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WestsaharaGeraubtes Land mit UN-Segen

Der UN-Sicherheitsrat schafft Fakten: Westsahara soll autonomer Teil Marokkos werden. Die indigenen Sahrauis warnen vor Verschärfung des Konflikts.

Der UN-Sicherheitsrat am vergangenen Freitag in New York: 11 Mitgliedsstaaten stimmten für die neue Westsahara-Resolution Foto: ZUMA / Zuma Press
Reiner Wandler

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Reiner Wandler aus Madrid

„Wer gegen die Besatzung ist, wird verfolgt.“ Die 63-jährige Elghalia aus El Aaiún, der Hauptstadt von Westsahara, berichtete im März vor dem Menschenrechtsausschuss der UNO von der Lage in ihrer Heimat. Dort regiert das Königreich Marokko die eroberten Gebiete mit eiserner Hand.

Dreimal wurde Elghalia verschleppt und gefoltert, galt als verschwunden, bis die Besatzer sie wieder freiließen. Sie ist damit nicht alleine. Immer wieder werden Gegner der Besatzung eingesperrt und misshandelt, Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. „Und das alles weitgehend unter Ausschluss von internationalen Beobachtern“, so Elghalia.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) vollzog am späten Freitag in Sachen Westsahara einen Schwenk um 180 Grad. Nach jahrzehntelangen Bemühungen, ein Referendum über die Zukunft der ehemaligen spanischen Kolonie durchzuführen, rückt der Sicherheitsrat jetzt von diesem Plan ab. Das seit 1975 von Marokko besetzte Gebiet an der afrikanischen Küste gegenüber den Kanarischen Inseln soll künftig ganz offiziell Teil Marokkos werden.

Elf der 15 Mitgliedstaaten des UN-Gremiums, darunter die USA, Frankreich und Großbritannien, stimmten am Freitag für einen Plan, wonach die Westsahara einen Autonomiestatus innerhalb Marokkos erhalten soll. Laut Resolution sei dies die „am besten umsetzbare Lösung“.

„Vorschläge, welche die marokkanische Besetzung legitimieren“

Die Ureinwohner Westsaharas, die Sahrauis, ein arabischsprachiges Beduinenvolk, in den besetzten Gebieten und in den Flüchtlingslagern in Algerien sind geschockt. Seit 2014 sind 317 Vertreter von internationalen Menschenrechtsorganisationen, Solidaritätsgruppen, Pressevertreter und Politiker ausgewiesen worden. Elghalia spricht von „Apartheid“. Nur wer sich offen zu Marokko bekenne, hätte Aussicht auf Arbeit. Viele junge Sahrauis verlassen deshalb ihre Heimat und setzten in lebensgefährlichen Überfahrten auf die Kanaren über.

Die Polisario-Front, die seit den spanischen Kolonialzeiten für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft und die Exilregierung mit Sitz in Algerien anführt, hatte es abgelehnt, im Vorfeld der Abstimmung an Verhandlungen teilzunehmen. Es gehe um „Vorschläge, welche die marokkanische Besetzung legitimieren“ und den Menschen „das Recht auf Selbstbestimmung entziehen“.

Marokkos König Mohammed VI. bezeichnet den Beschluss als „historische Wende“. „Marokko tritt in eine Phase der Einheit ein, in der es sein Recht auf das gesamte Gebiet ausübt“, erklärte er in einer feierlichen Ansprache. In der marokkanischen Hauptstadt Rabat feierten Tausende Menschen auf der Straße.

Der Plan war von den USA eingebracht worden. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte US-Präsident Donald Trump Marokkos Ansprüche auf die phosphat- und fischreiche Westsahara anerkannt, im Gegenzug stärke Rabat die Beziehungen zu Tel Aviv, ganz im Sinne des Abraham-Abkommen, durch das arabische Länder und Israel sich annähern sollen.

