Wissenschaftlerin über Öko-Horror-Roman: „Der Klimawandel hat etwas Monströses an sich“
Im Roman „Auslöschung“ schlägt die Umwelt zurück. Sonka Hinders über sich auflösende Grenzen – zwischen Ländern, aber auch zwischen Mensch und Natur.
taz: Frau Hinders, warum ist es heute interessant, über den Science-Fiction-Roman „Auslöschung“ aus dem Jahr 2014 nachzudenken?
Sonka Hinders: In dem Buch geht es um Aktuelles wie Umweltthemen und Klimawandel. Der US-amerikanische Autor Jeff VanderMeer hat gesagt, dass er durch die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zu dem Roman inspiriert wurde. Und da kann man ja heute gut anknüpfen.
taz: Sie ordnen den Roman ins Genre „Öko-Horror“ ein. Was meinen Sie damit?
Hinders: Die Umwelt erscheint im Roman als unheimlich, weil sie sich nicht von Menschen kontrollieren lässt, sondern im Gegenteil selber in den Menschen eingreift. Für die Menschen ist die Idee solch einer unkontrollierbare Ausbreitung gruselig. Und der Roman gibt der Umwelt eine Autonomie, die wir in der realen Welt gar nicht sehen.
Jahrgang 1995, studierte Anglistik, Amerikanistik und Musikwissenschaft in Düsseldorf und Reading. Ihre Doktorarbeit im Bereich Amerikanistik erarbeitet sie an den Unis in Oldenburg und Aarhus. Arbeitet als Hörfunkjournalistin in Hamburg und organisiert Literaturveranstaltungen in Oldenburg.
taz: Liegt der Witz bei dem Roman also darin, dass die Umwelt zurückschlägt?
Hinders: Ja, alle Menschen, die auf Expeditionen in eine geheimnisvolle Zone geschickt werden, verschwinden, werden getötet oder sind total verändert, wenn sie wieder auftauchen. Damit entspricht dieser Roman sehr gut der Monstertheorie. Diese besagt, dass Monster immer bestehende Ängste und gesellschaftliche Tabus verkörpern, die als das Andere dargestellt werden, das von der Gesellschaft ausgegrenzt wird, aber gleichzeitig auch immer ein Teil dieser Gesellschaft bleibt. Ich denke, man kann das als eine Analogie zum Klimawandel lesen, der ebenfalls etwa Monströses an sich hat.
Literaturwissenschaftlerin und Doktorandin Sonka Hinders widmet sich im Rahmen der Reihe „USA-Begegnungen“ dem Öko-Horror-Roman „Auslöschung“ des US-amerikanischen Autors Jeff VanderMeers, 30.10., 19 Uhr, Schlaues Haus, Schloßplatz 16, Oldenburg
taz: Diese Science-Fiction Geschichte spiegelt für Sie also die realen Verhältnisse in den USA von heute?
Hinders: Tatsächlich ist sie ja gar nicht so weit entfernt von dem, wie wir leben. Denn wie wir leben, wird ja tatsächlich sehr stark durch die Umwelt beeinflusst. Der menschliche Körper funktioniert zum Beispiel nur mit der Hilfe von Mikroben, die in ihm sind. Der Mensch ist also nicht so singulär und abgetrennt von der Umwelt, wie wir denken. Und das wird durch die Überzeichnung in dem Roman klargemacht.
taz: Warum ist der Roman für Sie auch literaturwissenschaftlich betrachtet wichtig?
Hinders: Es geht in dem Text auch um verschiedene Denkmuster davon, wie sich die USA als Land entwickelt haben. In dem Roman geht ja eine Forschungsgruppe auf eine Expedition, und im Selbstverständnis der USA haben Expeditionen einen sehr hohen Stellenwert. Als die europäischen SiedlerInnen in Amerika ankamen, sind sie immer weiter in das Land eingedrungen. Sie gingen dann in den „Wilden Westen“, den sie besiedeln wollten. Natürlich haben sie dabei völlig ignoriert, dass da schon andere Menschen waren.
taz: Ist dieses Denken für Sie eine der Quellen der in den USA so typischen Allmachtsfantasien?
Hinders: Ja, es setzt sich etwas fort, wenn über die mögliche Kolonialisierung des Weltalls gesprochen wird. Leute wie Elon Musk: „Wir ziehen jetzt auf den Mars“. Da wird ein ähnliches Vokabular verwendet. Die Besiedelung des Weltraums wird als die Lösung für die Klimakatastrophe angesehen, weil man ja einfach woanders hingehen kann.
taz: Welche Assoziationen hat der Roman sonst noch bei Ihnen geweckt?
Hinders: Ich denke da auch an den Vietnamkrieg, in dem das Militär der USA das Umweltgift „Agent Orange“ abgeworfen hat, um Bäume zu entlauben. Aber hinterher hat man dann gesehen, dass auch Menschen dadurch geschädigt wurden. Und die Fabrik, in der „Agent Orange“ in den USA hergestellt wurde, ist heute ein sogenannter Lost Place, weil die Amerikaner dort auch ihr eigenes Land und den Fluss, der durch dieses Gebiet fließt, vergiftet haben. Bis heute darf man dort die Fische nicht essen. Da wurden Grenzen aufgelöst – zwischen den einzelnen Ländern, aber auch zwischen Mensch und Natur.
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