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Todesschüsse auf Lorenz A. in OldenburgPolizei ermittelt gegen Polizeiopfer

Statt Erste Hilfe zu leisten, legte die Polizei dem schwerverletzten Lorenz A. erst mal Handschellen an. Und später ermittelte sie gegen den Toten.

Proteste gegen die Vorgehensweise der Polizei: Es wurde ermittelt, aber gegen den getöteten Lorenz A., der erschossen wurde Foto: Izabela Mittwollen/dpa

Von

Aljoscha Hoepfner aus Oldenburg

Nachdem Lorenz A. von den Kugeln des Polizisten getroffen auf dem Boden der Oldenburger Innenstadt lag, legten die Beamten dem Schwerverletzten noch Handschellen an, bevor sie Erste Hilfe leisteten. Kurze Zeit später starb er im Krankenhaus. So schildert es Lea Voigt, die Anwältin von A.s Mutter.

Es ist nicht die einzige Vorgehensweise der Polizei, die sie kritisiert. Denn nachdem der Polizist den 21-jährigen Schwarzen erschossen hatte, ermittelten seine Oldenburger Kollegen – gegen den getöteten Lorenz A.

Dabei sind Ermittlungen gegen Tote grundsätzlich verboten. Die Staatsanwaltschaft sprach auf Anfrage der taz von einer automatisch eingeleiteten Formalie. Es ging um die den Schüssen vorangegangene Auseinandersetzung vor einer Bar, bei der A. Pfefferspray versprüht haben soll. Das Verfahren sei nach seinem Tod zügig eingestellt worden.

Polizei ermittelt gegen den Toten

Dieser Darstellung widerspricht Voigt. Mehrere Wochen habe die Polizei gegen den Toten ermittelt, sogar Zeugen befragt: „Das Signal, das damit gegenüber den Angehörigen gesendet wurde, ist nicht gerade vertrauensfördernd: Lorenz wird vom Opfer zum Beschuldigten gemacht – und zwar von der Polizei Oldenburg.“

Im Rahmen der Ermittlungen gegen den Schützen haben die zuständigen Beamten der benachbarten Polizei Delmenhorst auch das Handy von A. beschlagnahmt. Sie sollten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft nur die für den Tatzeitpunkt relevanten Daten auswerten. Dennoch habe die Polizei „sämtliche Daten grob gesichtet“, erklärt Voigt. Sie sieht darin einen „schweren Datenschutzverstoß“. Das Handy des Schützen hat die Polizei erst nach fast drei Tagen beschlagnahmt. Das seines Streifenpartners gar nicht.

„Es wurden noch nicht alle Möglichkeiten, den Tatablauf zu rekonstruieren, ausgeschöpft“, bemängelt Voigt. „Insbesondere wurden bisher die Polizeibeamten und Rettungskräfte, die unmittelbar nach Abgabe der Schüsse am Tatort eintrafen, nicht vernommen.“ Nur der Streifenpartner des Schützen sei tatsächlich als Zeuge befragt worden. Einige, „jedoch bei Weitem nicht alle beteiligten Beamten“ hätten lediglich schriftliche Berichte verfasst.

„Auch die in Auftrag gegebene 3D-Rekonstruktion ist in der vorliegenden Fassung unbrauchbar“, meint die Anwältin. Die Standorte des Schützen und von A. sowie deren mutmaßliche Bewegungsabläufe seien darin nicht dargestellt. „Dies ist technisch möglich und zur bestmöglichen Aufklärung des Falls auch nötig.“

Die Erstellung eines vom LKA Niedersachsen angebotenen Gutachtens zur Lage der Patronenhülsen, um die Position des Polizisten bei der Schussabgabe zu ermitteln, hat die Staatsanwaltschaft nach Darstellung von Voigt abgelehnt. Eine Rekonstruktion des Tatorts mithilfe von Zeu­g:in­nen – etwa den eintreffenden Rettungskräften – sei ebenfalls nicht erfolgt.

Es wurden noch nicht alle Möglichkeiten, den Tatablauf zu rekonstruieren, ausgeschöpft

Lea Voigt, die Anwältin von Lorenz A.s Mutter

Die Ermittlungen gegen den Schützen wegen des Verdachts des Totschlags stehen kurz vor dem Abschluss, wie die Staatsanwaltschaft Oldenburg Anfang des Monats erklärte. Mit der Entscheidung über eine mögliche Anklage des Polizeibeamten sei „in den kommenden Wochen zu rechnen“.

Nach der Auseinandersetzung vor der Bar war Lorenz A. geflüchtet und an einer Polizeistreife vorbeigelaufen, wobei er Pfefferspray in deren Richtung gesprüht haben soll. Daraufhin schoss der 27-jährige Polizist. Drei der fünf Kugeln trafen A. in Hinterkopf, Oberkörper und Hüfte. Ein vierter Schuss streifte seinen Oberschenkel.

Der Polizist drohte den Einsatz der Schusswaffe nicht an und gab auch keinen Warnschuss ab. Das belegen die von den Er­mitt­le­r*in­nen vor mehreren Wochen ausgewerteten Audio- und Videoaufnahmen der Tatnacht.

