Mietwucher in Berlin: 66 Quadratmeter für 1.100 Euro, kalt
Der Immobilienkonzern Heimstaden verlangt horrende Mieten und gibt vor, Wohnungen umfassend modernisiert zu haben. taz-Recherchen belegen anderes.
W ie Flicken auf einer löchrigen Jeans hängen Netze über der Fassade des Altbaus. Martin Berger legt den Kopf in den Nacken. „Das Haus fällt hier fast auseinander“, sagt er. Die Netze sollen den bröckelden Putz auffangen. Hier, im ehemaligen Berliner Arbeiterbezirk Wedding, kostet eine Wohnung laut aktuellem Mietspiegel durchschnittlich knapp 7 Euro pro Quadratmeter. Aber Berger zahlt fast 17 Euro.
Das Mietshaus, Baujahr 1900, steht an einer stark befahrenen Straße. Rechts ein Fahrradshop, links ein Dönerladen, neben der Haustür hängt das silberne Schild des Vermieters wie eine Drohung: Heimstaden. Jemand hat einen „Enteignen“-Sticker dazu geklebt. Der skandinavische Immobilienkonzern ist bekannt für Mieterhöhungen und teure Modernisierungsarbeiten. Wenn Mieter:innen ausziehen, ruft Heimstaden oft die Handwerker:innen. Die Wohnungen werden dann laut Heimstaden umfassend modernisiert. Danach verlangt der Konzern teilweise über 30 Euro pro Quadratmeter. Denn die Mietpreisbremse gilt nach einer umfassenden Modernisierung nicht mehr.
Martin Berger, 30, Karohemd, Yogahose, Kurzhaarfrisur, schließt die Tür zu seiner 2-Zimmer-Wohnung auf. Auch seine Wohnung soll vor dem Einzug umfassend modernisiert worden sein. Berger heißt eigentlich anders, aber um zukünftige Vermieter nicht zu verschrecken, bleibt er lieber anonym. Für die 66 Quadratmeter zahlen er und seine Partnerin laut Mietvertrag 1.100 Euro kalt.
Der Boden ist mit Vinyl in Holzoptik ausgelegt, das Bad mit beigen Fliesen gekachelt. Eine Einbauküche wurde montiert: weiße Schränke mit silbernen Griffen, eine Arbeitsplatte aus Plastik. So sehen die Heimstaden-Wohnungen in den Inseraten fast immer aus. Reicht das für eine umfassende Modernisierung oder ist es nur ein Vorwand, um eine teure Miete zu verlangen?
Die Masche scheint immer ähnlich zu sein
In dem Fall könnte es bedeuten, dass Heimstaden die Mietpreisbremse illegal umgeht. Die soll eigentlich verhindern, dass bezahlbarer Wohnraum verschwindet und Menschen für Profite aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt werden. taz-Recherchen zeigen: Die Masche, mit der Heimstaden die Miete in die Höhe treibt, scheint immer ähnlich zu sein.
Heimstaden ist eines der größten Immobilienunternehmen in Europa. 1998 gründete der norwegische Unternehmer Ivar Tollefsen, der auch durch seine Antarktis-Expeditionen bekannt ist, Heimstaden in Schweden. Mittlerweile besitzt der Konzern Wohnungen in Dänemark, Finnland, England, den Niederlanden, in Polen und Tschechien. Das selbsterklärte Ziel von Heimstaden: mit ihren „Friendly Homes“ ein freundliches Wohnklima schaffen und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. So steht es auf der Webseite.
In Deutschland ging es für Heimstaden ab 2018 schnell nach oben: Heimstaden Bostad, an dem der schwedische Pensionsfonds Alecta große Anteile hält, wurde gegründet – der Konzern, der seitdem vor allem in Berlin ein Haus nach dem anderen kauft. Weil Heimstaden im Jahr 2021 zahlreiche Häuser des Akelius-Konzerns übernahm, ist das Unternehmen mittlerweile der zweitgrößte private Vermieter der Hauptstadt. Über 20.000 Wohnungen besitzt er in Berlin, knapp 30.000 sind es in Deutschland.
