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Nähe und Distanz in BerichterstattungOder soll man es machen?

Fabian Schroer

Essay von

Fabian Schroer

Unser Autor hat eine Rettungsmission der „Sea-Watch 5“ begleitet. Wie geht journalistische Distanz in der Enge eines Schiffs?

Insgesamt 124 Menschen rettete die „Sea-Watch 5“ bei ihrem Einsatz im September aus Seenot Foto: Laszlo Randelzhofer/sea-watch

E s ist nur wenige Minuten her, dass der Mann mit 65 weiteren Menschen aus dem Mittelmeer gerettet wurde. Jetzt sitzt er vor mir im überfüllten Bauch eines Seenotrettungsschiffs. Sichtlich nervös. Er sagt, er habe Durst.

Für die taz bin ich im September mit an Bord der „Sea-Watch 5“, um über die Arbeit der zivilen Seenotrettungsorganisaton zu berichten. Berichten, nicht mitmachen. Verlasse ich meine Beobachterrolle, wenn ich dem Mann eine Flasche Wasser in die Hand drücke?

Die Forderung nach mehr „gesunder Distanz“ im Journalismus kommt alle paar Jahre auf und dreht ihre Runden über die deutschen Meinungsseiten und Feuilletons. 2014 etwa, als Udo van Kampen, damals Chef des ZDF-Studios in Brüssel, „Happy Birthday“ für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sang, zu ihrem 60. Geburtstag. taz-Redakteur Erik Peter warf ihm damals vor, an seiner Aufgabe, kritische Distanz zu den Mächtigen zu wahren, „grandios gescheitert“ zu sein. Der Gedanke dahinter: Wer sich so anbiedert, stellt keine unangenehmen Fragen mehr – für viele eine Kernaufgabe der Medien als vierte Gewalt.

Kurz bevor ich in Süditalien an Bord ging, hatte der Sea-Watch-Verein sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Ich sollte darüber berichten, wie sich Seenotrettung im Mittelmeer von damals bis heute verändert hat. Schon im Vorfeld stellte sich für mich die Frage, wie nah ich den Ak­ti­vis­t:in­nen und Geflüchteten kommen könnte, ohne journalistische Standards zu verletzen.

Es wird auf engstem Raum gegessen, geputzt, geschlafen

Sagen, was ist, kann sehr unterschiedlich ausfallen

Die Realität auf dem Schiff ist nämlich auch: Es wird auf engstem Raum gegessen, geputzt, geschlafen und nach Feierabend ein Bier auf dem Deck getrunken. Gemeinsam mit der Crew durchlief ich Sicherheits- und Erste-Hilfe-Trainings und übernahm kleine Aufgaben an Bord. Ich spülte Geschirr, reinigte Toiletten und machte die Wäsche. Das war so gewünscht. Aus der eigentlichen Arbeit der NGO, der Seenotrettung, wollte ich mich heraushalten – denn diese war ja Objekt meiner Beobachtung.

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Fabian Schroer auf der Seawatch

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Doch warum ist es wichtig, diese Linie zu ziehen? Für viele ist die Antwort glasklar: Weil sonst die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus verschwimmen. Wer selbst engagiert sei, könne nicht ausgewogen und neutral berichten. Der berühmte Satz von Tagesthemen-Urgestein Hanns Joachim Friedrichs wird da gern angeführt: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht mit einer Sache gemein macht, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“

Eine Interpretation von Friedrichs’ Aussage: Theoretisch sollen Re­por­te­r:in­nen eine objektive Wahrheit beobachten und diese dann frei von eigener Wertung an die Le­se­r:in­nen weitergeben.

So edel die Idee, so unrealistisch die Umsetzung. Allein dadurch, dass Jour­na­lis­t:in­nen ein Thema als berichtenswert adeln, äußern sie eine Meinung. Nämlich: „das hier ist wichtig!“. Der objektive Blick von außen ist eine menschliche Unmöglichkeit. Sprache und Wahrnehmung sind geprägt durch Herkunft, Milieu, persönliche Ziele und politische Überzeugungen. Auch ohne anzuzweifeln, dass sich Realität überhaupt sprachlich abbilden lässt, wie Post­struk­tu­ra­lis­t:in­nen es tun, muss anerkannt werden, dass die Dinge eben nicht für alle gleich sind und „sagen, was ist“, sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Aber etwas muss doch dran sein an dem Wunsch nach Abstand. Nähe zu Prot­ago­nis­t:in­nen ist einerseits wichtig, um an Informationen zu kommen. Eine gute Reportage lebt davon, dass der Schreibende für die Le­se­r:in­nen Distanzen überwindet. Das geht nur, wenn Menschen Vertrauen in Jour­na­lis­t:in­nen fassen und ungeschönt erzählen. Der berühmte „Blick hinter die Kulissen“ erlaubt es Leser:innen, Vorurteile zu revidieren und neue Schlüsse zu ziehen. Wird diese Nähe jedoch zu Mitgliedschaft oder Teilnahme, stellt sich zumindest die Frage, ob bei Missständen in den eigenen Reihen nicht doch mal das Reporterauge zugedrückt wird.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Die Meinung ist frei, die Fakten sind heilig“, schrieb kürzlich SZ-Meinungschef Detlef Esslinger. Doch ob einem auch abgenommen wird, bei den Fakten zu bleiben, steht auf einem anderen Blatt.