Algier sieht Verstoß gegen die UN-Richtlinien zur Entkolonialisierung

Immer wieder werden Vermutungen laut, dass Trump auch wirtschaftliche Interessen im Blick haben könnte. Seine Vorstellung eines Luxusressorts Gaza könnte in der Westsahara wesentlich einfacher umzusetzen sein. Marokko wirbt seit einigen Jahren für die Westsahara als Reiseziel, „dort wo sich Wüste und Meer umarmen“. Flüge einer irischen Billig-Airline machen diese „einzigartige Erfahrung“ möglich. Es geht von Madrid nach Dakhla, einer Stadt an der afrikanischen Atlantikküste, etwas südlich der Kanarischen Inseln. Die Weiße Düne, Dracheninsel, Nomadenmusik, Kamel und Wassersport im bislang völkerrechtswidrig besetzten Territorium locken.

Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat gab es keine Gegenstimmen. Russland, China und Pakistan enthielten sich. Algerien, das seit der gewaltsamen Besatzung durch Marokko in den 1970er Jahren sahrauische Flüchtlinge aufnahm und der Befreiungsbewegung Polisario Unterstützung und Unterschlupf gewährte, blieb der Abstimmung fern. Für Algier verstößt die Resolution gegen die UN-Richtlinien für die Entkolonialisierung. Diese sehen die Befragung der Bevölkerung ehemaliger Kolonien über ihre Zukunft vor.

Spanien zog vor 50 Jahren, als Diktator Francisco Franco im Sterbebett lag, aus der Westsahara ab und überließ die Kolonie den Nachbarn Marokko und Mauretanien. Mauretanien streckte im Konflikt mit der Polisario schnell die Waffen. Marokko eroberte rund 80 Prozent des Gebiets. Der Rest befindet sich bis heute unter Kontrolle der Polisario.

1991 schlossen die beiden Konfliktparteien unter Schirmherrschaft der UNO einen Waffenstillstand. Ein Referendum sollte über Unabhängigkeit oder Verbleib bei Marokko entscheiden. Die Abstimmung fand nie statt. Marokko akzeptierte nicht einmal die in jahrelanger Arbeit von der UN-Mission für die Westsahara, der Minurso, erstellten Liste der Wahlberechtigten.

„Diese einseitige Vorgehensweise wird den Konflikt nur verschärfen“

Das Aussitzen des Konflikts macht sich nun für Marokkos Königshaus endgültig bezahlt. Nicht nur Trump, sondern auch Frankreich unterstützt das Königreich im Westsahara-Konflikt. Und selbst Spanien, nach dem Völkerrecht noch immer die Verwaltungsmacht, ging in den letzten Jahren auf Marokko zu. 2022 erklärte der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez, dass eine Autonomie innerhalb Marokkos die einzige mögliche Lösung des Konflikts sei, und nahm damit vorweg, was jetzt UN-Politik wird.

Eine Autonomie wird für die indigene Bevölkerung der Westsahara nur wenig ändern. In den besetzten Gebieten, um die es in der Resolution geht, leben rund 600.000 Menschen. „Wir Sahrauis machen nur noch rund 15 Prozent der Bevölkerung aus“, berichtet die sahrauische Menschenrechtsaktivistin Djimi Elghalia. Das sind rund 90.000 Menschen, der Rest der Bevölkerung in einem Gebiet halb so groß wie Spanien sind zugewanderte Marokkaner. In den Flüchtlingscamps in der algerischen Wüste leben weitere 175.000 Sahrauis.

Die Polisario bekräftigt nach der Abstimmung, „dass diese einseitige Vorgehensweise, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden kurzfristigen politischen Interessen zu opfern, den Konflikt nur verschärfen wird“.

Seit dem 13. November 2020 kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der marokkanischen Armee und den Truppen der Polisario. Alles begann, als Marokko den Waffenstillstand brach und in eine entmilitarisierte Pufferzone im Süden an der Grenze zu Mauretanien vorrückte, um dort eine Fernstraße auszubauen. Seither kommt es ständig zu Kriegshandlungen entlang des 2.700 Kilometer langen Sandwalls durch die Wüste, mit dem Marokko seit Jahrzehnten die Besatzung absichert.

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