Fast wöchentlich tauchen neue Inserate von Heimstaden im Internet auf. Viele der Wohnungen seien modernisiert worden. Was jedoch als „umfassende Modernisierung“ gilt, ist gesetzlich klar definiert. Die Renovierungsarbeiten müssen so umfangreich sein, dass der Zustand der Wohnung einem Neubau entspricht. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: Die Arbeiten müssen innerhalb der Bereiche Dach, Bad, Fenster und Türen, Wasser- und Abwassersysteme, Heizung oder Elektrizität stattfinden. Und: Für die Modernisierung muss ein Drittel der Kosten eines Neubaus ausgegeben werden. Aktuell kostet ein Quadratmeter neue Wohnung laut Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen 4.450 Euro. Diese Voraussetzungen seien eher selten gegeben, sagt die Senatsverwaltung gegenüber der taz.
Erst mal nur kaltes Wasser
Für Martin Bergers 66 Quadratmeter große Wohnung bedeutet das: Heimstaden hätte damals mindestens 80.300 Euro investieren müssen. „Es wurde schon saniert, aber so hochwertig wirkt das jetzt nicht“, sagt Berger. Die Wand zwischen dem Schlafzimmer und der nächsten Wohnung sei so dünn, dass sie jedes Wort aus der Nebenwohnung hören. Im Bad riecht es modrig. An der Decke zeichnet sich ein blasser Fleck von einem alten Wasserschaden ab. Bergers Blick bleibt an der Gastherme über der Toilette hängen: „Als wir eingezogen sind, war die Therme kaputt.“ Über zwei Monate sei das Wasser kalt geblieben. Heimstaden teilt der taz mit, dass sie die Mängel nun noch einmal prüfen wollen.
Was in der Wohnung auch auffällt: Die Fenster sind alt, teilweise nur einfach verglast. Die Heizungsrohre liegen offen. Unter den Zimmertüren klaffen breite Schlitze, durch die Kälte ziehen kann. Diese Punkte sprechen gegen eine Modernisierung. Selbst der Energieausweis des Hauses sagt: Stufe E. Das ist unteres Mittelfeld. Bei einem Neubau ist Energieklasse A Pflicht.
Berger sitzt am Wohnzimmertisch und sortiert die Briefe, die sich über die letzten Monate angehäuft haben. „Wir sind nicht mega rich“, sagt er. Seine Freundin ist freiberufliche Grafikdesignerin, er versucht gerade, als Beleuchter in der Filmbranche Fuß zu fassen. Berger glaubt, dass seine Wohnung vor dem Einzug zwar renoviert, aber nicht umfassend modernisiert wurde und er viel zu viel Miete bezahlt. Er hat sich beim Mieterverein Hilfe geholt. Der hat berechnet, wie hoch die Miete maximal sein dürfte: 606 Euro. Statt der 1.100 Euro, die sie aktuell zahlen.
Ganz oben auf dem Briefstapel liegt die Antwort, die Berger von Heimstaden erhielt, als er die umfassende Modernisierung anzweifelte und Nachweise für die Bauarbeiten forderte. Heimstaden listet auf, was sie alles gemacht haben: Das Badezimmer sei „komplett neu verfliest“ worden, „die Sanitärausstattungen wurden erneuert und modernisiert“, mit neuem Waschtisch, Badewanne und WC ausgestattet. „Auch die Bodenfliesen wurden hochwertig modernisiert“. Der Vinylboden in den Zimmern sei attraktiv, langlebig und biete „eine fußwarme und trittelastische Grundlage zum Laufen“. All das soll die teure Miete rechtfertigen und die Mietpreisbremse außer Kraft setzen.
Eine Belastung für den ganzen Kiez
Langfristig belastet die hohe Miete nicht nur Berger und seine Partnerin, sondern den ganzen Kiez. Denn neue, hohe Verträge treiben den Mietspiegel in die Höhe. An dem neuen Mietpreis orientieren sich wiederum andere Vermieter:innen, die dann auch mehr Geld verlangen dürfen. Wohnen wird so immer teurer. In keiner anderen deutschen Stadt steigen die Mieten so schnell wie in Berlin. Innerhalb von zehn Jahren haben sie sich fast verdoppelt.
Um dieser Entwicklung und der Verdrängung von Menschen aus ihren Kiezen entgegenzuwirken, gibt es Instrumente wie den Milieuschutz. Es soll das Recht auf bezahlbaren Wohnraum schützen. Wenn Wohnungen in einem sogenannten Milieuschutzgebiet liegen, muss das Bezirksamt Sanierungsarbeiten genehmigen. Dadurch sind die geplanten Umbauarbeiten der Vermieter:innen dokumentiert. Viele der Heimstaden-Häuser liegen in diesen Gebieten, auch das von Martin Berger. Auf Nachfrage der taz, welche Umbauten in seiner Wohnung bewilligt wurden, antwortet das zuständige Bezirksamt Berlin-Mitte: Die „modernisierende Instandsetzung der wohnungsbezogenen Elektrik“ sei genehmigt worden.
