Nach Mord im Auftrag des Kreml: Familie des Tiergarten-Opfers abgeschoben
Der tschetschenisch-stämmige Georgier Selimchan Changoschwili war 2019 in Berlin erschossen worden. Jetzt wurde ein Teil seiner Familie abgeschoben.
Es war ein Mord mitten in Berlin und mitten am helllichten Tag. Vor sechs Jahren, am 23. August 2019, wurde der tschetschenisch-stämmige Georgier Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten in Berlin von einem Fahrradfahrer getötet, per Kopfschuss, abgefeuert aus einer Pistole mit Schalldämpfer. Wenig später wurde der Russe Wadim Krassikow verhaftet. Im Sommer 2024 wurde er im Rahmen eines größeren Gefangenenaustauschs freigelassen – Moskau nutzte den willkürlich verhafteten US-Journalisten Evan Gershkovich als wichtigsten Faustpfand.
Putin begrüßte Krassikow bei seiner Rückkehr nach Russland persönlich, umarmte ihn sogar. Damit wurde abermals deutlich, was bereits ein Vertreter der deutschen Generalstaatsanwaltschaft gesagt hatte: Der Tiergarten-Mord in Berlin war ein Auftragsmord direkt aus dem Kreml.
Nun wurden der Bruder und mehrere weitere Familienmitglieder des Ermordeten abgeschoben. Zuerst hatten tagesschau.de und Deutsche Welle darüber berichtet. Demnach brachen Polizisten am frühen Donnerstagmorgen die Tür von Changoschwilis Bruder Surab im brandenburgischen Wünsdorf auf. Die Familienmitglieder mussten ihre Mobiltelefone abgeben und wurden zum Berliner Flughafen gebracht. Dort wartete ein gecharterter Abschiebeflug. Mit 48 Personen an Bord ging es in die georgische Hauptstadt Tiflis.
Die Eilanträge gegen die Abschiebung der Familienmitglieder waren vom zuständigen Potsdamer Verwaltungsgericht ohne Begründung abgelehnt worden. Surab Changoschwili hatte kein politisches Asyl bekommen und war nur geduldet gewesen. Dies war auch schon bei seinem ermordeten Bruder Selimchan der Fall.
Opfer vermehrter Abschiebungen
In Georgien fürchteten die Changoschwilis jedoch um ihre Sicherheit. Das Mordopfer Selimchan Changoschwili hatte im zweiten Tschetschenien-Krieg mit den Separatisten gegen Russland gekämpft. Damit wurden er und seine Familie sowohl für den Kreml als auch für die aktuelle, sich nach Russland orientierende georgische Regierung zum Gegner. Tiflis soll zudem mit dem russischen Geheimdienst zusammenarbeiten und es gibt Berichte, dass die georgische Regierung brutal gegen die tschetschenische Minderheit vorgehe.
Da die schwarz-rote Koalition das erklärte Ziel hat, deutlich mehr Abschiebungen durchzuführen, ist deren Zahl im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel gestiegen. Am häufigsten wird in die Türkei abgeschoben, direkt gefolgt von Georgien. Das Land ist ebenso wie die Türkei EU-Beitrittskandidat. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind seit vielen Jahren de-facto eingefroren. Auch beim Beitrittsprozess mit Georgien gibt es keine Fortschritte mehr, seitdem die Regierung des Landes einen europakritischen Kurs eingeschlagen hat.
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