Der Punkt hier ist nicht Neutralität. Kaum jemand würde glauben, dass ein taz-Autor keine Meinung zu Kohleverstromung durch RWE hätte – auch ich war auf Demos gegen das Abbaggern von Lützerath, als Teilnehmer, ohne zu berichten. Wenn ich in Lützerath jedoch als Journalist gewesen wäre und mich mit den Ak­ti­vis­t*in­nen von Ende Gelände hätte wegtragen lassen – wie wahrscheinlich ist es dann, dass Le­se­r:in­nen mir zutrauten, unvoreingenommen zu berichten? Hätte ich mich gemein gemacht, hätte das meinen eigenen Standpunkt geschwächt.

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Fabian Schroer auf der Seawatch (2)

Fabian Schroer auf der Seawatch

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Daher ist Transparenz über die eigene Position in der Welt essenziell wichtig, besonders in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Medien schwindet. Wer seine eigene Rolle während einer Recherche, sein zivilgesellschaftliches Engagement, die Vereinsmitgliedschaft oder das Aktienportfolio offenlegt, dem glaubt man eher. Le­se­r:in­nen können sich so ein vollständigeres Bild machen und eine differenzierte Meinung bilden.

Doch Offenheit macht auch angreifbar, egal, wie unbestechlich jemand in der Realität sein mag. taz-Redakteurin Ulrike Herrmann – häufig scharfe Kritikerin der Grünen – entschied sich 2021, ihre immer offen kommunizierte Parteimitgliedschaft ruhen zu lassen, nachdem Befangenheitsvorwürfe von rechts nicht abreißen wollten.

Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz

Ein ganz anders gelagerter Fall ist der des ehemaligen Spiegel- und Zeit-Autor Raphael Thelen. 2023 beendete er seine Karriere, um Aktivist bei der Letzten Generation zu werden. Damit reagierte er eigenen Aussagen zufolge auf Vorwürfe aus der Öffentlichkeit – nicht zuletzt seitens Kolleg:innen, die anmahnten, seine Texte zu Klimathemen enthielten zu viel eigene Haltung. In einem solchen Umfeld könne er, wenn er die Dringlichkeit der Klimakrise benennen wolle, nicht länger arbeiten, sagte Thelen damals.

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Seawatch Bordtagebuch 4

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Das Maß zwischen Nähe und Distanz zu finden, bleibt eine Gratwanderung jedes Einzelnen. Wer nach bestem Wissen und Gewissen arbeitet, Fakten abbildet und sensibel mit Zusammenhängen und Zwischentönen umgeht, wird immer wieder neu entscheiden müssen, wo sie*­er Nähe zulässt und wo nicht.

Bei einer Reportage von einem Spargelfeld lohnt sich vielleicht die teilnehmende Beobachtung, um den Le­se­r:in­nen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen näher zu bringen. Bei Liveberichterstattung über Ausschreitungen auf einer Neonazidemo wohl weniger. Es gibt keine pauschale Antwort auf die Frage, wo die Grenze zwischen Beobachtenden und Beobachteten zu ziehen ist – zu unterschiedlich verläuft sie von Fall zu Fall.

Klare Fälle zeigen uns jedoch, wie genau man es nicht machen sollte. Nämlich: fragwürdige Verbindungen eingehen und anschließend verheimlichen. Genau dafür entschied sich jedoch der Zeit-Journalist Jochen Bittner. 2013 hatte er an einem Strategiepapier transatlantischer Thinktanks mitgearbeitet, es lieferte die Grundlage für die Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck auf der Münchener Sicherheitskonferenz und die neue außenpolitische Strategie der Bundesregierung.

Ab welchem Punkt bin ich der Falsche für den Job?

Über ebendieses Thema hatte Bittner im Nachhinein dann wohlwollend in der Zeit berichtet, ohne seine Lobbyarbeit transparent zu machen. Als der Fall später in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ aufs Korn genommen wurde, war der empörte Aufschrei über Bittners Verstrickungen berechtigterweise groß.

War es nun moralisch richtig, dass ich dem Mann auf der „Sea-Watch 5“ meine Wasserflasche letztendlich in die Hand drückte? Alles andere hätte sich lächerlich und falsch angefühlt. War es journalistisch richtig? Das ist Ansichtssache. Hat es meine Glaubwürdigkeit angekratzt? Vielleicht ein bisschen. Wie wäre es gewesen, wenn ich selbst Menschen aus dem Wasser gezogen hätte? Durch das Fernglas ein Boot in Seenot erblickt hätte? Mit der libyschen Küstenwache über Funk gestritten hätte? Ab welchem Punkt wäre ich nicht mehr der Richtige für den Job gewesen?

Da es, wie der Fall Jochen Bittner zeigt, nicht ausreicht, auf den gesunden Menschenverstand von Jour­na­lis­t:in­nen zu vertrauen, scheint es so, als bleibe uns nichts anderes übrig, als weiter ständig über diese Fragen zu streiten und uns gegenseitig unsere Fehltritte aufzuzeigen. Nähe ist nicht nur menschlich, sondern auch wichtig für den Journalismus. Aber zu viel davon kann unglaubwürdig machen – vor allem, wenn man sie verheimlicht und stattdessen behauptet, neutral über dem Geschehen zu schweben.

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Fabian Schroer
Auslandsredakteur
Zuständig für Digitales im Auslandsressort. Schreibt hauptsächlich über Medien, Kultur und soziale Gerechtigkeit.
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