Alle weiteren Bauvorhaben wie der Austausch der Böden und Fliesen, die Aufarbeitung der Zimmertüren oder eine Erneuerung von Badewanne, Waschbecken oder Toilette „können durchgeführt werden, da eine Mietpreiswirksamkeit für sie rechtlich ausgeschlossen ist“. Laut Bezirksamt dürfen die Ausgaben, die Heimstaden für diese weiteren Bauarbeiten tätigt, also nicht zu einer höheren Miete führen.
Heimstaden wiederum verlangt die hohe Miete aufgrund dieser Bauarbeiten. Wie kann das sein?
9,14 Euro pro Quadratmeter gegenüber Bezirksamt angegeben
Das Bezirksamt teilt mit, dass es in der Pflicht der Mieter:innen liege zu kontrollieren, ob eine umfassende Modernisierung stattgefunden habe. Allerdings seien die im Antrag angegebenen Baukosten nicht hoch genug für eine umfassende Modernisierung gewesen und Heimstaden habe eine neue Miete von 9,14 Euro pro Quadratmeter angegeben. Vor diesem Hintergrund habe das Bezirksamt den Antrag von Heimstaden genehmigt. Die fertige Wohnung, die Martin Berger dann bezieht, kostet fast doppelt so viel.
Diese Taktik wendet Heimstaden nicht nur bei Bergers Wohnung an. Die taz hat mit einem Dutzend Heimstaden-Mieter:innen zwischen Berlin-Wedding und Wilmersdorf gesprochen und die Angaben von Heimstaden mit denen der jeweiligen Bezirksämtern verglichen. Alle Fälle ähneln der Wohnung von Martin Berger. Da ist die WG im Norden der Stadt, weit weg vom Zentrum, die Wohnung ist laut Heimstaden umfassend modernisiert. Die drei Freundinnen zahlen für ihre drei Zimmer 1.900 Euro Kaltmiete. Ihre Vormieter, die 2022 eingezogen waren, zahlten vor der Modernisierung noch 900 Euro, also 1.000 Euro weniger.
Dann verlegte Heimstaden die gleichen cremefarbenen Fliesen wie in Martin Bergers Wohnung, baute die weiße Einbauküche ein und verdoppelte die Miete. Auch hier teilt das zuständige Bezirksamt mit, dass sich die Bauarbeiten, bis auf die Elektrik, nicht auf die Miete auswirken würden. Da ist der Student, der ein halbes Jahr jeden Tag nach einer Wohnung gesucht hat, bis er die modernisierte Wohnung von Heimstaden gefunden hat, sie kostet 19,50 Euro pro Quadratmeter. Oder das Paar aus Norddeutschland, das über 20 Euro pro Quadratmeter in Neukölln zahlt.
Auch nach mehreren Anfragen lehnt Heimstaden ein Gespräch mit der taz ab. Schriftlich teilt der Konzern mit, dass er aus Datenschutzgründen keine Auskunft zu konkreten Vertragsdetails mit Mieter:innen gebe. Das Bezirksamt habe die Maßnahmen genehmigt. Die Verpflichtung, die Mietpreisbremse einzuhalten, ergebe sich jedoch nicht aus einem Bescheid des Bezirksamts, sondern sei eine Frage von Gesetz und Rechtsprechung.
Wo Heimstaden Wohnungen besitzt, organisieren sich Mieter:innen gegen den Immobilienkonzern – in Berlin, in der tschechischen Region Ostrava oder in Malmö in Schweden. Wegen schlecht isolierter Wohnungen, kaputter Heizungen, weil ihre Häuser verkauft werden sollen oder weil die Mieten unverhältnismäßig teuer werden. In seinem Heimatland Schweden ist das Unternehmen seit Ende der Neunziger eine der größten Immobilienfirmen. In Malmö, Uppsala oder Stockholm vermietet Heimstaden AB ganze Gebäudekomplexe und Luxuswohnungen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Stefan Björk, Anwalt beim schwedischen Mieterverein „hyresgästföreningen“ erzählt, dass Heimstaden mit großen Sanierungen versuche, die Mieten um 20 bis 25 Prozent zu erhöhen und so Profit zu machen. „Renovierungen werden in Schweden oft als Möglichkeit genutzt, einigermaßen gesetzlich sicher die Mieten zu erhöhen.“ In Flogsta, einem Studierendenviertel in Uppsala, gibt es kleine Apartments mittlerweile nur noch mit Einbauküche und Waschmaschine. „Heimstaden ist eine internationale Firma mit großem Kapital und weiß sich zu verhalten, wenn sie Geldprobleme haben“, sagt Björk.