Bodycams aller beteiligten Beamten ausgeschaltet

Auf Bodycam-Aufnahmen konnten sie dabei nicht zurückgreifen. Die Kameras aller beteiligten Beamten waren ausgeschaltet. Das kritisiert die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“. Sie fordert die lückenlose Aufklärung des Falls und Maßnahmen gegen Rassismus in der Polizei.

Besonders, dass die benachbarte Polizei Delmenhorst ermittelt, verurteilt sie. Nicht nur gehört die Dienststelle zur selben Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft wie Oldenburg. 2021 starb hier unter bis heute unaufgeklärten Umständen Qosay K. in Polizeigewahrsam. Damals ermittelte umgekehrt Oldenburg gegen Delmenhorst. Die Initiative setzt sich für eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle ein.

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8 Kommentare

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  • Lorenz hat ziemlich sicher in dieser Nacht nicht so benommen, wie man es von einem Bürger erwartet. Fehler/Sch... macht jeder mal...



    Aber Polizei-Beamte, die mit Body-Cams ausgerüstet sind - und diese NICHT EINSCHALTEN: das geht überhaupt nicht! Wäre ich deren Vorgesetzter, wäre ein Disziplinarverfahren das Mindeste und ich würde diese Personen nur noch für Falschparker-Strafzettel einsetzen. Wäre ich ein solcher Beamte (bin ich nicht, mache "nur" Security in einem Museum) würde ich die Body-Cam ständig laufen lassen (ausser auf dem WC), damit ICH nachweisen kann, rechtskonform usw. gehandelt zu haben!



    Und das ausgerechnet "Delmenhorst" ermittelt, ist leider eine Tragödie, ich hatte als "alter, weisser Mann" so diverse Begegnungen, als ich noch in Delmenhorst lebte (kurz vor und während Corona - jetzt in Bremen), hat mich sehr heftig an Erzählungen meiner Eltern aus einem "1000jährigen Reich" erinnert - gepaart mit einer sehr "hohen Energie" z.B. einen Rad-Diebstahl am Bahnhof, dokumentiert von der Video-Überwachung überhaupt einmal anzuschauen...



    Ich habe keine Ahnung, was Lorenz da wirklich "angestellt" hatte - aber diese "Aufklärung" ist nicht einmal MÜLL....

  • Erst geschossen, dann dem schwer Verletzten Handschellen angelegt ? Dann erst erste Hilfe geleistet und den Notarzt gerufen ???



    Es ist zu hoffen, der Schwerverletze wies nicht noch mehr Verletzungen außer der Schusswunden auf !



    Hier sind ünabhängige Ermittlungen notwendig, es ist der Polizei nicht zuzumuten gegen eigene Polizeikollegen zu ermitteln ! Darum gibt es die Initiative " Gerechtigkeit für Lorenz " für " Unabhängige Ermittlungen bei Polizeigewalt " - eine Petition auf campact - unterstützen , damit sich endlich etwas an der Ermittlungsarbeit ändert.

  • Fünf Kugeln nur weil einer Pfefferspray einsetzt - das ist ja die reinste Hinrichtung.

  • Die Geschichte stinkt.

  • Es steht zu befürchten, dass selbst dieser besonders krasse Fall von rassistischer Polizeigewalt für die Beteiligten ohne Konsequenzen bleibt.

    • @petermann:

      Dieser Fall ist alles andere als "besonders krass". Vielmehr ist klar, dass der später getötete zunächst selbst mit einem Messer hantierte, und vorher gewalt anwendete, als er nicht in den Club gelassen werden sollte und Leute bedrohte. Wieso man mit einem Messer in die Disko geht, wäre ohnehin zu fragen.

      Gerade die Vorgeschichte muss natürlich auch aufgeklärt werden, wenn es um die Frage der Schüsse geht, weil man mit einer Person, die schon einmal ein Messer gezogen hat, anders umgeht als mit einer Person, die völlig friedlich angesprochen werden kann.

    • @petermann:

      Die Ermittlungen laufen noch, aber Sie haben ihr Urteil schon gefällt und sehen einen "besonders krassen Fall von rassistischer Polizeigewalt"? Haben Sie dafür auch Anhaltspunkte und Argumente oder ist das nur in Glauben und Vorurteilen begründet? Menschen in/vor einer Bar mit einem Messer zu bedrohen (wie in der Berichterstattung zu lesen war) und dann an einer Polizeistreife vorbei zu laufen und die mit Pfefferspray zu besprühen, das sind aggressive Handlungen und lassen den Getöteten mitnichten unschuldig am Geschehen erscheinen. Wenn die Polizisten wussten, dass er ein Messer hat (was sie wohl taten, nachdem sie deswegen und dem Streit vor der Bar gerufen wurden) und dann von dieser Person mit Pfefferspray angegriffen werden... Also für mich ist da absolut nicht eindeutig, dass es sich um rassistische Polizeigewalt handelt, Notwehr scheint mir sogar wahrscheinlicher. Orientierungslos und im Sehen beeinträchtigt durch Pfefferspray und weniger Meter von einem Aggressor mit Messer entfernt, der dieses Messer vorher schon nutzte um Andere zu bedrohen, das ist eine lebensgefährliche Situation.

  • Danke für die Aufklärung des ungeheuerlichen und traurigen Geschehens.