Umgang mit ausländischen Straftätern: Handgeld für Ausreise
Seit Jahren hält eine syrische Großfamilie die Stuttgarter Justiz auf Trab. Nach einem Deal mit der Landesregierung ist sie nun freiwillig ausgereist.

Schwere Körperverletzung, Raubdelikte, Bedrohung, Besitz von Kinderpornografie und Messerattacken mitten in der Innenstadt. Insgesamt 160 teils schwerste Straftaten, begangen von elf Mitgliedern einer Familie in Stuttgart, das war für Stuttgart jahrelang mehr als die unklaren Probleme des Kanzlers mit dem Stadtbild.
Anfang der Woche meldete das baden-württembergische Justizministerium die freiwillige Ausreise der syrischen Großfamilie, die ab 2015 von Aleppo nach Deutschland gekommen war. Justizministerin Marion Gentges (CDU) verbucht das als Ergebnis konsequenter Strafverfolgung und erfolgreicher Arbeit des Sonderstabs „Gefährliche Ausländer“.
Der Sonderstab, der sich aus Vertretern der Polizei, Ausländerbehörden und dem Landesamt für Verfassungsschutz zusammensetzt, hat durch intensive Gespräche mit dem Familienoberhaupt Almudy H., 44, erreicht, dass dessen Familie freiwillig nach Syrien ausreist. Abschiebungen nach Syrien sind derzeit nicht möglich, so blieb aus Behördensicht nur die freiwillige Ausreise ohne Rückkehroption. Denn dann droht den straffällig gewordenen Familienmitgliedern, ihre Haftstrafen weiter verbüßen zu müssen.
Almudy H., seine Kinder und seine beiden Ehefrauen wollten nur gemeinsam das Land verlassen, so die Behörden. Sie hätten dafür „auf ihren asylrechtlichen Schutzstatus verzichtet“. Die Ausreise ist vom Sonderstab organisiert und begleitet worden. Am Sonntag sind 13 Familienmitglieder in Syrien angekommen, weitere waren bereits im vergangenen Jahr ausgereist, drei Söhne befinden sich noch in Deutschland in Haft. Neben den Flugkosten sind nach Angaben des Justizministeriums 1.350 Euro „Förderung“ pro ausgereistem Familienmitglied ausgezahlt worden.
Wegen Messerattacke in Haft
Der Sonderstab „Gefährliche Ausländer“ des Landes Baden-Württemberg besteht derzeit aus 44 Beamten aus Ausländer- und Sicherheitsbehörden und ist dezentral in den Regierungspräsidien organisiert. Er war 2018 nach der Gruppenvergewaltigung einer Frau in Freiburg vom damaligen und heutigen Innenminister Thomas Strobl (CDU) eingerichtet worden. Seitdem organisierte er die Ausreise und Abschiebung von insgesamt 496 besonders schweren Straftätern. Bisher ist Baden-Württemberg das einzige Land mit einem solchen behördenübergreifenden Netzwerk.
Flüchtlingsinitiativen haben den Sonderstab schon wegen seines Titels in der Vergangenheit als „stigmatisierend“ kritisiert. Bei der SPD-Opposition stand er unter dem Verdacht, vor allem Symbolpolitik zu verkaufen. Zum aktuellen Fall möchte sich der Landesflüchtlingsrat nicht äußern. Er habe sich mit dem Fall der Familie H. nicht auseinandergesetzt.
Allerdings: Die kriminelle Energie von den männlichen Mitgliedern der Familie H. teils schon im Kindesalter dürfte auch Kritiker nachdenklich machen. Jahrelang beschäftigten die meist noch jugendlichen Täter Polizei und Justiz in Baden-Württemberg. Trauriger Höhepunkt: zwei Messerattacken, eine davon in der Stuttgarter Fußgängerzone. Die Brüder Khallil, Mohammed und Jamil H. hatten im Juni letzten Jahres einen Mann niedergestochen, der ihre Schwester „komisch angeschaut“ habe. Ein Jahr später wurden sie dafür zu Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt.
Auch sie sollen bald ausreisen. Allerdings erst, wenn sie einen „relevanten Teil“ der Haft verbüßt haben, so Justizministerin Gentges. Die Ausreise solle nicht die Strafe ersetzen.
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