Er spielt darauf an, dass Heimstaden seit drei Jahren in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Das Unternehmen hat expandiert und Immobilien auf Kredit gekauft. Durch Inflation, hohe Zinsen und fallende Immobilienwerte hat sich der Konzern stark verschuldet. Die Anleihen und Kredite laufen 2025 aus, müssen zurückgezahlt oder erneuert werden, berichtet der Konzern auf seiner Website. Anfang September kündigt Heimstaden an, das Unternehmen mit neuen Krediten zu stabilisieren.
Die schwedische Zentralbank und Aufsichtsbehörde warnen vor diesem Rettungspaket. Die Beteiligung von Banken bei unsicheren Immobiliengeschäften würde auf Dauer die Finanzstabilität des Landes aufs Spiel setzen. Ohne neues Geld müsste Heimstaden Immobilien unter Wert verkaufen. In Polen und Dänemark zeichnet sich bereits ab, dass der fehlende Umsatz mit dem Verkauf von Privatwohnungen gedeckt werden soll.
Schweden spürte die finanziellen Schwierigkeiten von Heimstaden als Erstes. Allerdings hat der Mieterverein dort mehr Schlagkraft als in Deutschland. Wenn Vermieter:innen die Miete erhöhen wollen, müssen sie sich mit dem Mieterverein auf einen Preis einigen, erzählt Stefan Björk. Wenn das nicht geschehe, lande der Fall vor Gericht. Bei Sanierungen müsse beispielsweise nachgewiesen werden, welches Material verwendet wurde. Diese Fälle würden mehrheitlich die Mieter:innen gewinnen, da Heimstaden die Sanierungskosten auch hier nicht umlegen dürfe.
Fragen bleiben unbeantwortet
In der Antwort an die taz bezeichnet sich Heimstaden als „langfristig orientierten Bestandshalter“. Der Konzern investiere in die Wohnungen, um die Qualität für die Mieter:innen zu erhöhen und die Nachhaltigkeit zu steigern. Fragen zur finanziellen Situation des Konzerns bleiben unbeantwortet.
Carola Handwerg ist Anwältin für Mietrecht in Deutschland und hat in Berlin über zwanzig Mandant:innen beraten, die laut Heimstaden in umfassend modernisierten Wohnungen leben. „Das ist auf jeden Fall eine Masche“, sagt sie, „die Wohnungen werden als umfassend modernisiert vermietet, um die Mietpreisbremse zu umgehen.“ In Altbauten den notwendigen Neubaucharakter zu erreichen, sei fast unmöglich, sagt Handwerg. Ihre Fälle liefen immer nach dem gleichen Schema ab: Die Mieter:innen zweifelten die Sanierung an und verlangen Rechnungen für die Modernisierungskosten. Heimstaden schickt dann zwar Rechnungen, bietet aber gleichzeitig eine Mietminderung an.
Auch Martin Berger wird am Ende des Briefs, in dem die Bauarbeiten aufgelistet werden, ein Angebot gemacht: Heimstaden ist bereit, die Miete um 55 Euro auf 1.045 Euro zu senken. Aber Berger ist das zu wenig. Sollte Heimstaden nicht umfassend modernisiert haben, ist da mehr drin, schätzt er.
Für Heimstaden würde sich auch die verringerte Miete noch ordentlich lohnen. Im Fall von Martin Berger liegen zwischen der vom Mieterverein errechneten fairen Miete von 606 Euro und Heimstadens Angebot rund 440 Euro, die Berger zu viel zahlen würde. Die meisten Mieter:innen nehmen das erste Angebot einer Mietsenkung von Heimstaden an, sagt Anwältin Handwerg.
Weiterer Rechtsweg ausgeschlossen
Es ist eine schnelle Mietpreissenkung, ohne nervenaufreibenden Rechtsstreit. Praktisch für Heimstaden, denn wenn eine Mietsenkung einmal angenommen wurde, kann gegen eine zu hohe Miete nicht mehr rechtlich vorgegangen werden. Weder von den derzeitigen noch den zukünftigen Mietparteien.
