BBC in der Vertrauenskrise: Die Krone hängt schief
Nach der Verletzung journalistischer Standards tritt die BBC-Führung zurück, der Sender entschuldigt sich bei Trump. Doch die Kritik geht darüber hinaus.
Lisa Nandy, Medienministerin der britischen Labour Partei, brachte es am Dienstag auf den Punkt: „Bei der BBC handelt es sich nicht nur um eine Rundfunkanstalt. Sie ist eine nationale Einrichtung, die uns allen gehört.“ Ihre Worte fielen in einer außerordentlichen Unterhausdebatte zur Krise des britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders BBC.
Die Sitzung wurde einberufen, nachdem der Chefintendant der BBC, Tim Davie, und die Nachrichtenchefin Deborah Turness zurückgetreten waren. Die BBC steht unter Beschuss, nachdem die rechte/rechtsgerichtete Tageszeitung Daily Telegraph Memos von Michael Prescott veröffentlicht hatte.
Prescott ist einstiger interner Standardprüfer und war bis Juli 2025 als Journalist bei der BBC, davor war er Politikchef der zum Murdoch-Imperium gehörigen Zeitung Sunday Times. Das 8.000-Wort-Memo Prescotts ist eine Auflistung von gravierenden Versuchen nachrichtlicher Verfälschung bei der Sendeanstalt. Das bekannteste Beispiel daraus ist der Videomitschnitt einer Rede Donald Trumps, die dieser nach seiner verlorenen Wahl am 6. Januar 2021 kurz von den Aufständen am Kapitol gab.
In einem Beitrag der BBC-Nachrichtensendung „Panorama“ vom 28. Oktober 2024 vor der US-Präsidentschaftswahl wurden Stellen zusammengeschnitten, die ganze 54 Minuten auseinanderlagen und nicht zusammengehörten. So entstand der Eindruck, Trump habe mutwillig zu „höllischen Kämpfen“ aufgerufen. Stattdessen hatte Trump vom Bejubeln der Senator:innen gesprochen. Weiter gab es verfälschte Darstellungen der Aussagen Trumps zur Demokratin Liz Cheney, die im US-Wahlkampf Kamala Harris unterstützte. Dabei entstand der Eindruck, Trump wolle, dass Cheney erschossen werde.
Nicht die erste Kritik an der BBC
Auch fernab der Trump-Causa stand der Sender in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik. Mit dieser beschäftigte sich Prescott ebenfalls in seiner Mitteilung. So kritisiert er den arabischsprachigen Sender der BBC zu seiner Berichterstattung über den Nahen Osten. BBC Arabic hatte zum Beispiel wiederholt Angaben der englischsprachigen BBC zu israelischen Opfern nicht übernommen, selbst am 7. Oktober 2023 habe BBC Arabic zu Geiselnahmen geschwiegen, so Prescott.
Ein Terrorangriff in Jaffa ein Jahr später, bei dem sieben Zivilist:innen umkamen, wurde auf BBC Arabic lediglich als „Militäroperation“ der Kassam-Brigaden beschrieben und anders als in der englischen BBC ohne irgendwelche Angaben zu den Opfern veröffentlicht. Prescott führt eine Liste an, mit der er belegen will, dass nahezu tausendmal Journalist:innen zitiert wurden, die anderswo Juden verteufelt und ihre Ermordung gerechtfertigt hätten.
Vorwurf: Aussagen ungeprüft übernommen
Angaben der Hisbollah oder Hamas seien eins zu eins ohne Checks übernommen worden, darunter zu Angriffen und den Zahlen von Kindern und Frauen unter den Opfern in Gaza, nicht nur von BBC Arabic, so Prescott. Im Fall der Befreiung von Fawzia Sido, einer nach Gaza als Sexsklavin verschleppten jesidischen Frau, habe die BBC Arabic die Hamas schöngeredet.
„Newsnight“, die Hauptnachrichtensendung der englischsprachigen BBC, hätte etwa die Angaben des UN-Generalsekretärs für humanitäre Angelegenheiten, Tom Fletcher, über das angebliche Sterben von 14.000 Babys in Gaza ohne Nachprüfung wiederholt, so Prescott. Auch hätte „Newsnight“ die Annahme der südafrikanischen Klage gegen Israel zum Völkermordvorwurf im Internationalen Strafgerichtshof falsch dargestellt. Hier hatte Den Haag lediglich festgestellt, dass Gaza ein Recht auf Schutz vor Völkermord habe und ein Fall vorgelegt werden dürfe. Berichtet wurde aber, dass potenziell ein Genozid von Israel ausgeführt worden sei.
„Oberflächliche Arbeit“
Die BBC habe zudem bei einem Angriff auf das Nasser-Krankenhaus verschwiegen, dass der Schutz ziviler Einrichtungen im Kriegsrecht verfällt, wenn diese als militärische Stützpunkte missbraucht werden. Zudem wurde über einen Sammelbrief von 600 Anwält:innen berichtet, die Waffenlieferung an Israel nach britischen Recht als illegal verstanden. Ein ähnlicher Brief, bei dem 1.000 Anwält:innen unterschrieben hatten, die das Gegenteil behaupteten, sei fast vollständig ignoriert worden, so Prescott weiter.
BBC Arabic wolle israelisches Leid kleinreden und Israel als Aggressor darstellen, glaubt Prescott. Behauptungen gegen Israel scheinen schnell und ohne ausreichende Nachprüfungen veröffentlicht worden zu sein, entweder wegen oberflächlicher Arbeit oder weil man immer das Schlechteste über Israel glauben wolle. Prescott hält diese Mängel für systematisch, was von Davie und Turness abgestritten wurde.
