Regierungschaos in Frankreich: Sackgasse statt Bewegung
Emmanuel Macron hat nur ein einziges seiner politischen Ziele erreicht: Er ist noch an der Macht. Den Rechtsruck in Frankreich hat er nicht gestoppt.
V om grottenschlechten Beliebtheitswert eines Friedrich Stadtbildkanzler Merz kann der französische Präsident Emmanuel Macron nur träumen. In Frankreich haben ganze elf Prozent ein Herz für den weiland als politischen Junggott verehrten Macron, während in Deutschland immerhin ein mageres Viertel dem Sauerländer noch etwas zutraut. Dabei hatte Macron so forsch begonnen und 2017 die meist elitär agierenden Parteien rigoros aufgebrochen. Er hat es, wie aktuell zu erleben ist, nicht zum Vorteil Frankreichs getan.
Jetzt wäre es wieder an der Zeit, la France auf den Kopf zu stellen, doch diesmal mit Vernunft und Gemeinsinn. Die Fünfte französische Republik von 1958, politisch fragmentiert und zunehmend instabil, braucht ein demokratisches Lifting. Allerdings kein populistisches und xenophobes, wie es von den Rechtsextremen des Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen und dem jungen Parteichef Jordan Bardella brutal angestrebt wird.
Klar ist im Rückblick jedenfalls: Es war nur ein Lippenbekenntnis von Macron, als er weniger Präsident und mehr Raum für die gewählten Volksvertreter:innen versprach. Sobald er an der Macht war, regierte er vertikal und egozentrisch, allermeist sprunghaft und taktisch statt strategisch.
Jetzt stecken Macron und seine mittlerweile in Renaissance umbenannte Partei in einer politischen Sackgasse fest. Den Rückwärtsgang einlegen? Zurück zu La République en marche, wie die Bewegung anfangs hieß? Dazu fehlen Kraft und Vorstellungskraft. Visionen gibt es null in seinem Parteienbündnis Ensemble, das durch Macrons desaströse Entscheidung im letzten Jahr, Parlamentsneuwahlen anzusetzen, stark dezimiert wurde. Gemeinsam (ensemble) sieht anders aus.
Harriet Wolff
Seit 2013 ist sie Redakteurin bei der taz-Wahrheit, zeitweise war sie auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem ist sie Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen.
Keine Macron-Show mehr
Nun steht der Präsident einsam im politischen Rund. Auf seinem Lieblingsterrain, der Außenpolitik, stehlen ihm Putin, Trump Xi und Co. die einst clevere Show. Und in Frankreich selbst wollen die meisten Weggefährt:innen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Macrons jüngste Ankündigung, jetzt innenpolitisch die Ärmel hochzukrempeln, hat im Umfeld des extrem geschwächten Premierministers Lecornu Spott ausgelöst. Außer bei dem 39-Jährigen selbst: Der einstige Verteidigungsminister Lecornu hat Loyalität bewiesen, fungiert zum zweiten Mal hintereinander als Premier von Macrons Wahl und Gnaden. Warum bloß? Selbstherrlich ist der Präsident Lecornu in die Parade gefahren, redete großspurig von „Verschiebung“ seines Lieblingsprojekts, der Rentenreform, und nicht von der im Parlament jüngst beschlossenen „Aussetzung“. Demokratie à la Macron.
Der Präsident wird wohl als Lame Duck dem Ende seiner zweiten und finalen Amtszeit im Frühjahr 2027 entgegenwatscheln, trotz aller linken und rechten Abberufungsfantasien. Frankreich sieht derweil abgekämpft und müde dem 10. Jahrestag der islamistischen Anschläge in und um Paris vom 13. November 2015 entgegen. Zur Genugtuung der Rechtsextremen, die zunehmend von den immer mehr nach rechts driftenden Republikanern (LR) unterstützt werden. Baldige Parlamentswahlen wären Le Pen jedoch nicht recht – die Wähler:innen könnten dann noch vor der Präsidentschaftswahl 2027 erleben, dass Rechtsextreme nicht regieren können.
International fast unbemerkt ist kürzlich in der Nationalversammlung zum ersten Mal ein Vorschlag der Rechtsextremen durchgegangen, die nicht nur Stimmen der Republikaner, sondern teilweise auch der Regierungskoalition erhielten. Ziel: das französisch-algerische Abkommen von 1968 aufzukündigen, das den erleichterten Zuzug aus der Ex-Kolonie regelt. Der vergiftete Vorschlag bindet die Exekutive nicht, ist aber ein erschütternder Fakt.
Indes sinkt die einst hohe Bonität Frankreichs an den Kapitalmärkten weiter. Das Land hat, gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt, aktuell die dritthöchste EU-Verschuldungsquote nach Griechenland und Italien. Sie ist mit rund 116 Prozent fast doppelt so hoch wie die deutsche. Und der fällige Haushalt des Hexagons für 2026 ist noch längst nicht einvernehmlich beschlossen.
Konservative stimmen mit Rechtsextremen
Zudem kann es sein, dass es ein erneutes, erfolgreiches Misstrauensvotum gegen den Premier gibt, falls die Sozialisten (PS) wieder mitmachen. Sie haben derzeit nur 69 von 577 Parlamentssitzen, treiben aber die Regierung beim Verhandeln von Gesetzesvorlagen vor sich her – eben weil der PS das Zünglein an der Waage beim nächsten Misstrauensvotum wäre.
Deshalb ist jetzt in der Nationalversammlung ein Beschluss durchgekommen, die Sozialabgaben für Vermögende zu erhöhen. Nicht erfolgreich war dagegen die von allen Linksparteien gewollte „Zucman-Steuer“, die zwei Prozent auf Vermögen von über 100 Millionen Euro erheben würde.
Und nun? Das linke Frankreich, der Nouveau Front Populaire, der 2024 mit relativer Mehrheit die Parlamentswahlen gewann, muss programmatisch wieder zusammenfinden. Nach der letzten Wahl war es allzu schnell vorbei mit der Einheit von Grünen, La France Insoumise (LFI), Kommunisten, PS und anderen linken Bewegungen.
Linke verraten ihre Wähler
Solange diese Einheit fehlt, und sie wird leider vor allem von einem teils aggressiv polarisierenden LFI unterminiert, wird Frankreich weiter gefährlich gelähmt sein. Die Linken verraten damit ihre Wähler, denn der Stillstand schadet besonders den sozial abgehängten Menschen.
Sie leben nicht nur, aber vor allem in den Vorstädten, den Banlieues, wo etwa zehn Prozent der rund 67 Millionen Französ:innen wohnen. Genau 20 Jahre ist es her, dass es in der Banlieue, wie auch im Sommer 2023, zu gewaltsamen Unruhen kam.
Die Lage, sie bleibt an fast allen Fronten Frankreichs fragil. Und wer aus der politischen Mitte heraus als nächste oder nächster Präsidentschaftskandidat(in) agieren könnte, ist nebulös. Ganz links träumt Jean-Luc Mélenchon (LFI) weiterhin, final Volkstribun zu werden.
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