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Depressionen durch Social MediaSmartphone-Opfer

Die Gen Z hat deutlich stärker als frühere Generationen mit psychischen Problemen zu kämpfen. Tiktok und Instagram sind wenig hilfreich.

69 Prozent der Jugendlichen stellen selbst fest, wie sehr die sozialen Netzwerke ihre Stimmung negativ beeinflussen Foto: Michael Gstettenbauer/imago

Q uentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, stellte kürzlich eine Studie zu einer Mental Health Crisis junger Menschen in Deutschland vor. Neben dem jungen Mann saß Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), das die aktuellen Daten erhoben hatte. Die Untersuchungsergebnisse weisen auf die ökonomischen Konsequenzen dieser Krise hin und halten fest: „So stellen viele Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen für die öffentlichen Haushalte auf längere Sicht eine lohnenswerte Investition dar.“

Zynisch gesagt, müssen junge Menschen jetzt schon beweisen, dass ihre emotionalen Belastungen auch finanziellen Schaden mit sich bringen. Das Wohlergehen von Kindern allein scheint in dieser Gesellschaft nicht auszureichen. In seinem Buch „Generation Angst“ schreibt der US-amerikanische Psychologe Jonathan Haidt über einen Wandel in der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, der etwa im Jahr 2010 einsetzt, das Jahr, in dem die letzten Kinder der Gen Z – die „Generation Angst“ – geboren wurden.

Um dieses Jahr herum wurden außerdem die ersten Kinder der Gen Z volljährig. Ungefähr damals kam auch das erste iPhone auf den Markt und das Breitbandinternet wurde in den USA und Europa allgemein zugänglich. Die Gen Z, so schreibt Haidt, sei die „erste Generation in der Geschichte“ gewesen, „die die Pubertät mit einem Portal in der Hosentasche durchlief – einem Portal, das sie von den Menschen in ihrer Nähe weglockte und in ein alternatives Universum führte, das aufregend, süchtig machend, instabil“ sei.

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Dass viele Kinder und Jugendliche emotional belastet sind und unter psychischen Erkrankungen leiden, hat unterschiedlichste Gründe. Ein solch auffälliges Geschehen ist nie auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Erstaunlich ist allerdings, dass die Tatsache, dass schon sehr junge Menschen Zugang zu einer Welt der Social-Media-Plattformen haben, die sogar für Erwachsene in höchstem Maße belastend sein kann, in der Debatte eine derart kleine Rolle spielt.

Drei von vier finden sich nicht schön

Eine Befragung der britischen Organisation Stem4 aus dem Jahr 2021, die sich der mentalen Gesundheit von jungen Menschen widmet, zeigte, dass 77 Prozent der 12- bis 21-Jährigen unzufrieden damit sind, wie sie aussehen. 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind durchschnittlich 3,65 Stunden (!) täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs.

Wenn sie einen Weg finden wollen, um mit den negativen Gefühlen gegenüber dem eigenen Körper umzugehen, suchen sich 76 Prozent der jungen Menschen Hilfe auf Social-Media-Apps wie Tiktok und Instagram; nur 18 Prozent sprechen darüber mit Freun­d:in­nen oder der Familie. Das Überraschende dabei ist, dass 69 Prozent der Kinder und Jugendlichen selbst feststellen, wie sehr die sozialen Netzwerke ihre Stimmung negativ beeinflussen. Laut der Stem4-Untersuchung fühlen sie sich „gestresst, besorgt und depressiv“.

Für einen Artikel im US-amerikanischen Magazin The Atlantic beschreibt Haidt eine Untersuchung von Kindern im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Die Probanden bekamen drei Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit verbringen können: freies, unbeaufsichtigtes Spielen mit anderen Kindern. Oder: Aktivitäten, die von Erwachsenen organisiert werden. Oder: sich online mit anderen verbinden. Es gab einen klaren Gewinner: das freie Spielen. Knapp die Hälfte der Kinder wählten die erste Option, nur ein Viertel wollte sich in der Freizeit online vernetzen.