Dabei hat Prescott noch nicht einmal die Sendung über Kinder in Gaza erwähnt, bei der verschwiegen wurde, dass der Hauptprotagonist der Sohn eines Hamas-Funktionärs war. Oder die Übertragung des Rap-Duos Bob Vilain in Glastenbury, die „Tod der IDF“ skandierten, oder den Sportmoderator Gary Lineker, der nach dem Teilen eines antisemitischen Posts aufflog und zurücktrat.
Vorwurf unsauberer Arbeit zu Transgeschlechtlichkeit
Prescott gab weiter an, dass die BBC auch in anderen Bereichen mangelhaft arbeite. So feiere der Sender eher die Trans-Community, während kritische Stimmen von Frauen, die politisch die cis-geschlechtliche Einteilung der Geschlechter vertreten, nicht so oft zu Wort kämen.
Auch bei Behauptungen zur Diskriminierung britischer nichtweißer Minderheiten publiziere die BBC unsauber und ohne eigene Nachprüfungen. Mark Urban, ein Journalist, der einst für die BBC arbeitete, macht eine politisierte jüngere Generation für die Probleme mitverantwortlich, wie er auf einer Newsletter-Plattform schreibt.
Medienministerin Nandy sah die BBC dennoch als „Licht auf dem Hügel“ und als vertrauenswürdigsten Sender. Es bestehe ein Unterschied zwischen dem Aussprechen von Bedenken und dem Angriff auf die gesamte Institution. Sie betonte dabei, dass die zukünftigen Aufgaben des Senders im nächsten Jahr zwischen Regierung und der BBC neu verhandelt werden müssten. Ein Vorgang, der sich alle paar Jahre wiederholt.
Überprüfungen und eine „heilige Aufgabe“
In einer Rede an Mitarbeiter:innen der BBC hörte sich Tim Davie wenige Tage nach seinem Rücktritt nicht so an, als würde er sich viel eingestehen. „Wir sind das Beste dessen, was man in der Gesellschaft sehen sollte“, sagte er. Vorstandschef Samir Shah entschuldigte sich pauschal für die Vergehen und verwies auf bereits beschlossene Schritte, alle Punkte aus dem Memo sollten überprüft werden. Er sei absolut klar, dass der Sender Unparteilichkeit verteidigen müsse – das sei „eine heilige Aufgabe“.
Andere, darunter Stimmen der Liberal Democrats, der schottischen SNP, der Grünen sowie einige Hinterbänkler Labours, behaupteten in der außerordentlichen Sitzung, dass die gesamte Affäre nicht durch Vorurteile und unvorsichtige Arbeit entstanden sei, sondern dadurch, dass Robbie Gibb im BBC-Verwaltungsrat sitze.
Gibb war Kommunikationschef der einstigen konservativen Premierministerin Theresa May, ist Mitgründer des rechten Nachrichtenkanals GB News und Ex-Besitzer der jüdischen Wochenzeitung Jewish Chronicle. Er soll sich immer wieder über woke und links zentrierte Ausrichtung bei der BBC beschwert haben. Der ehemalige Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger, sieht ein ganzes Netz konservativer Verschwörer gegen die BBC hinter Gibb. Nandy sagte unspezifisch, man erwäge Änderungen im Rat, die sie begrüße.
Zu Trumps Drohungen schwieg sie. Anders Samir Shah, der Vorsitzende der BBC, der sich in einem persönlichen Brief inzwischen bei Trump für die Art entschuldigt hat, wie seine Rede bearbeitet worden war. Laut Shah gebe es aber keine Grundlage für eine Verleumdungsklage, wie Trump sie zuvor angedroht hatte, falls die BBC sich nicht entschuldigt, die Sendung zurückzieht und eine Entschädigung zahlt. Die BBC erklärte zwar, dass sie die Sendung nicht noch einmal ausstrahlen würde. Eine Entschädigungszahlung schloss sie jedoch aus. Das Ultimatum, das Trump dem Sender gestellt hat, läuft Freitagabend um 23 Uhr deutscher Zeit aus.
Die Erfolgsaussichten einer Klage Trumps in den USA sind fraglich, denn man kann die betreffende Nachrichtensendung „Panorama“ in den USA nicht automatisch abrufen. Seine Anwälte sprechen zwar von angeblichen Schäden für den damaligen US-Präsidentschaftskandidaten durch die Veröffentlichung unmittelbar vor der Wahl, doch die gewann Trump ja trotzdem. Einen unmittelbaren Schaden müsste Trump vor Gericht erst einmal nachweisen.
Budgeteinbußen bei der BBC möglich
BBC-Journalist:innen und -Redakteur:innen, die die Trump-Rede verfälschend zusammengeschnitten hatten, gingen ein hohes Risiko ein, den gesamten Sender aufs Spiel zu setzen. Gerade bei Trump, der den Begriff der Fake News wie kein anderer geprägt hat. Eine Auszahlung öffentlicher Gelder an Trump wäre verheerend, sie würde ein signifikantes Loch im Budget der BBC bedeuten.
Dass der BBC, die immer wieder von sich behauptet, eine der besten Medienanstalten der Welt zu sein, und deren Führungspersonal, das jedes Jahr Gehälter in Höhe von umgerechnet über einer halben Million Euro einkassiert, nun genau auf die Finger geschaut wird, ist zu erwarten.
In diesem Zusammenhang hofft das Board of Deputies of British Jews, der Dachverein britischer Jüdinnen und Juden, auf tiefgehende Veränderungen in der Arbeitskultur des Senders, da die jüdische Community schon lange Sorgen über die Berichterstattung der BBC zum Nahen Osten hegt, die sich in den letzten zwei Jahren verstärkt haben.
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