Pressefreiheit in der Türkei: Oppositioneller Sender Tele 1 dichtgemacht
Dem Chefredakteur des Fernsehsenders Tele 1 wird Spionage vorgeworfen. Auch der festgenommene Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu ist betroffen.
Gegen den inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu sind neue Vorwürfe erhoben worden. Er soll einen Spionagering geführt haben, in dem der Chefredakteur von Tele 1, Merdan Yanardağ, Mitglied gewesen sei.
Eine Folge dieser Anschuldigung: einer der letzten oppositionellen Fernsehsender, Tele 1, wurde geschlossen und unter Zwangsverwaltung gestellt. Auch der Youtube-Kanal von Tele 1 ist dicht. Im Sender wird seit Freitagabend nur noch Regierungsreklame ausgestrahlt. Neben Yanardağ soll noch der Wahlkampfmanager von İmamoğlu, Necati Özkan, am Spionagering beteiligt sein.
Am Sonntag wurden sowohl İmamoğlu als auch Yanardağ einem Untersuchungsrichter im zentralen Istanbuler Çağlayan-Gericht vorgeführt. İmamoğlu wurde deshalb extra aus seinem Untersuchungsgefängnis in Silivri nach Çağlayan gebracht, wo ihn Tausende seiner Anhänger erwarteten.
Ausgangspunkt der neuerlichen Vorwürfe ist wohl eine Aussage eines Hüseyin Gün, der bereits im Juli dieses Jahres verhaftet wurde. Im Zuge seiner Vernehmungen soll Gün sich als Spion für die Briten, den CIA und den Mossad geoutet haben. Er soll behauptet haben, über İmamoğlus Wahlkampfmanager Necati Özkan ausländischen Nachrichtendiensten Einfluss auf den Kommunalwahlkampf 2019 verschafft zu haben.
„Schwerer Schlag gegen Pressefreiheit“
Die Kommunalwahl 2019 führte zum ersten Wahlsieg İmamoğlus in Istanbul, der damit den Religiösen nach mehr als 20 Jahren an der Macht die größte Stadt des Landes abnehmen konnte. Als eine Art Kronzeuge soll er sowohl Özkan, den Chefredakteur von Tele 1 Merdan Yanardağ und İmamoğlu selbst belastet haben. Özkan sagte, er habe Gün nur einmal getroffen, als er ihm nach der Wahl 2019 eine Analysesoftware für soziale Medien zum Kauf anbot. Er habe den Kauf abgelehnt.
Özgür Özel, Parteichef der CHP, sagte bei der Kundgebung am Sonntag vor dem Gericht, die gesamten Vorwürfe seien „erstunken und erlogen“. Für den Sender Tele 1 sieht es nun schlecht aus. Das Gericht hat einen Zwangsverwalter eingesetzt, der zuvor bei der regierungsnahen Zeitung Yeni Şafak gearbeitet hat.
Der hat mittlerweile die Entlassung sämtlicher RedakteurInnen des Senders angekündigt. Gegen Yanardağ ist U-Haft verhängt worden. Seine Anwälte bezeichnen die Schließung von Tele 1 als „schweren Schlag gegen die Pressefreiheit“.
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