Es braucht strengere Regeln

Es ist ein heikles Thema. Kritik am allzu leichten Zugang zur digitalen Welt der Social-Media-Apps kann schnell zur allgemeinen Technikkritik umgedeutet werden. Zu Studien und Untersuchungen eines Wissenschaftlers wie Jonathan Haidt gibt es Kritik anderer Wissenschaftler:innen, die sicher valide ist – Wissenschaft ist selten eindeutig. Gleichzeitig liefern zahlreiche Studien klare Hinweise darauf, dass es schädlich sein kann, jungen Menschen allzu früh Smartphones in die Hände zu drücken.

Nur in einer Gesellschaft, in der das Wohlergehen von Kindern derart geringgeschätzt wird, ist es möglich, diese Warnzeichen zu ignorieren. Die Macht und die Wünsche der digitalen Plattformen scheinen vorzugehen. Das Argument, dass Kinder digitale Fertigkeiten schließlich erlernen sollen, erscheint seltsam. Natürlich müssen sie das – aber das geht auch ohne ein eigenes Smartphone oder den Zugang zu Social Media.

Außerdem hat auch die Generation vor Gen Z, die Millennials, bekanntermaßen den Umgang mit der digitalen Welt gut erlernt, obwohl sie teils erst weit nach der Schulzeit damit begonnen haben. In dieser Hinsicht ist es unfassbar, dass Schulen in Deutschland private Smartphones erlauben. Dass es bisher noch keine Bundes- oder Landesregierungen für flächendeckende Regelungen gibt oder auch dass der Zugang zu Social Media vor dem 16. Lebensjahr erlaubt ist, ist nicht nachvollziehbar.

Ohne staatliche Regelungen wird jede Familie mit der Entscheidung alleingelassen. Was sollen Eltern sagen, wenn die zehnjährige Tochter nach Hause kommt und erklärt, sie will jetzt auch ein Smartphone haben, schließlich haben alle anderen in ihrer Klasse auch eins? Was ist mit Eltern, die weder die Ressourcen noch den Zugang zu Wissen haben, die für solche Entscheidungen notwendig wären? Was ist mit Familien, die prekär leben, die eingewandert sind und dadurch bereits strukturell emotionale Belastungen haben?

Die Erklärung, dass das jede Familie für sich selbst klären müsse, kann nur aus einer sehr privilegierten Sicht erfolgen. Man kann nur hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft Gesellschaft und Staat verstehen, was Kinder brauchen. Es ist allerhöchste Zeit, sich besser um sie zu kümmern.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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7 Kommentare

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  • Ich glaube, dass TikTok und Instagram eher hilfreich sind - für die Depressionen.

  • "(...) dass 77 Prozent der 12- bis 21-Jährigen unzufrieden damit sind, wie sie aussehen. 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind durchschnittlich 3,65 Stunden (!) täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs."



    Ich bin schon deutlich älter als die Gen Z. Aber in meiner Internet-/Social-Media-freien Jugendzeit war die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ebenso weit verbreitet. Und uns haben nicht 3,XY Stunden bei TikTok verdorben, sondern die gleiche Zeit vor dem Fernseher, später dann vor der Konsole bzw. mit PC-Games. Für das Leitmedium "Bravo" gab es wiederholt Verbotsforderungen. Wir Jugendlichen galten damals als "gestresst, besorgt und depressiv" - und verdorben. Meine Alterskohorte hat nun eigene Kinder in die Welt gesetzt und ist gesellschaftlich und politisch durchaus bestimmend unterwegs. Und konstatiert nun, mit den Worten der Autorin: "Man kann nur hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft Gesellschaft und Staat verstehen, was Kinder brauchen. Es ist allerhöchste Zeit, sich besser um sie zu kümmern." Die 90er haben angerufen, dass die 70er ein Telegramm geschickt hätten, dass sie ihre ungelösten Probleme gerne zurück hätten...