Das große Problem ist ein Wort, mit dem auch das Bezirksamt Berlin-Mitte die Verantwortung von sich weist: Zivilrecht. Eine Privatperson hat einen Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen, der Staat ist nicht Teil des Mietverhältnisses. Das spielt Heimstaden und eigentlich allen Vermietern in die Karten. Es bedeutet, wenn Vermieter gegen die Mietpreisbremse verstoßen, können nur die Mieter:innen selbst etwas dagegen unternehmen. Und obwohl das Bezirksamt Mitte jetzt weiß, dass Heimstaden krumme Dinger in seinem Bezirk macht, ist es Martin Berger, der sich wehren muss. Ein einzelner Mieter gegen einen riesigen Konzern, in dessen Immobilie er zu Hause ist.
Gegen eine überhöhte Miete vorgehen, das machen nur wenige Mieter:innen. „Vielleicht sind es 10 Prozent“, schätzt Mietrechtsanwältin Handwerg. Die Berliner Zivilgerichte teilen auf Anfrage der taz mit, dass in Berlin seit Anfang des Jahres 347 Verfahren gegen Heimstaden liefen. „Den Vermieter direkt nach dem Einzug verklagen, das macht man nicht so einfach“, sagt Handwerg.
Außerdem wüssten viele Mieter:innen nicht von ihren Rechten, hätten Angst, aus ihrer Wohnung zu fliegen. Der angespannte Wohnungsmarkt in vielen Städten begünstige zusätzlich, dass hohe Mieten gezahlt werden. Dabei würde es sich lohnen zu klagen, „in keinem meiner Fälle ist Heimstaden damit durchgekommen“, sagt Handwerg.
Deutschlandweit noch kein Urteil zu Mietwucher
Ganz allein sind Mieter:innen aber nicht. Mieten, die 20 Prozent über der ortsüblichen Miete liegen, gelten als Ordnungswidrigkeit. Werden über 50 Prozent mehr verlangt, handelt es sich um eine Straftat und Mietwucher, der von den Behörden gerichtlich angefochten werden kann. Eine Hürde gibt es jedoch: Es muss nachgewiesen werden, dass der Vermieter eine Notsituation des Mieters ausnutzt. Dass dieser keine andere Wohnung findet und deshalb die teure Miete zahlt etwa. Kaum zu beweisen und ein Grund dafür, dass es deutschlandweit noch kein Urteil zu Mietwucher gibt.
Martin Berger könnte seinen Verdacht, dass Heimstaden von ihm eine Wuchermiete verlangt, zur Anzeige bringen. Die Staatsanwalt würde den Verdacht dann prüfen. Allerdings würde das Verfahren nicht gegen den Konzern Heimstaden laufen, sondern müsse gegen eine natürliche Person geführt werden, teilt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz mit. Eine konkrete Person, die die Notlage von Berger ausgenutzt hat, und nicht der Konzern als Ganzes.
Anfang Oktober verhängte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zum ersten Mal überhaupt ein Bußgeld von rund 50.000 Euro wegen Mietwucher. Der private Vermieter zahlte, wohl auch um keinen Präzedenzfall vor Gericht zu schaffen. Denn ein erstes rechtskräftiges Urteil könnte den Grundstein für weitere Fälle legen, bei denen illegal hohe Mieten verlangt werden. Davon gibt es zahlreiche. Bei der im März dieses Jahres vom Berliner Senat eingerichteten Mietpreisprüfstelle wurde in über zwei Dritteln der geprüften Fälle Wuchermieten festgestellt.
In den Rechnungen, die Berger von Heimstaden als Belege für die umfassende Modernisierung zugeschickt bekommen hat, stehen seitenlang die Bauarbeiten aufgelistet: Demontage WC, Demontage Badewannen, Demontage Waschtisch. Aber schaut man sich die Rechnungen genauer an, fällt auf, dass sie zu einer anderen Wohnung gehören.
Als Berger nachhakt, teilt Heimstaden ihm mit, dass ihnen die Abschlussrechnung für seine Wohnung nicht vorliegt. Der taz sagt Heimstaden, dass sie alle Rechnungen an Berger übermittelt hätten. Wenn Heimstaden seine Miete jetzt nicht deutlich senkt, will Berger vor Gericht ziehen. Eigentlich will er nur zu einem fairen Preis wohnen.
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