Abschiebedebatte um Syrer*innen: Unwürdig und unrealistisch
Die Debatte um eine „Rückführung“ ist völlig irregeleitet. Es ist praktisch unmöglich, Hunderttausende Schutzzusagen noch einmal zu überprüfen.
K aum ist die Stadtbild-Debatte etwas abgeflaut, startet die Union die nächste irrige Diskussion. Thema diesmal: Abschiebungen nach Syrien. CDU-Außenminister Johann Wadephul befand bei einem Besuch in Damaskus: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben“, und stellte damit Abschiebungen nach Syrien infrage. Für viele in der Union ein Skandal, schließlich hat sie der SPD im Koalitionsvertrag die Zustimmung zu solchen Abschiebungen abgerungen.
In der seitdem anhaltenden Debatte geht einiges durcheinander. Während manche betonen, es gebe überhaupt keinen Dissens und alles sei nur ein großes Missverständnis, schlagen andere Alarm und widersprechen Wadephul direkt. Ähnlich verwirrend wird es, wenn man versucht herauszufinden, um wen es bei der ganzen Debatte eigentlich geht. „Natürlich die Straftäter“, sagt der eine Kritiker Wadephuls, während der nächste von „jungen Männern arabischer Herkunft sunnitischer Konfessionszugehörigkeit“ spricht und der dritte gleich sagt, dass „für die allermeisten ausgereisten Syrer eine Rückkehr nun möglich und zumutbar“ sei.
Von der Realität ist all das weitgehend entkoppelt. Die Kritiker Wadephuls ignorieren nicht nur die desaströse Menschenrechtslage in Syrien. Auch wenn man die moralischen und juristischen Fragen außen vor lässt, ist die Vorstellung absurd, man könne Hunderttausende Syrer*innen aus Deutschland abschieben. Zur Erinnerung: Mit Riesenaufwand hat die aktuelle Bundesregierung die Zahl der Abschiebungen in diesem Jahr auf gerade einmal 17.651 gesteigert. Und die Behörden sind schon gut ausgelastet, ohne in Hunderttausenden Fällen bereits erteilte Schutzzusagen noch einmal zu überprüfen.
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Wie so oft in der Migrations- und Asylpolitik geht die Diskussion damit völlig an dem vorbei, was wichtig ist. Es ist ja ganz einfach: In Zeiten des Fachkräftemangels, der Überalterung und der kriselnden Sozialsysteme muss jedem noch so herzenskalten Politiker daran gelegen sein, dass in Deutschland bleibt, wer bleiben möchte und sich einigermaßen in die Gesellschaft einfügt.
Gleichzeitig muss denen geholfen werden, die lieber in das Land zurückkehren möchten, aus dem sie einst fliehen mussten. Dabei geht es nicht nur darum, hier lebenden Syrer*innen Erkundungsreisen in ihr Herkunftsland zu ermöglichen, ohne dass sie ihren Aufenthaltstitel verlieren. Es geht auch darum, die progressiven politischen Kräfte in Syrien zu unterstützen, wo auch immer das möglich ist. Damit man in Syrien irgendwann eben doch „richtig würdig leben“ kann.
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