  • Möglicherweise finden sich Kinder und Jugendliche nicht "ausreichend schön", weil sie schon im Kinderwagen von ihren Eltern ignoriert werden.



    1. Beobachtung: Ein Kind in der U-Bahn möchte die Mutter auf etwas aufmerksam machen. Die Mutter reagiert nicht. Das Kind versucht dies mehrere male - vergebens. Die Mutter ist mit ihrem Smartphone beschäftigt.



    2. Beobachtung: Ein Vater geht mit seinem Sohn auf den Spielplatz. Der Sohn schreit zum Wiederholten mal vom Klettergerüst her "Papa, guck doch mal. Ich bin ganz oben." Der Vater reagiert nicht, denn er ist mit seinem Smart phone beschäftigt.



    3. Beobachtung: Ein Kleinkind fängt an zu weinen - das tun die manchmal! Statt das Kind (aus dem Wagen zu nehmen und zu beruhigen), hält die Mutter dem Kind das Handy mit irgendeinem witzigen, zappelnden Tier vors Gesicht. Das Kind ist nun abgelenkt.

    Und so könnte ich die Reihe fortsetzen. ich will damit sagen. Wie soll ein Kind sich gut fühlen, wenn es sich im Blick der Eltern nicht spiegeln kann. Mich machen solche Beobachtungen immer ganz zornig. Und wenn ich schon zornig bin, wie mag das Kind solche Nichtbeachtung wohl verarbeiten.

  • Und wieder einmal braucht die Politik & Gesellschaft eine Generation lang, um das Problem zu entdecken, eine Generation lang, um dann Lösungsvorschläge zu machen und kommt dann, nach 3 Generationsopfern zu einer "Lösung" die ein dann altes Problem lösen soll, wohingegen schon 3 neue Probleme aufgetaucht sind.



    Socialmedia-VERBOT für unter 16 Jährige!! Jetzt!!

    Und auch harte Strafen für vermeintlich sorgende Eltern, die ihrem Kind zum 6. Geburtstag ein Handy "nur für den Schulweg, falls was passiert" geben. Aber wir schaffen es ja nicht einmal, dass in einem Auto, wo Kinder mitfahren, nicht geraucht werden darf.

  • Na ja. Auch ohne Socials bekamen wir immer vermittelt, dass wir alles können und alles sein mussten während man uns gleichzeitig vermittelt hat wie minderwertig und leistungsschwächer als alle Menschen vor uns seien. Die Socials haben das wohl verstärkt. Unbeschwertheit gibt es (so) nicht mehr. Weil man von allem Leid der Welt wissen kann, ist man ignorant, wenn man Nichts mitbekommt oder sich davon abgrenzen will. Alles in allem blöd. Vor allem, weil man keinem Bild, keiner Tonaufnahme mehr trauen kann.

  • Das ist natürlich kein Hinweis darauf, dass Smartphone, oder Technik schlecht sind. Aber was wir damit machen, ist schlecht. Die social media, um die es geht, Tik Tok, facebook, Insta, etc. sind alle "kostenlos". D.h., die Ware sitzt vor dem Bildschirm. Die Daten sind die Bezahlung, aber es ist durchaus auch so, dass diese Medien die Menschen bei sich behalten wollen, weil das ja auch zu erhöhten Werbeeinnahmen führt etc.

  • "Eine Befragung der britischen Organisation Stem4 aus dem Jahr 2021, die sich der mentalen Gesundheit von jungen Menschen widmet, zeigte, dass 77 Prozent der 12- bis 21-Jährigen unzufrieden damit sind, wie sie aussehen."

    Mission accomplished! Ein weiterer Sieg des Kapitalismus! Denn diese Unzufriedenheit ist ja der Nährboden, den Jugendlichen Scheiß zu verkaufen, der ihre Unzufriedenheit abmildert - bevorzugt für sehr kurze Zeit. Die "Schönheits"industrie kann frohlocken bei solchen Ergebnissen.