Töchter-Demo in Berlin: Das Problem mit dem weißen Mann
Tausende folgten am Dienstagabend dem Demoaufruf „Wir sind die Töchter“. Unterstützung kam von Luisa Neubauer und Grünen-Politikerin Ricarda Lang.
Während der Berliner Feierabendverkehr die Straßen verstopft und in der CDU-Bundesgeschäftsstelle langsam die Lichter ausgehen, versammeln sich vor dem Gebäude immer mehr Menschen, vor allem: Mädchen und Frauen. Manche sind noch so klein, dass sie von ihren Müttern getragen werden, andere sind mit Rollator da.
Sie alle sind zur Demonstration „Wir sind die Töchter“ gekommen, zu der das Bündnis „Zusammen gegen Rechts“ sowie die Klimaaktivistin Luisa Neubauer aufgerufen haben. Kurz vor 19 Uhr sprechen die Veranstalter*innen von rund 7.500 Teilnehmenden, die Polizei meldet hingegen 2.000 Anwesende. Angemeldet war die Kundgebung mit 300 Personen.
Anlass ist eine Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz am Montag, mit der er seine zuvor getätigte, umstrittene „Stadtbild“-Aussage rechtfertigte. Er sagte, man solle doch mal „seine Töchter“ fragen: „Alle bestätigen, dass das ein Problem ist, spätestens mit Einbruch der Dunkelheit.“ Damit bekräftigte er seinen Standpunkt, wonach es ein Problem „im Stadtbild“ gebe. Das könne man mit einer Migrationspolitik lösen, bei der man auf Rückführungen „in sehr großem Umfang“ setzt.
Die Veranstalter*innen der Kundgebung werfen dem Kanzler vor, Mädchen und Frauen im Zusammenhang mit einer diskriminierenden und verletzenden Aussage zu instrumentalisieren. Denn diese unterstelle pauschal allen nicht-weißen Männern, eine Gefahr für Mädchen und Frauen zu sein, wie auch Neubauer am Dienstagabend vor den Versammelten betonte: „Ich lasse nicht zu, dass Frauen für eine Aussage angeführt werden, die verletzend, diskriminierend und umfassend rassistisch ist.“ Indem Merz versuche, Gruppen „gegeneinander auszuspielen“, so Neubauer weiter, treibe er die gesellschaftliche Spaltung voran.
Demonstrant*innen vermissen bei Merz Nächstenliebe
Sie wünsche sich eine Politik, die ein aufrichtiges Interesse daran habe, sich mit den tatsächlichen Gefahren für Frauen zu befassen, wie die 29-jährige Aktivistin und Autorin zuvor auch in einem Beitrag auf Instagram mitteilte: „Wir sind plusminus 40 Millionen Töchter in diesem Land. Wir haben ein aufrichtiges Interesse daran, dass man sich mit unserer Sicherheit beschäftigt.“ Stattdessen führe Friedrich Merz „völlig derangierte Debatten“, die Reflexion, Respekt und Anstand vermissen ließen, so Neubauer auf der Kundgebung.
Von den Teilnehmer*innen bekommt Neubauer Zuspruch. Sie halten Schilder hoch mit Sätzen wie „Ich bin Tochter und mein Problem im Stadtbild sind Rassismus und Sexismus“ oder „Nicht im Namen meiner Tochter“. Immer wieder setzen Sprechchöre wie „Wir, wir, wir sind das Stadtbild“ und „Shame on you, CDU“ ein. Auch für Demo-Teilnehmerin Penelope C. steht fest: „Nicht Ausländer sind das Problem, sondern Männer.“ Außerdem habe sie ein Problem damit, dass sich „da ein Mann hinstellt und denkt, er kann für alle Frauen sprechen“. Neben ihr steht Viola W., die das „Christliche“ bei der CDU vermisse: „Was ist denn mit Werten wie Nächstenliebe?“
Neben Neubauer traten auch die Publizistin Carolin Emcke und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang auf. Weitere Politiker*innen von Grünen und Linken solidarisierten sich online mit dem Demo-Aufruf, darunter die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, sowie Heidi Reichinnek von der Linkspartei.
Lang sagt, sie habe es satt, dass Frauen „als Feigenblatt für rechte Narrative“ herhalten müssten. Mit der Stadtbild-Aussage täte der Kanzler indes nichts für den dringend gebotenen Schutz von Frauen, etwa bei häuslicher Gewalt. Auch tatsächlich im Stadtbild wahrnehmbare Probleme wie Armut oder Drogenabhängigkeit würden durch solche Narrative nicht gelöst.
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