesellschaft, das zeigt, dass es sich lohnt, für die eigenen Rechte zu kämpfen. Wenn Ungerechtigkeit und Entrechtung politisch gewollt und beschlossen werden, macht es Hoffnung, dass es eine Zivilgesellschaft gibt, An­wäl­t*in­nen und Aktivist*innen, die Gerechtigkeit erkämpfen. Der Rechtsstaat wird von unten verteidigt.

Es ist leicht, sich ohnmächtig zu fühlen in Zeiten, in denen selbst eine Regierung, die sich „progressiv“ nennt, Schutz zum Risiko erklärt. Vor allem jetzt, wenn mit Union und SPD sogar eine Koalition der Macht ist, die bewiesen hat, dass sie sich über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzt, beispielsweise mit den Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Außengrenzen. Das verstößt gegen europäisches Recht.

Aber dann sieht man Menschen, die nicht aufgeben und ihre Rechte einklagen, und man begreift: Hoffnung entsteht durch Beharrlichkeit.

Es ist ein Signal an unsere Gesellschaft, dass es sich lohnt, für die eigenen Rechte zu kämpfen

Was bleibt, ist eine Frage, die je­de*r für sich selbst beantworten muss: Was soll man tun, wenn Menschen durch Gesetze entrechtet werden? Wegsehen oder widersprechen? Schweigen oder handeln? Aus Prinzip Hoffnung zu haben bedeutet, in der Ungerechtigkeit nicht zu verharren. Es bedeutet, sich seiner Rechte bewusst zu sein und für sie zu streiten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen